„Die politische Bedeutung der Kultur wurde signifikant gestärkt“

Monika Grütters im Gespräch

Nach acht Jahren im Amt blickt die scheidende Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Gespräch mit Hans Jessen auf ausgewählte Schwerpunktthemen ihrer Amtszeit zurück.

 

Hans Jessen: Frau Grütters, in ein paar Tagen werden Sie wohl nicht mehr Kulturstaatsministerin sein. Welcher Satz soll nach Ihrer achtjährigen Amtszeit auf Dauer mit dem Namen Monika Grütters verbunden bleiben?
Monika Grütters: Dass es gelungen ist, die politische Bedeutung der Kultur signifikant zu stärken. Die Kultur hat in den vergangenen Jahren an Relevanz gewonnen – nicht nur für Kreative und ihr Publikum, sondern für die gesamte Gesellschaft. Die Schärfung des Bewusstseins dafür, welche Bedeutung Kultur für unser Gemeinwesen hat, bleibt hoffentlich.

 

Im kommenden Jahr wird der Kulturetat des Bundes wieder über 2 Milliarden liegen, 1,3 Milliarden waren es bei Ihrem Amtsantritt. Wie viel von diesem Aufwuchs rechnen Sie sich persönlich zu?
Es ist ein großer Vorteil, als erfahrene Parlamentarierin in diesem Amt zu sein und im permanenten Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen im Bundestag über Etaterhöhungen verhandeln zu können. Anders wäre dieser Etatzuwachs sehr wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Es gab aber auch immer wieder Initiativen aus dem Parlament – da ging es um konkrete Einzelprojekte, nicht um institutionelle Maßnahmen. Die kontinuierliche Steigerung des Kulturhaushalts basiert vor allem auf politischer Überzeugungsarbeit.

 

Das Amt ist in gewisser Weise delikat: Im deutschen Föderalismus ist Kultur Ländersache. Die Länder achten sehr darauf – aber finanzielle Unterstützung für Kunst- und Kulturarbeit ist stets hochwillkommen. Der oder die BKM soll gern die Spendierhosen anhaben – jedoch wenig Vorgaben machen. Hatten Sie beim Amtsantritt eine klare Strategie, wie Sie diesen Spagat bewältigen wollten?
Vor dem Bundestagsmandat habe ich zehn Jahre lang in Berlin als Mitglied des Abgeordnetenhauses klassische Landeskulturpolitik gemacht. Insofern wusste ich, welche Diskussionen mich als Kulturstaatsministerin des Bundes erwarten. Ich kann mich auch noch gut an die heftigen Grundsatzdebatten erinnern, als Gerhard Schröder 1998 dieses Amt ins Leben gerufen hat: „überflüssig wie ein Marineminister in der Schweiz“ oder „Verfassungsfolklore“ hieß es damals. Um die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu verbessern, haben wir von Beginn meiner Amtszeit an die regelmäßigen „kulturpolitischen Spitzengespräche“ intensiviert: In der Regel treffen sich zweimal jährlich die Kulturministerinnen und -minister der Länder mit der Staatsministerin des Bundes und Vertretern der Bundes- und Länder-Kulturstiftungen sowie der kommunalen Spitzenverbände. Während meiner zweiten Amtszeit haben dann die Länder ihrerseits reagiert und eine Kulturministerkonferenz innerhalb der Kultusministerkonferenz gegründet. Damit wurden sinnvolle Strukturen für den Austausch zwischen Bund und Ländern geschaffen. Dabei haben wir alle festgestellt, dass wir gemeinsam mehr erreichen, als wenn jeder einzeln agiert. Sowohl die Gründung des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste als auch die gemeinsame Initiative für die Rückgabe der Benin-Bronzen im vergangenen Frühjahr beispielsweise sind gelungen, weil wir systematisch diese Strukturen des Austauschs geschaffen haben.

