„Die Sozialpartnerschaft sichert gesellschaftlichen Frieden“

Christina Ramb im Gespräch

Was ist aber, wenn Sie sich z. B. in der Arbeitslosenversicherung dafür einsetzen, Überschüsse nicht durch Beitragssenkungen auch an die Arbeitgeber zurückzugeben, sondern beispielsweise für Fortbildungsmaßnahmen zu verwenden? Laufen dann nicht Arbeitgeber Sturm, die nicht bei Ihnen organisiert sind?

Wer soll das denn sonst entscheiden? Die Vertretungen der Sozialpartner in den Selbstverwaltungen werden durch die benannt oder gewählt, die auf der jeweiligen Sozialpartnerseite organisiert sind. Wir diskutieren innerhalb der Arbeitgeberverbände all die Fragen intensiv auch mit den Unternehmen und Betrieben.

 

Tarifautonomie bedeutet, dass der Staat sich aus Fragen heraushält, die Arbeitgeber und Gewerkschaften selbst regeln können. Da immer mehr Betriebe sich den Tarifverträgen entziehen, ist er aber dazu übergegangen, solche Fragen gesetzlich und durch den Mindestlohn zu bestimmen. Unterhöhlt das die Tarifautonomie und die Sozialpartnerschaft?

Ein klares Ja. Es schadet der Tarif- und auch der Betriebspartnerschaft massiv, wenn der Staat meint, er müsste sich einschalten, wenn er auf europäischer Ebene Mindestlöhne schafft oder die Einhaltung von Tarifverträgen zum Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Aufträge macht. Eine europäische Mindestlohnbürokratie sehe ich als eine Kompetenzanmaßung der Europäischen Kommission an.

 

Was können Sie dagegen tun?

Tarifverträge werden sich den veränderten Bedingungen noch stärker anpassen müssen. Wenn man sich die wandelnde Arbeitswelt und die der Zukunft anschaut, sieht man, dass sich die Herausforderungen immer schneller verändern und Betriebe sehr unterschiedlich sind, auch innerhalb von Branchen. Tarifverträge müssen darauf eine Antwort geben. Seit Beginn des Jahrtausends gibt es eine sehr positive Entwicklung in Richtung Zukunftsfähigkeit und Öffnungsklauseln für betriebliche Lösungen. Gerade in Krisensituationen. Schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, wie auch jetzt. Sie haben gute Dienste erwiesen. Aber die Innovation ist immer ausbaufähig, auf beiden Seiten. Das ist Aufgabe der Tarifpartner. Der Staat muss sie stützen und ihnen die Möglichkeit geben, sich weiter zu entwickeln, statt sie ersetzen zu wollen. Wenn man zurückschaut, nicht nur auf Krisenzeiten, ist das ein Erfolgsrezept. Interventionen durch den Staat können nur schaden.

 

Nicht nur große Digitalkonzerne und Start-ups entziehen sich den Tarifverträgen und der Mitbestimmung. Auch viele gerade jüngere Mitarbeiter halten sie wie die Gewerkschaften und Betriebsräte für überflüssig und überholt. Und es gibt zunehmend ungeregelte Arbeitsverhältnisse, Freiberufler, Scheinselbständige etwa als Paketboten oder Mitarbeiter in ausgelagerten Betrieben oder Leiharbeitsfirmen. Wie können die noch von der Sozial- und Tarifpartnerschaft erfasst werden?

Lässt man die aktuelle Krisensituation außen vor, ist der Anteil der sogenannten „atypischen“ neuen Arbeitsverhältnisse eher zurückgegangen, das „Normalarbeitsverhältnis“ hat sich verfestigt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist kontinuierlich gewachsen. Es stimmt: Über Soloselbständige und Plattform-Beschäftigte wird erst seit Kurzem diskutiert. Es gibt aber keine Daten, dass sie in großem Umfang zunehmen. Klar ist auch: Tarifpartnerschaft kann immer nur in den Betrieben für die dort Beschäftigten gelten.

 

Wie ist das bei Subunternehmern und Kontraktfirmen, etwa in der Bauwirtschaft oder der Fleischindustrie?

Auch wenn ein Zulieferer einen Auftrag verliert, lässt unser Arbeitsrecht nicht zu, dass er seine Mitarbeiter einfach auf die Straße setzt.

