„Kunst ohne Risiko gibt es nicht“

Tanja Dückers im Gespräch

 

Wäre beides mehr als ein Symbol? 

Es wäre ein sehr wichtiges Zeichen, gerade auch für Menschen, die weniger kulturaffin sind. Das würde eine enorme Aufwertung der Kultur bedeuten. 

 

Reicht Ihnen, was sich darüber hinaus an konkreten Vorhaben der Ampel-Regierung abzeichnet? 

Ich habe große Sorge, dass sich die FDP als kleinster Koalitionspartner durchsetzt wie beim Tempolimit und wichtige Dinge verhindert. SPD und Grüne fordern z. B. einen branchenspezifischen Mindestlohn für Kreative. Dann könnte ich einem Verlag sagen: Sie wollen eine 12-seitige Kurzgeschichte von mir und dafür 300 Euro brutto bezahlen? Das ist nicht unüblich, auch bei großen Verlagen. Nein danke, damit erhalte ich nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn. Zwei Euro pro Stunde, das geht einfach nicht. In Schweden erhalten Schriftstellerinnen und Schriftsteller ab einer bestimmten Anzahl von nicht im Selbst- verlag publizierten Büchern ein unbefristetes Staatsstipendium. Das könnte man bei uns auch mal diskutieren. 

 

Schriftsteller wie Sie und andere Künstler wären dann aber noch stärker vom Staat und möglicher politischer Einflussnahme abhängig. 

Abhängigkeiten von Geldgebenden haben wir jetzt schon. Das fängt bei Verlagen an, die einem hineinreden, die bestimmte Bücher wollen und andere nicht, und endet bei Stipendien, die nicht selten an Auflagen geknüpft sind: z. B. über eine bestimmte Region (positiv) zu schreiben, in die man reist oder hier und da repräsentative Aufgaben zu erfüllen. Davon abgesehen, gibt es schon Preise und Stipendien, die von staatlicher Seite“ vergeben werden, in Berlin z. B. das Senatsstipendium, ich habe das auch erhalten. Aber für die meisten Künstlerinnen und Künstler verschiedenster Gattungen ist die Lebensmitte schwierig: Erst wird man als Newcomer, als Debütantin, beachtet, später wird das Lebenswerk geehrt, aber dazwischen? In Deutschland veröffentlicht nur jeder zehnte Autor ein zweites Buch. 

 

Und darüber hinaus? 

Die Rede war auch von verbindlichen Honoraruntergrenzen. Wichtig wäre zudem eine dauerhafte Erhöhung des Staatszuschusses zur Künstlersozialkasse, damit die KSK nicht ins Wanken gerät, sowie eine KSK-Abgabe der digitalen Plattformen. Das ist überfällig, angesichts dessen, wie viel Kunst und Kultur ins Digitale abwandert, genauso wie eine Reform des Urheberrechts. Ich habe es gerade erlebt bei einer Kollegin, deren Roman verfilmt wird. Sie erhält ein lächerliches Honorar und durfte nicht einmal den Titel aussuchen. Viele Künstlerinnen und Künstler verstehen von juristischen und finanziellen Fragen wenig und sind nicht in der Lage, ihr eigenes Produkt zu verteidigen. Das ist nicht unbedingt Sache des Staates, aber ein Grund, warum Kreative sehr viel Geld gar nicht erst einnehmen. Da würde ich mir Ausbildungsmodule wünschen. Durch die Digitalisierung ist der künstlerischen Ausbeutung Tor und Tür geöffnet. Bei Büchern sind die Tantiemen festgeschrieben, bei den E-Books schwanken sie zwischen 25 und 50 Prozent, je nach Verhandlungsgeschick. Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben das aber meist nicht. Ihr Einkommen sollte nicht davon abhängen, ob sie gewiefte Füchse sind oder nicht. Auch Agenturen nehmen keineswegs alle Arbeit ab und verhandeln z. B. im Allgemeinen keine Lesungsgagen. 

 

Warum engagieren sich Kunstschaffende nicht stärker für ihre eigenen Belange? 

Es gibt natürlich einzelne, die das tun. Aber den meisten liegt das nicht. Künstlerinnen und Künstler sind oft eher Individualisten und nicht gewohnt, Lobbyarbeit zu betreiben, in Gruppenzusammenhängen zu denken. Sie neigen zudem nicht unbedingt zu kurzen Formeln. In der politischen Öffentlichkeit muss man aber eine Art Werbesprech draufhaben, Komplexitätsreduktion betreiben. Das ist stilistisch und inhaltlich das Gegenteil der Arbeit von Literatinnen und Literaten. Auch mir widerstrebt, in einer plakativ-agitatorischen Form zu sprechen. Eine andere Antwort: Gesellschaftliche Gruppierungen bzw. Identitätsangebote werden immer kleinteiliger, es gibt meist nicht viel Solidarität über diese sozial hoch individualisierten Gruppierungen hinaus, sofern es nicht um höhere Ziele wie das Klima geht. Das ist zwar menschlich nachvollziehbar, aber wirklich solidarisch ist es doch, wenn sich jemand für eine gesellschaftliche Gruppe oder Zunft engagiert, der er eben nicht selbst angehört. Da fangen für mich Demokratie und Solidarität erst wirklich an. 

 

Sind Frauen in der Kulturbranche immer noch benachteiligt? Was müsste da getan werden? 

Ja, natürlich. Ich könnte viele Beispiele dafür liefern, Ähnliches erzählen mir auch Kolleginnen immer wieder. Ein Beispiel: Ich habe mal für eine Podiumsdiskussion einer SPD-nahen Institution – ich war die einzige Frau – ein deutlich geringeres Honorar erhalten als meine männlichen Mitdiskutanten, wie ich hinterher erfahren habe. Als ich nachhakte, wurde mir gesagt: Die Männer hätten halt besser verhandelt. Doch mir gegenüber war zuvor von einem fixen Honorar“ gesprochen worden. Frauen wollen meist nicht um Honorare wie auf dem Sportplatz kämpfen. Zu oft existieren solche, nicht von Frauen gemachte unausgeprochene Spielregeln. Ich halte es daher für unabdingbar, dass z. B. bei der Vergabe von Stipendien, von Preisen oder bei der Besetzung von Intendanzen, in Jurys und Gremien einigermaßen auf Gleichstellung geachtet wird. Anders als mit solchen numerischen Mitteln kommen wir leider nicht voran. 

 

Vielen Dank. 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Tanja Dückers & Ludwig Greven
Tanja Dückers ist Schriftstellerin und Journalistin. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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