Als der Erste Weltkrieg begann, war auch in der bildenden Kunst nichts mehr wie vorher, die Kunst nicht, die Künstler nicht, der Kunstbetrieb nicht: Die Ateliers standen leer. Man musste unfreiwillig oder man wollte bewusst „den Pinsel mit der Kanone vertauschen“, wie Franz Marc es formulierte. Die Künstler reagierten denkbar unterschiedlich auf den Kriegsbeginn. Ernst Barlach rief 1914 mit der Plastik „Der Rächer“ augenblicklich zum Kampf auf, der eine Generation ältere Max Liebermann entwarf eine Weile chauvinistische Hetzblätter, und als überzeugtester Befürworter des Krieges erwies sich Franz Marc. Aber es gab auch ausgesprochene Kriegsgegner, so George Grosz und Ernst Ludwig Kirchner. Einige Künstler wie Hans Richter und der Elsässer Hans Arp entwichen ins neutrale Ausland; Rudolf Schlichter und Heinrich Campendonk traten erfolgreich in einen Hungerstreik; Conrad Felixmüller verweigerte den Wehrdienst, wurde aber zwangsverpflichtet. Andere deutsche Künstler riefen noch während des Krieges in graphischen Folgen zum Widerstand auf, so Willy Jaeckel, Franz M. Jansen, Max Pechstein, Max Slevogt. Dabei wurden zuweilen – wie bei Slevogt – die Kriegführenden angeprangert. Die kritische Sicht auf die Gesellschaft fand ihren Höhepunkt in George Grosz’ (verschollenem) Gemälde „Deutschland, ein Wintermärchen“ (1918), in dem Kirche, Militär und nationalistisches Bildungsbürgertum für die aus den Fugen geratene Welt verantwortlich gemacht werden.
Wie schwerwiegend sich der Erste Weltkrieg in Deutschland auf Kunst und Künstler auswirkte, lässt sich am Beispiel des Münchner Blauen Reiters veranschaulichen. Die russischen Mitglieder Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin mussten Deutschland Hals über Kopf als „feindliche Ausländer“ verlassen. Marc ging freiwillig in den Militärdienst, August Macke wurde eingezogen, etwas später auch Paul Klee. Die geplante zweite Ausgabe des Almanachs „Der Blaue Reiter“, die sich dem Thema „Die Kunst und die Wissenschaft“ widmen sollte, konnte nicht mehr realisiert werden. Die vielen Wanderausstellungen endeten; die guten Beziehungen zu den förderungswilligen Kunsthändlern erloschen. Der enge französische Freund Robert Delaunay galt nun als offizieller Feind. Schon im September 1914 fiel August Macke, im März 1916 Franz Marc. Den Blauen Reiter gab es nicht mehr.
Marc hatte sich anfangs vom Krieg eine „Reinigung“ der alten, verlogenen, verkommenen Welt erwartet, „das kranke Blut“ gehöre „vergossen“. Kandinsky reagierte im November 1914 voller Unverständnis: „Der Preis dieser Art Säuberung ist entsetzlich.“ Er hatte schon zwei Jahre vor Kriegsbeginn die Schrecken erahnt: „Die schmutzigen Folgen werden lange ihre stinkende Schleppe über den ganzen Erdball ziehen. Und … die Berge von Leichen.“ Die beiden engen Freunde, die gemeinsam den Almanach „Der Blaue Reiter“ herausgegeben hatten, entzweiten sich wegen völlig konträrer Haltungen zum Krieg. Sogar der Freund Paul Klee betrachtete Marc jetzt mit Skepsis: Den äußeren Ausdruck der militärischen Haltung, die Uniform Marcs, „das verdammte Habit“, begann er „nun richtig zu hassen“.
Als der Freund Macke fiel, aber war Marc zutiefst getroffen. „Es ist wahrlich das Grausamste, was dieser Krieg mir bringen konnte“, er habe etwas Unersetzliches verloren, schrieb er an den Mäzen Bernhard Koehler. Nun mehrten sich Marcs Äußerungen, die auf einen entscheidenden Sinneswandel hindeuten. „Dieser Weltbrand“ sei „der grausigste Moment der ganzen Weltgeschichte“. Der Krieg habe sich, heißt es Ende 1915/Anfang 1916, längst überdauert und sei „sinnlos geworden“, das Morden müsse endlich aufhören. Offenbar begann Marc jetzt, die politischen Dimensionen des Krieges zu erahnen. In einem Brief an Koehler von Anfang Januar 1916 machte er überraschend deutlich, dass er den Krieg nun als ein riesiges moralisches Fiasko und als Niederlage der Kultur ansah. Nicht die Waffen entschieden, sondern die wirtschaftlichen Interessen. Es sei höchste Zeit, mit dem „Rüstungszeitalter“ ein Ende zu machen, damit man auf kultureller Grundlage vollkommen neu beginnen könne. Die positiven Erwartungen an den Krieg waren abgelöst durch die schrecklichen Erfahrungen im Krieg.