 

Heißt Sozialpartnerschaft nicht auch, dass ein Arbeitgeber für die Menschen, die bei ihm arbeiten, Verantwortung trägt, egal wo und bei wem sie wie beschäftigt sind?

Sicherlich sind in Betrieben, die sozialpartnerschaftlich kooperieren, die Möglichkeiten größer, möglichst viel Beschäftigung zu erhalten und Arbeitsbedingungen gemeinsam gut zu regeln. Es ist doch keine Frage, dass es ein großes Eigeninteresse eines Arbeitgebers gibt, dass er zufriedene Mitarbeiter beschäftigt.

 

Die Pandemie hat den Trend zum Homeoffice verstärkt. Wie verändert das die Unternehmens- und Arbeitskultur?

Eine der großen Herausforderungen ist das Führen von Teams und Einzelpersonen beim mobilen Arbeiten. In vielen Betrieben wurden Lösungen gefunden, wie es funktionieren kann. Klar ist aber, dass das kein Dauerzustand sein kann. Nach der Pandemie muss es wieder Möglichkeiten geben, sich im Betrieb und im Büro zu begegnen. Das entspricht uns als sozialen Wesen. Ich glaube, bei vielen ist die Sehnsucht groß, mal wieder zusammen einen Kaffee zu trinken oder gemeinsam in die Kantine zu gehen.

 

Unternehmen fühlen sich heute häufig nicht nur ihren Eigentümern, Aktionären und Mitarbeitern verpflichtet, sondern auch der gesamten Gesellschaft und dem Klima- und Umweltschutz. Was aber, wenn etwa beim Kohleausstieg wie schon beim Atomausstieg gesellschaftliche Interessen denen von Unternehmen und Mitarbeitern entgegenlaufen?

Bei Regelungen, die der Gesetzgeber getroffen hat, stoßen Betriebspartner an ihre Grenzen. Der Mehrwert der Sozialpartnerschaft ist zwar auch, dass man gemeinsam seine Interessen formulieren kann. Letztlich bleibt aber die zentrale Frage, wie man insgesamt gemeinsam Lösungen findet, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen: die ökologische Transformation, die Digitalisierung, den demografischen Wandel. In der Praxis heißt das, dass man einen Weg finden muss, um Ökologie und Ökonomie zusammenzudenken.

 

Braucht es dafür Anstöße von außen und eine Partnerschaft mit anderen Verbänden und NGOs?

Wir reden und diskutieren natürlich auch mit NGOs und versuchen auch da, auf Interessenausgleich hinzuwirken, pragmatisch, nicht ideologisch. Am Beispiel Kohleausstieg kann man sehen, dass die Kohlekommission mit Vertretern auch der Arbeitgeber die Fragen zu einem guten Ergebnis gebracht hat. Wir haben unsere Interessen eingebracht, aber am Ende war es ein Kompromiss.

 

Es gab Streit um die Testpflicht in den Betrieben. Ist es nicht Teil der Verantwortung der Arbeitgeber für ihre Beschäftigten, dass sie sie regelmäßig testen lassen und sie so gut wie möglich vor einer Infektion schützen – auch im eigenen Interesse, damit Mitarbeiter nicht ausfallen oder gar schwer erkranken und sterben?

Die Arbeitgeber haben gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern seit Beginn der Pandemie daran gearbeitet, beispielsweise mit guten Hygienekonzepten und der Bereitschaft zu mobilem Arbeiten vieles möglich zu machen, um Arbeitsplätze sicher zu machen und die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen. Wir haben gemeinsam mit den anderen Spitzenverbänden der Wirtschaft Anfang März dazu aufgerufen, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten Selbsttests und, wo dies möglich ist, Schnelltests anbieten, um Infektionen frühzeitig zu erkennen. Sehr viele Unternehmen sind unserem Appell mit großem Engagement gefolgt. Aber natürlich stehen vor allem die vielen kleinen und mittelständischen Betriebe vor großen Problemen, beispielsweise bei der Beschaffung von Tests oder aufgrund ungeklärter rechtlicher Fragen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.

Christina Ramb & Ludwig Greven
Christina Ramb ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und alternierende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit. Ludwig Greven ist freier Publizist.
Vorheriger ArtikelDiesseits und jenseits des Tischkickers
Nächster ArtikelNeue Klassen?