Christina Ramb & Ludwig Greven - 29. April 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Arbeiterkultur

„Die Sozialpartnerschaft sichert gesellschaftlichen Frieden“


Christina Ramb im Gespräch

Im vergangenen Jahr ist Christina Ramb als erste Frau in die Führung der deutschen Arbeitgeberverbände eingezogen. Ludwig Greven spricht mit dem Führungsmitglied der Arbeitgeberverbände über die Herausforderungen durch den Wandel der Arbeitswelt, Mitgliederschwund und die Coronakrise.

 

Ludwig Greven: Bedauern Sie es, dass bei Amazon kürzlich kein Betriebsrat gegründet wurde?

Christina Ramb: Sozialpartnerschaft basiert immer auf Freiwilligkeit. Deshalb ist es nicht an uns als Vertreter der Arbeitgeber, zu sagen, ob ein Unternehmen einen Betriebsrat oder einen Tarifvertrag haben muss. Sozialpartnerschaft auf Tarif- oder Mitbestimmungsebene kann ein Garant sein für Planungssicherheit, wirtschaftliche Stabilität und Konfliktfreiheit.

 

Sind selbstbewusste Personalvertretungen und Gewerkschaften im internationalen Wettbewerb eher ein Nachteil oder ein Vorteil?

Ich bewerte es als ganz klaren Vorteil. Betriebs- und Tarifpartnerschaft können, das haben wir jetzt gerade in der Corona-krise wieder gesehen, sehr dazu beitragen, Probleme in einem Betrieb praxisnah zu lösen. Ob es nun Vereinbarungen zur Kurzarbeit waren oder wie schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise Vereinbarungen zur Arbeitszeit.

 

Zu Beginn der Industrialisierung sprach man von Klassenkampf. Sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer noch Gegner – oder Partner, wie der Begriff Sozialpartnerschaft suggeriert?

Die Sozialpartnerschaft ist einer der Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben sich nicht nur in Krisenzeiten stets gemeinsam verantwortungsvoll für das Gemeinwohl eingesetzt. Wir betrachten die Gewerkschaften als unseren Partner. Ich würde immer dafür plädieren, dass man in einem Betrieb und als Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften konstruktiv miteinander umgeht und so zu Vereinbarungen kommt, die auf beiden Seiten funktionieren.

 

Die Interessen sind jedoch unterschiedlich. Besonders große Aktiengesellschaften sind auf möglichst großen Gewinn aus. Die Mitarbeiter und Gewerkschaften wollen in erster Linie gute Löhne, gute Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze.

Ich sehe das anders. Im Ziel sind sich beide Seiten im Grundsatz einig: Wichtig ist, dass ein Betrieb wettbewerbsfähig bleibt und so auch Arbeitsplätze sichert und schafft. Bei der letzten großen Bewährungsprobe in der Finanzkrise 2008/2009 haben die Sozialpartner gemeinsam in ihrer Verantwortungspartnerschaft mit der Politik, als Tarifpartner und auf betrieblicher Ebene wesentlich dazu beigetragen, dass die Menschen in Arbeit und die Unternehmen im Markt blieben. Ohne die Sozialpartnerschaft und ohne deren Kernprodukt, den Flächentarifvertrag, wäre Deutschland heute schwächer. Sie sichert gesellschaftlichen Frieden, schafft gute Arbeitsbedingungen, ist Teil unseres wirtschaftlichen Erfolgs und Ausdruck gelebter Demokratie.

 

Die Gewerkschaften wie die Arbeitgeberverbände verlieren jedoch seit Langem Mitglieder. Bricht damit nicht ihre Legitimation weg, nicht nur Tarifverträge, sondern auch sozialpolitische Fragen in den Sozialversicherungen paritätisch für die gesamte Gesellschaft, jedenfalls die Beitragszahler, zu vereinbaren?

Man muss unterscheiden zwischen der Tarif- und Betriebspartnerschaft und der Rolle der Sozialpartner in der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen oder auf europäischer Ebene. Bei der Tarifautonomie: Noch immer sind für 77 Prozent aller Beschäftigen und für 55 Prozent aller Betriebe Löhne, Gehälter und Arbeitsbedingungen direkt oder indirekt durch Tarifverträge geregelt. Es gibt allerdings die Herausforderung, dass nicht mehr so viele Betriebe in einem Tarifverband sind, und auch immer weniger Beschäftigte in einer Gewerkschaft. Hier gilt es, gemeinsam daran zu arbeiten, dass die Tarifpartnerschaft attraktiver werden kann für mehr Betriebe und Beschäftigte. Unser Rezept ist: Wir müssen noch flexibler in den Tarifverträgen werden, noch offener. Da gab es in den vergangenen Jahren viele gute Lösungen. Ziel ist, dass mehr Arbeitgeber den gesamten Tarifvertrag und nicht ­­ z. B. nur Teile übernehmen. Wenn wir nicht auf dem Abstellgleis landen wollen, müssen wir als Sozialpartner die Betriebe beim Wandel unterstützen. Dafür haben wir mit dem Tarifvertrag aber ein anpassungsfähiges Instrument. Es ist mit Sicherheit keine Lösung, dass der Staat eingreift.

