„Ich bin innerlich zerrissen, aber ich kämpfe, auch das in Kunst auszudrücken“

Deutsche Künstler im Ersten Weltkrieg

Unter den deutschen Künstlern waren viele Opfer: psychisch Geschädigte, Tote. Max Beckmann erlitt nach knapp einem Jahr im Krieg einen Zusammenbruch; er wurde beurlaubt. Nach einer zweiten Einberufung brach auch George Grosz 1917 zusammen und wurde in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Ernst Ludwig Kirchner tat seinen Dienst zwar nicht an der Front, doch hielt er dem Druck bei der Artillerie in Halle nur wenige Monate stand „Wie die Kokotten, die ich malte, ist man jetzt selbst. Hingewischt, beim nächsten Male weg.“ Er wurde entlassen und kam in ein Sanatorium. Albert Weisgerber war noch im November 1914 der Meinung, der Sieg sei sicher, wenige Monate später, im Mai 1915, verlor er bei der Ypernschlacht sein Leben. Walter Alfred Rosam fiel im August dieses Jahres an der Ostfront, Wilhelm Morgner im August 1917 an der Westfront. Max Beckmanns Freund Waldemar Rösler nahm sich unter dem Kriegsdruck im Dezember 1916 das Leben. Nur wenige Tage vor dem Kriegsende kam auch Franz Nölken um. Der Jüngste von ihnen, Hermann Stenner, wurde 23 Jahre, der Älteste, Albert Weisgerber, 37 Jahre alt. Was künstlerisch aus ihnen geworden wäre, weiß niemand. Tatsache aber ist, dass ein beträchtlicher Teil dieser jungen deutschen Künstlergeneration ausgelöscht wurde.

 

Und was wurde aus der Kunst? Die meisten Künstler verstummten, Großes konnte vor Ort nicht entstehen, allenfalls kam es zu kleinformatigen Arbeiten auf Papier. Dennoch wurden in diesen Jahren des Krieges erstaunlicherweise je individuell grundlegende Erneuerungen der Bildmittel vollzogen. Sie folgten nicht weiterhin der Tendenz zur Abstraktion, und sie fußten auch nicht mehr auf dem Spätimpressionismus der Vorkriegsjahre. Vielmehr wirkten sich die Erschütterungen unvermittelt auf die Bildmittel aus. In Max Beckmanns Zeichnungen und Radierungen wich die handwerkliche Virtuosität einer verzweifelten Suche nach der adäquaten Form für den Ausdruck des desolaten Bildes von der Welt. George Grosz entwickelte für seine scharfen Abrechnungen mit dem Bürgertum einen oft primitiv wirkenden, stets beißenden Strich. Kirchner schuf jene Serie von Rohrfederzeichnungen, die zum Eindrücklichsten der Zeichenkunst im 20. Jahrhundert gehören, weil mit dem raschen, erregten Strich die psychische Zerrüttung direkt übermittelt wird. „Ich bin“, schrieb er in einem Brief vom März 1917, „innerlich zerrissen und geimpft nach allen Seiten, aber ich kämpfe, auch das in Kunst auszudrücken.“ Franz Marc brachte es nur zu einem kleinen Skizzenbuch. Das aber enthält Entwürfe für künftige Gemälde großen Zuschnitts, in denen sich eine wegweisende Synthese von Figur und Abstraktion ankündigt.

 

Eine fundamentale Verarbeitung der Erfahrungen bildet Max Beckmanns großformatiges Gemälde „Auferstehung“ in der Stuttgarter Staatsgalerie, 1915 gleich nach der Beurlaubung begonnen. In diesem – obwohl unvollendet gebliebenen – anspruchsvollsten aller bildnerischen Resümees der existenziellen Kriegserfahrungen wird eine zeitgemäße Ikonographie des Untergangs entworfen. Ernst Ludwig Kirchners „Selbstbildnis als Soldat“ von 1915 mit einem roten Armstumpf zeigt auf ergreifende Weise symbolisch den Verlust der künstlerischen Schaffenskraft an. Otto Dix griff die Kriegsthematik später wieder und wieder auf, im (verschollenen) Gemälde „Schützengraben“ (1923), im höchst eindringlichen Radierungszyklus „Der Krieg“ (1924) und im monumentalen „Kriegstriptychon“ (1928 bis 1932). Hier bildeten persönliche Irritationen durch die Kriegsereignisse den Ausgangspunkt. Jedenfalls endete mit dem Krieg die Epoche der experimentellen Avantgarden, und es begann 1919 eine neue Phase zumeist gegenstandsbezogener Kunst.

Uwe M. Schneede
Uwe M. Schneede leitete 1991 bis 2006 die Hamburger Kunsthalle.
Vorheriger ArtikelPräverbal und postmodern?
Nächster ArtikelAuf halbem Weg zur Weltmacht