Auf halbem Weg zur Weltmacht

Die Rolle der Vereinigten Staaten im Ersten Weltkrieg

Henry Luce hatte eine Vision. Am 7. Februar 1941 verkündete der Journalist und Herausgeber des Time Magazine in einem legendären Leitartikel den Beginn des „american century“. Mit missionarischem Pathos drängte er seine Regierung zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg und rief zur globalen Verbreitung amerikanisch-demokratischer Ideale auf. Luces Appell war zugleich ein Warnruf. Schmerzlich erinnerte er die Leser an Präsident Woodrow Wilson, seine Pläne zur Neuordnung der europäischen Machtverhältnisse und den verschenkten Frieden von 1919. Damals steckte die Weltmachtstellung der USA noch in den Kinderschuhen. Denn mit seinem Traum einer internationalen Friedensordnung scheiterte Wilson an den verfeindeten europäischen Eliten und seinem eigenen Kongress. Für die kommenden zwei Jahrzehnte fielen die Vereinigten Staaten in den außenpolitischen Dornröschenschlaf. Trotz der Rückkehr in den politischen Isolationismus erlebten die USA in der Zwischenkriegszeit ihre erste wirtschaftliche und kulturelle Hochzeit in Europa.

 

Wilson war ein scheuer Internationalist. Als der Große Krieg in Europa entbrannte, berief er sich auf die traditionelle Neutralität der USA in europäischen Streitigkeiten. Noch im Wahlkampf 1916, als der Schrecken von Verdun den Kontinent in Atem hielt, kandidierte Wilson mit dem Slogan „He kept us out of war“. Doch Politik und Öffentlichkeit übten zunehmenden Druck auf den Präsidenten aus. Im Mai 1915 hatte ein deutsches U-Boot zum Entsetzen der Amerikaner den britischen Dampfer Lusitania versenkt – und mit ihm 128 US-amerikanische Passagiere. Die Republikaner hatten schon im Wahlkampf den unausweichlichen Kriegseintritt der Amerikaner heraufbeschworen und drängten zunehmend auf Intervention. Den Anstoß zur Kriegserklärung gab im Januar 1917 die Entschlüsselung der Zimmermann-Depesche durch den britischen Marinegeheimdienst. Sollten die Vereinigten Staaten mit der Neutralität brechen, plante das Deutsche Reich einen Pakt mit Mexiko und versprach Unterstützung bei der Rückeroberung aller 1848 an die USA verlorenen Gebiete. Der geplante Angriff auf amerikanisches Gebiet zwang den US-Kongress mit deutlicher Mehrheit für einen Kriegseintritt zu stimmen, welchen Wilson am 6. April 1917 öffentlich bekanntgab.

 

Mit dem Sieg über die Mittelmächte bot sich für Wilson 1918 die Chance zum Neuanfang. Bereits vor Kriegsende hatte er dem Kongress seinen berühmten 14-Punkte-Plan vorgestellt und darin eine neue politische und ökonomische Weltordnung gefordert. Märkte sollten liberalisiert und staatliche Souveränität geschützt werden. Der größte diplomatische Coup des Planes war die Gründung des Völkerbundes, der als erste su­pranationale Organisation zur Sicherung einer friedlichen Weltordnung 1920 in Genf etabliert wurde. Wilsons internationaler Triumph bedeutete gleichzeitig die amerikanische Rückkehr in die diplomatische Isolation.

 

Der Senat hatte nicht die nötige Zweidrittelmehrheit für einen amerikanischen Eintritt in den Bund erreicht, da er die außenpolitische und wirtschaftliche Autonomie des Landes gefährdet sah. Die USA sollten von nun an nur als außenstehender Berater der Organisation agieren.

 

Während sich die Vereinigten Staaten zunächst aus dem politischen Weltgeschehen zurückzogen, pflanzten Di­plomaten anderer Art die ersten Keime der amerikanischen Weltmachtstellung. 1916 hatten die USA das Britische Empire als größte Wirtschaftsmacht entthront und eroberten nach Kriegsende im Sturm die europäischen Märkte. Amerikanische Populärkultur und Produkte überquerten den Atlantik und bestimmten in den Metropolen der alten Welt zunehmend das öffentliche Leben. Das „Jazz Age“ brach mit den eingestaubten Konventionen europäischer Kultureliten und verbreitete neue Vorstellungen von Freizügigkeit, Mode und Unterhaltung. Paris und Berlin entwickelten sich zu den Zentren einer transatlantischen Avantgarde. Afroamerikanische Musiker suchten hier Zuflucht vor der heimischen Rassentrennung. Literaten wie Gertrude Stein und F. Scott Fitzgerald sehnten sich nach Pablo Picasso, Salvador Dalí und billigem Wohnraum. In Europa begann die Amerikanisierung, jedoch ohne einen politischen Impuls aus Washington.

 

Denn in den USA sah man diese Entwicklungen als Nebenprodukt der neuen wirtschaftlichen Vormachtstellung, was erfreulich, aber keineswegs notwendig war. Kultur als Propagandamittel war den politischen Eliten der Zwischenkriegszeit weitestgehend fremd. Es waren vornehmlich Unternehmen und Privatpersonen aus Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft, die hier ihre transatlantische Nische fanden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erkannte die US-Regierung, welche Vorteile eine ausgereifte Kulturdiplomatie für die Pax Americana hatte. Kostspielige Kulturprogramme und staatlich gelenkte Propaganda sollten sowjetische Einflüsse untergraben und die Vorteile von Demokratie und Konsumkapitalismus global verständlich machen. 1945 hatten die USA Wilson nicht vergessen und sich Luce zu Herzen genommen: Die Chance von 1918 sollte nicht ein weiteres Mal verspielt werden.

Maximilian Klose
Maximilian Klose ist Doktorand an der Graduate School of North American Studies der Freien Universität Berlin. Er forscht zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit
Vorheriger Artikel„Ich bin innerlich zerrissen, aber ich kämpfe, auch das in Kunst auszudrücken“
Nächster ArtikelVertontes Trommelfeuer