 

Die Bereitschaft, sich in einem Verband, Verein, einer Interessenvertretung oder Partei zu engagieren, sinkt insgesamt. Das hat mit der grundlegenden Veränderung der Gesellschaft zu tun. Die Frage ist jedoch auch bei den Sozialpartnern, inwiefern sie dann noch den Anspruch erheben können, für alle Betriebe und Beschäftigten zu sprechen, auch in den Sozialversicherungen oder gegenüber der Politik.

Tarifverträge gelten nicht nur für die Mitarbeiter, die in einer Gewerkschaft sind. Und auch viele Arbeitgeber, die nicht einem Arbeitgeberverband angehören, orientieren sich daran. Sozialpartnerschaft geht aber darüber hinaus. Die Vertreter der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in der Selbstverwaltung halte ich für zwingend, weil sie die Beitragszahler vertreten. Überall, wo es Selbstverwaltung gibt, sprechen die, die zahlen, mit. Die Legitimation bleibt deshalb bestehen. Das ist anders bei steuerfinanzierten Leistungen.

Was ist aber, wenn Sie sich z. B. in der Arbeitslosenversicherung dafür einsetzen, Überschüsse nicht durch Beitragssenkungen auch an die Arbeitgeber zurückzugeben, sondern beispielsweise für Fortbildungsmaßnahmen zu verwenden? Laufen dann nicht Arbeitgeber Sturm, die nicht bei Ihnen organisiert sind?

Wer soll das denn sonst entscheiden? Die Vertretungen der Sozialpartner in den Selbstverwaltungen werden durch die benannt oder gewählt, die auf der jeweiligen Sozialpartnerseite organisiert sind. Wir diskutieren innerhalb der Arbeitgeberverbände all die Fragen intensiv auch mit den Unternehmen und Betrieben.

 

Tarifautonomie bedeutet, dass der Staat sich aus Fragen heraushält, die Arbeitgeber und Gewerkschaften selbst regeln können. Da immer mehr Betriebe sich den Tarifverträgen entziehen, ist er aber dazu übergegangen, solche Fragen gesetzlich und durch den Mindestlohn zu bestimmen. Unterhöhlt das die Tarifautonomie und die Sozialpartnerschaft?

Ein klares Ja. Es schadet der Tarif- und auch der Betriebspartnerschaft massiv, wenn der Staat meint, er müsste sich einschalten, wenn er auf europäischer Ebene Mindestlöhne schafft oder die Einhaltung von Tarifverträgen zum Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Aufträge macht. Eine europäische Mindestlohnbürokratie sehe ich als eine Kompetenzanmaßung der Europäischen Kommission an.

 

Was können Sie dagegen tun?

Tarifverträge werden sich den veränderten Bedingungen noch stärker anpassen müssen. Wenn man sich die wandelnde Arbeitswelt und die der Zukunft anschaut, sieht man, dass sich die Herausforderungen immer schneller verändern und Betriebe sehr unterschiedlich sind, auch innerhalb von Branchen. Tarifverträge müssen darauf eine Antwort geben. Seit Beginn des Jahrtausends gibt es eine sehr positive Entwicklung in Richtung Zukunftsfähigkeit und Öffnungsklauseln für betriebliche Lösungen. Gerade in Krisensituationen. Schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, wie auch jetzt. Sie haben gute Dienste erwiesen. Aber die Innovation ist immer ausbaufähig, auf beiden Seiten. Das ist Aufgabe der Tarifpartner. Der Staat muss sie stützen und ihnen die Möglichkeit geben, sich weiter zu entwickeln, statt sie ersetzen zu wollen. Wenn man zurückschaut, nicht nur auf Krisenzeiten, ist das ein Erfolgsrezept. Interventionen durch den Staat können nur schaden.

 

Nicht nur große Digitalkonzerne und Start-ups entziehen sich den Tarifverträgen und der Mitbestimmung. Auch viele gerade jüngere Mitarbeiter halten sie wie die Gewerkschaften und Betriebsräte für überflüssig und überholt. Und es gibt zunehmend ungeregelte Arbeitsverhältnisse, Freiberufler, Scheinselbständige etwa als Paketboten oder Mitarbeiter in ausgelagerten Betrieben oder Leiharbeitsfirmen. Wie können die noch von der Sozial- und Tarifpartnerschaft erfasst werden?