So ging es den meisten Künstlern. Oskar Schlemmer hielt den Vorgang an seinem eigenen Beispiel in einer Tagebuchnotiz vom März 1915 fest: „Erst ganz Soldat. Gefühl als Teil des Ganzen, Hochgefühl beim Aufmarsch. Selbstbewusstsein gegenüber den Zurückbleibenden, Beschützer, Ausgesandter, Held.“ Dann aber die ersten Erfahrungen: „Draußen, infolge der Strapazen, Materie gegen Geist. Apathische Ergebenheit ins Schicksal“. Nun galt es nur noch, „Leben (zu) erhalten, selbst mit schlechten Mitteln.“
Dagegen erlebten zwei Künstler, Max Beckmann und Otto Dix, den Krieg als die große Gelegenheit, außergewöhnliche Erfahrungen zu machen, die am Ende ihrer Kunst zugutekommen sollten. Dix meinte: „Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen! Man muss den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen.“ Beckmann schrieb in seinen Briefen, er mache „diese Angelegenheit“ nicht als Historiker, sondern als Künstler mit, also als jemand, der sich in alle Erscheinungsformen des Lebens, auch gerade die extremen, einfühle, und so versuche er es „eben jetzt mit dem Kriege“, schließlich finde er überall „tiefe Linien der Schönheit im Leiden und Ertragen dieses schaurigen Schicksals“. Wie Dix brauchte Beckmann das Erlebnis des Krieges um seiner Kunst willen. Denn sie sollte vom Leben, Leiden, Sterben und Ungewissen danach handeln. So konnte er in seiner lapidaren Art feststellen: „Meine Kunst kriegt hier zu fressen“.
Unter den deutschen Künstlern waren viele Opfer: psychisch Geschädigte, Tote. Max Beckmann erlitt nach knapp einem Jahr im Krieg einen Zusammenbruch; er wurde beurlaubt. Nach einer zweiten Einberufung brach auch George Grosz 1917 zusammen und wurde in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Ernst Ludwig Kirchner tat seinen Dienst zwar nicht an der Front, doch hielt er dem Druck bei der Artillerie in Halle nur wenige Monate stand „Wie die Kokotten, die ich malte, ist man jetzt selbst. Hingewischt, beim nächsten Male weg.“ Er wurde entlassen und kam in ein Sanatorium. Albert Weisgerber war noch im November 1914 der Meinung, der Sieg sei sicher, wenige Monate später, im Mai 1915, verlor er bei der Ypernschlacht sein Leben. Walter Alfred Rosam fiel im August dieses Jahres an der Ostfront, Wilhelm Morgner im August 1917 an der Westfront. Max Beckmanns Freund Waldemar Rösler nahm sich unter dem Kriegsdruck im Dezember 1916 das Leben. Nur wenige Tage vor dem Kriegsende kam auch Franz Nölken um. Der Jüngste von ihnen, Hermann Stenner, wurde 23 Jahre, der Älteste, Albert Weisgerber, 37 Jahre alt. Was künstlerisch aus ihnen geworden wäre, weiß niemand. Tatsache aber ist, dass ein beträchtlicher Teil dieser jungen deutschen Künstlergeneration ausgelöscht wurde.
Und was wurde aus der Kunst? Die meisten Künstler verstummten, Großes konnte vor Ort nicht entstehen, allenfalls kam es zu kleinformatigen Arbeiten auf Papier. Dennoch wurden in diesen Jahren des Krieges erstaunlicherweise je individuell grundlegende Erneuerungen der Bildmittel vollzogen. Sie folgten nicht weiterhin der Tendenz zur Abstraktion, und sie fußten auch nicht mehr auf dem Spätimpressionismus der Vorkriegsjahre. Vielmehr wirkten sich die Erschütterungen unvermittelt auf die Bildmittel aus. In Max Beckmanns Zeichnungen und Radierungen wich die handwerkliche Virtuosität einer verzweifelten Suche nach der adäquaten Form für den Ausdruck des desolaten Bildes von der Welt. George Grosz entwickelte für seine scharfen Abrechnungen mit dem Bürgertum einen oft primitiv wirkenden, stets beißenden Strich. Kirchner schuf jene Serie von Rohrfederzeichnungen, die zum Eindrücklichsten der Zeichenkunst im 20. Jahrhundert gehören, weil mit dem raschen, erregten Strich die psychische Zerrüttung direkt übermittelt wird. „Ich bin“, schrieb er in einem Brief vom März 1917, „innerlich zerrissen und geimpft nach allen Seiten, aber ich kämpfe, auch das in Kunst auszudrücken.“ Franz Marc brachte es nur zu einem kleinen Skizzenbuch. Das aber enthält Entwürfe für künftige Gemälde großen Zuschnitts, in denen sich eine wegweisende Synthese von Figur und Abstraktion ankündigt.
Eine fundamentale Verarbeitung der Erfahrungen bildet Max Beckmanns großformatiges Gemälde „Auferstehung“ in der Stuttgarter Staatsgalerie, 1915 gleich nach der Beurlaubung begonnen. In diesem – obwohl unvollendet gebliebenen – anspruchsvollsten aller bildnerischen Resümees der existenziellen Kriegserfahrungen wird eine zeitgemäße Ikonographie des Untergangs entworfen. Ernst Ludwig Kirchners „Selbstbildnis als Soldat“ von 1915 mit einem roten Armstumpf zeigt auf ergreifende Weise symbolisch den Verlust der künstlerischen Schaffenskraft an. Otto Dix griff die Kriegsthematik später wieder und wieder auf, im (verschollenen) Gemälde „Schützengraben“ (1923), im höchst eindringlichen Radierungszyklus „Der Krieg“ (1924) und im monumentalen „Kriegstriptychon“ (1928 bis 1932). Hier bildeten persönliche Irritationen durch die Kriegsereignisse den Ausgangspunkt. Jedenfalls endete mit dem Krieg die Epoche der experimentellen Avantgarden, und es begann 1919 eine neue Phase zumeist gegenstandsbezogener Kunst.