„Die Sozialpartnerschaft sichert gesellschaftlichen Frieden“

Christina Ramb im Gespräch

Im vergangenen Jahr ist Christina Ramb als erste Frau in die Führung der deutschen Arbeitgeberverbände eingezogen. Ludwig Greven spricht mit dem Führungsmitglied der Arbeitgeberverbände über die Herausforderungen durch den Wandel der Arbeitswelt, Mitgliederschwund und die Coronakrise.

 

Ludwig Greven: Bedauern Sie es, dass bei Amazon kürzlich kein Betriebsrat gegründet wurde?

Christina Ramb: Sozialpartnerschaft basiert immer auf Freiwilligkeit. Deshalb ist es nicht an uns als Vertreter der Arbeitgeber, zu sagen, ob ein Unternehmen einen Betriebsrat oder einen Tarifvertrag haben muss. Sozialpartnerschaft auf Tarif- oder Mitbestimmungsebene kann ein Garant sein für Planungssicherheit, wirtschaftliche Stabilität und Konfliktfreiheit.

 

Sind selbstbewusste Personalvertretungen und Gewerkschaften im internationalen Wettbewerb eher ein Nachteil oder ein Vorteil?

Ich bewerte es als ganz klaren Vorteil. Betriebs- und Tarifpartnerschaft können, das haben wir jetzt gerade in der Corona-krise wieder gesehen, sehr dazu beitragen, Probleme in einem Betrieb praxisnah zu lösen. Ob es nun Vereinbarungen zur Kurzarbeit waren oder wie schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise Vereinbarungen zur Arbeitszeit.

 

Zu Beginn der Industrialisierung sprach man von Klassenkampf. Sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer noch Gegner – oder Partner, wie der Begriff Sozialpartnerschaft suggeriert?

Die Sozialpartnerschaft ist einer der Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben sich nicht nur in Krisenzeiten stets gemeinsam verantwortungsvoll für das Gemeinwohl eingesetzt. Wir betrachten die Gewerkschaften als unseren Partner. Ich würde immer dafür plädieren, dass man in einem Betrieb und als Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften konstruktiv miteinander umgeht und so zu Vereinbarungen kommt, die auf beiden Seiten funktionieren.

 

Die Interessen sind jedoch unterschiedlich. Besonders große Aktiengesellschaften sind auf möglichst großen Gewinn aus. Die Mitarbeiter und Gewerkschaften wollen in erster Linie gute Löhne, gute Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze.

Ich sehe das anders. Im Ziel sind sich beide Seiten im Grundsatz einig: Wichtig ist, dass ein Betrieb wettbewerbsfähig bleibt und so auch Arbeitsplätze sichert und schafft. Bei der letzten großen Bewährungsprobe in der Finanzkrise 2008/2009 haben die Sozialpartner gemeinsam in ihrer Verantwortungspartnerschaft mit der Politik, als Tarifpartner und auf betrieblicher Ebene wesentlich dazu beigetragen, dass die Menschen in Arbeit und die Unternehmen im Markt blieben. Ohne die Sozialpartnerschaft und ohne deren Kernprodukt, den Flächentarifvertrag, wäre Deutschland heute schwächer. Sie sichert gesellschaftlichen Frieden, schafft gute Arbeitsbedingungen, ist Teil unseres wirtschaftlichen Erfolgs und Ausdruck gelebter Demokratie.

 

Die Gewerkschaften wie die Arbeitgeberverbände verlieren jedoch seit Langem Mitglieder. Bricht damit nicht ihre Legitimation weg, nicht nur Tarifverträge, sondern auch sozialpolitische Fragen in den Sozialversicherungen paritätisch für die gesamte Gesellschaft, jedenfalls die Beitragszahler, zu vereinbaren?

Man muss unterscheiden zwischen der Tarif- und Betriebspartnerschaft und der Rolle der Sozialpartner in der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen oder auf europäischer Ebene. Bei der Tarifautonomie: Noch immer sind für 77 Prozent aller Beschäftigen und für 55 Prozent aller Betriebe Löhne, Gehälter und Arbeitsbedingungen direkt oder indirekt durch Tarifverträge geregelt. Es gibt allerdings die Herausforderung, dass nicht mehr so viele Betriebe in einem Tarifverband sind, und auch immer weniger Beschäftigte in einer Gewerkschaft. Hier gilt es, gemeinsam daran zu arbeiten, dass die Tarifpartnerschaft attraktiver werden kann für mehr Betriebe und Beschäftigte. Unser Rezept ist: Wir müssen noch flexibler in den Tarifverträgen werden, noch offener. Da gab es in den vergangenen Jahren viele gute Lösungen. Ziel ist, dass mehr Arbeitgeber den gesamten Tarifvertrag und nicht ­­ z. B. nur Teile übernehmen. Wenn wir nicht auf dem Abstellgleis landen wollen, müssen wir als Sozialpartner die Betriebe beim Wandel unterstützen. Dafür haben wir mit dem Tarifvertrag aber ein anpassungsfähiges Instrument. Es ist mit Sicherheit keine Lösung, dass der Staat eingreift.

 

Die Bereitschaft, sich in einem Verband, Verein, einer Interessenvertretung oder Partei zu engagieren, sinkt insgesamt. Das hat mit der grundlegenden Veränderung der Gesellschaft zu tun. Die Frage ist jedoch auch bei den Sozialpartnern, inwiefern sie dann noch den Anspruch erheben können, für alle Betriebe und Beschäftigten zu sprechen, auch in den Sozialversicherungen oder gegenüber der Politik.

Tarifverträge gelten nicht nur für die Mitarbeiter, die in einer Gewerkschaft sind. Und auch viele Arbeitgeber, die nicht einem Arbeitgeberverband angehören, orientieren sich daran. Sozialpartnerschaft geht aber darüber hinaus. Die Vertreter der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in der Selbstverwaltung halte ich für zwingend, weil sie die Beitragszahler vertreten. Überall, wo es Selbstverwaltung gibt, sprechen die, die zahlen, mit. Die Legitimation bleibt deshalb bestehen. Das ist anders bei steuerfinanzierten Leistungen.

Christina Ramb & Ludwig Greven
Christina Ramb ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und alternierende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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