 

Wie oft haben Sie Kulturministerinnen und -minister anderer Staaten beneidet, die – Beispiel Frankreich – eine lange Tradition zentralistischer Kulturpolitik haben, organisatorisch wie Inhalte setzend?
Frankreich und andere eher zentralistisch organisierte Länder habe ich aus der kulturpolitischen Perspektive nie beneidet. Den Dialog und den Wettbewerb der Ideen, auch das Ausbalancieren von Machtgefügen, empfinde ich als sehr stimulierend. In den allermeisten Fällen war die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag konstruktiv. Nur über zuweilen sehr selbstbewusste und eigenmächtige Politiker des Haushaltsausschusses musste ich mich gelegentlich ärgern, z. B. über den Beschluss, das Fotoinstitut solle nach Düsseldorf. Das war eine Brüskierung einer hochrangig besetzten Expertenkommission, wie ich sie in meiner ganzen Amtszeit nicht erlebt habe. Ich bleibe dabei, dass Essen der bessere Standort für das Fotoinstitut wäre und hoffe sehr, dass die neue Bundesregierung dieses Projekt umsetzt.

 

Aber zurück zu Frankreich: Dort beneidet man uns manchmal sogar darum, dass wir z. B. das Land mit der höchsten Theaterdichte in der Welt sind. An kleinen und scheinbar wenig beachteten Orten findet tolle Musikkultur statt. Die „Walküre in Detmold“ ist für das dichte Netz geistiger Tankstellen überall in Deutschland so eine Wortmarke. Frankreich hat natürlich Paris und einige andere Zentren, muss aber großen Aufwand betreiben, Kultur auch in die Fläche zu bringen. Nebenbei bemerkt: In meinen acht Amtsjahren habe ich in Frankreich sechs Kolleginnen und Kollegen kennengelernt …

 

Gibt es einen Begriff, der Ihre Vorstellung von nationaler Kulturpolitik auf den Punkt bringt?
Wir sind für gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land zuständig. Sie stehen in der Verfassung. Im Gegensatz zu Kommunen und Ländern kann der Bund das auch leisten. Dieses Versprechen muss der Bund in der Kulturpolitik auch einlösen. Er kümmert sich ums große Ganze und hat für fairen Ausgleich zu sorgen.

 

Die Hauptstadt Berlin hat eine dienende Funktion für ganz Deutschland. All das, was aus dem Bundeskulturetat in die Hauptstadt fließt, ist ein Angebot an die gesamte Republik. Die Hauptstadt Berlin ist, ob gewollt oder nicht, an historischen und auch künstlerischen Potenzialen reicher als andere Regionen – auch wegen der Brüche in unserer Geschichte. Damit angemessen umzugehen kann und muss man von unserer Hauptstadt erwarten können. Wir können froh sein, dass Berlin sich sehr stark über die Kultur definiert.

 

„Schaufenster der Republik“ – das soll eben nicht nur ein nicht funktionierender Flughafen sein.

 

Wie wichtig war und ist Ihnen das, was man „Eventkultur“ nennt? Das öffentlichkeitswirksame Spektakel?
Ich bin kein „Eventhase“, um es mal etwas flapsig zu sagen. Natürlich darf man einmal im Jahr die Berlinale eröffnen, oder in Bayreuth sein, oder den Deutschen Filmpreis vergeben und einmal im Jahr die Galaveranstaltung im Jüdischen Museum zu Berlin besuchen – das gehört zu den schönen Aufgaben einer Kulturstaatsministerin, und das wird auch für meine Nachfolgerin gelten. Aber der Kulturetat wäre doch nicht um 73 Prozent gestiegen, wenn es nicht um ein viel größeres Aufgabenspektrum, um das fundamentale Moment von Kultur ginge.

 

Ich habe im Übrigen wesentlich mehr Zeit, Kraft und Anstrengung der Erinnerungskultur gewidmet; das war der durchgehende Schwerpunkt meiner Arbeit, die Auseinandersetzung mit schwierigsten Phasen unserer Geschichte. Da kommen Sie mit „Eventkultur“ nicht weiter, sondern das ist mühsame und beharrliche Arbeit. Das ist Arbeit ohne Showelement, die mit Demut und Zurückhaltung geleistet werden muss.