Lässt man die aktuelle Krisensituation außen vor, ist der Anteil der sogenannten „atypischen“ neuen Arbeitsverhältnisse eher zurückgegangen, das „Normalarbeitsverhältnis“ hat sich verfestigt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist kontinuierlich gewachsen. Es stimmt: Über Soloselbständige und Plattform-Beschäftigte wird erst seit Kurzem diskutiert. Es gibt aber keine Daten, dass sie in großem Umfang zunehmen. Klar ist auch: Tarifpartnerschaft kann immer nur in den Betrieben für die dort Beschäftigten gelten.

 

Wie ist das bei Subunternehmern und Kontraktfirmen, etwa in der Bauwirtschaft oder der Fleischindustrie?

Auch wenn ein Zulieferer einen Auftrag verliert, lässt unser Arbeitsrecht nicht zu, dass er seine Mitarbeiter einfach auf die Straße setzt.

 

Heißt Sozialpartnerschaft nicht auch, dass ein Arbeitgeber für die Menschen, die bei ihm arbeiten, Verantwortung trägt, egal wo und bei wem sie wie beschäftigt sind?

Sicherlich sind in Betrieben, die sozialpartnerschaftlich kooperieren, die Möglichkeiten größer, möglichst viel Beschäftigung zu erhalten und Arbeitsbedingungen gemeinsam gut zu regeln. Es ist doch keine Frage, dass es ein großes Eigeninteresse eines Arbeitgebers gibt, dass er zufriedene Mitarbeiter beschäftigt.

 

Die Pandemie hat den Trend zum Homeoffice verstärkt. Wie verändert das die Unternehmens- und Arbeitskultur?

Eine der großen Herausforderungen ist das Führen von Teams und Einzelpersonen beim mobilen Arbeiten. In vielen Betrieben wurden Lösungen gefunden, wie es funktionieren kann. Klar ist aber, dass das kein Dauerzustand sein kann. Nach der Pandemie muss es wieder Möglichkeiten geben, sich im Betrieb und im Büro zu begegnen. Das entspricht uns als sozialen Wesen. Ich glaube, bei vielen ist die Sehnsucht groß, mal wieder zusammen einen Kaffee zu trinken oder gemeinsam in die Kantine zu gehen.

 

Unternehmen fühlen sich heute häufig nicht nur ihren Eigentümern, Aktionären und Mitarbeitern verpflichtet, sondern auch der gesamten Gesellschaft und dem Klima- und Umweltschutz. Was aber, wenn etwa beim Kohleausstieg wie schon beim Atomausstieg gesellschaftliche Interessen denen von Unternehmen und Mitarbeitern entgegenlaufen?

Bei Regelungen, die der Gesetzgeber getroffen hat, stoßen Betriebspartner an ihre Grenzen. Der Mehrwert der Sozialpartnerschaft ist zwar auch, dass man gemeinsam seine Interessen formulieren kann. Letztlich bleibt aber die zentrale Frage, wie man insgesamt gemeinsam Lösungen findet, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen: die ökologische Transformation, die Digitalisierung, den demografischen Wandel. In der Praxis heißt das, dass man einen Weg finden muss, um Ökologie und Ökonomie zusammenzudenken.

 

Braucht es dafür Anstöße von außen und eine Partnerschaft mit anderen Verbänden und NGOs?

Wir reden und diskutieren natürlich auch mit NGOs und versuchen auch da, auf Interessenausgleich hinzuwirken, pragmatisch, nicht ideologisch. Am Beispiel Kohleausstieg kann man sehen, dass die Kohlekommission mit Vertretern auch der Arbeitgeber die Fragen zu einem guten Ergebnis gebracht hat. Wir haben unsere Interessen eingebracht, aber am Ende war es ein Kompromiss.

 

Es gab Streit um die Testpflicht in den Betrieben. Ist es nicht Teil der Verantwortung der Arbeitgeber für ihre Beschäftigten, dass sie sie regelmäßig testen lassen und sie so gut wie möglich vor einer Infektion schützen – auch im eigenen Interesse, damit Mitarbeiter nicht ausfallen oder gar schwer erkranken und sterben?

Die Arbeitgeber haben gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern seit Beginn der Pandemie daran gearbeitet, beispielsweise mit guten Hygienekonzepten und der Bereitschaft zu mobilem Arbeiten vieles möglich zu machen, um Arbeitsplätze sicher zu machen und die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen. Wir haben gemeinsam mit den anderen Spitzenverbänden der Wirtschaft Anfang März dazu aufgerufen, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten Selbsttests und, wo dies möglich ist, Schnelltests anbieten, um Infektionen frühzeitig zu erkennen. Sehr viele Unternehmen sind unserem Appell mit großem Engagement gefolgt. Aber natürlich stehen vor allem die vielen kleinen und mittelständischen Betriebe vor großen Problemen, beispielsweise bei der Beschaffung von Tests oder aufgrund ungeklärter rechtlicher Fragen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.


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