 

Bei den Stichworten „Raubkunst“ und „Provenienzforschung“ gibt es gemischte Reaktionen: So loben z. B. gerade kleinere Museen, dass sie überhaupt erst durch Bundesmittel in die Lage versetzt wurden, die Provenienzen ihrer eigenen Bestände zu erforschen. Im Fall „Gurlitt“ dagegen der Vorwurf, die spektakulären Maßnahmen gegen Cornelius Gurlitt seien unverhältnismäßig gewesen, weil von 1.500 Werken seiner Sammlung nur 14 als Raubkunstarbeiten identifiziert wurden.
Gegenfrage: Woher wüssten wir denn, dass es nur diese wenigen Raubkunststücke sind, wenn wir den Kunstfund Gurlitt nicht sorgfältig aufgearbeitet hätten? Der von uns betriebene Aufwand wurde gelegentlich kritisiert. Dazu gab es aber überhaupt keine Alternative. Aufwand und Mühe im Fall Gurlitt haben sich allein schon deswegen gelohnt, weil wir transparent und gründlich an die Sache herangegangen sind. Durch die sehr systematische, tiefgehende Aufarbeitung dieses spektakulären Falls haben wir uns international Vertrauen erworben, auch in der jüdischen Gemeinschaft. Das hat unserer Gesellschaft gutgetan. Und es war der erste große Fall im Bereich Provenienzforschung, an dem internationale Forscherteams zusammengearbeitet haben. Das hatte es vorher so nicht gegeben. Hinter die dadurch etablierten Standards kann man auch in Zukunft nicht mehr zurückfallen.

 

Thematisch verbunden mit dem Thema Raubkunst ist das Humboldt Forum. Kolonialismus und Raubkunst, exemplarisch festgemacht an den Benin-Bronzen und dem Luf-Boot.
Das Humboldt Forum habe ich übernommen, als schon ein Großteil der Bauarbeiten geleistet war – ohne dass man sich konkrete konzeptionelle Gedanken gemacht hätte. Bei meinem Amtsantritt 2013 wurde nur über den Aufbau des Schlosses geredet, aber nicht über die Inhalte des Humboldt Forums. Das mussten wir nachholen. Dabei hat uns Neil MacGregor mit seiner internationalen Erfahrung sehr geholfen. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.

 
Ich vermute, Sie hatten die Fragen das Umgangs mit Exponaten, die im Fokus der Debatte um Kolonialismus und Raubkunst stehen, schon länger auf dem Schirm. Hätten Sie sie nicht stärker und früher von Amts wegen forcieren können?
Von Kulturpolitikern erwartet man zu Recht, dass sie sich aus den Inhalten der von ihnen geförderten Kultureinrichtungen so weit wie möglich heraushalten. Auch beim Thema Kolonialismus gilt mein Credo: Die Kulturpolitik setzt die Rahmenbedingungen, ohne übergriffig zu werden und den Museen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Dennoch habe ich im Hinblick auf den Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten immer gemahnt und gedrängelt, gerade beim Humboldt Forum. Im Übrigen tut es uns allen ja sehr gut, dass das Humboldt Forum diese wichtige Gesellschaftsdebatte befeuert hat. Dadurch wird ein Stück weit das Versprechen eingelöst: Das Humboldt Forum ist tatsächlich ein Museum neuen Typs geworden, das sich mit den großen Themen und Debatten der Menschheit beschäftigt und nicht nur Europas Kultur zeigt – die kennen wir ja schon aus anderen Häusern. Und bei der BKM gibt es jetzt ein eigenes Referat und einen eigenen Haushaltstitel zur Aufarbeitung des Kolonialismus.

Monika Grütters und Hans Jessen
Monika Grütters ist Staatsministerin für Kultur und Medien bei der Bundeskanzlerin. Hans Jessen ist freier Publizist.
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