„Kunst ohne Risiko gibt es nicht“

Tanja Dückers im Gespräch

Die Schriftstellerin Tanja Dückers spricht mit Ludwig Greven über ihre Erwartungen an die neue Regierung, über Mindesthonorare für Literaten und die Benachteiligung von Frauen in der Kulturbranche.

 

Ludwig Greven: Wie sehr hat Sie als Autorin die Pandemie getroffen? 

Tanja Dückers: Ich sollte im vergangenen Herbst in den USA ein Stipendium antreten, konnte aber nicht einreisen. Das wäre für mich die mit Abstand größte Einnahme in dem Jahr gewesen. Das war schon hart. Außerdem fielen viele Veranstaltungen aus. Einige fanden zwar online statt, man erhält jedoch nicht immer das gleiche Honorar. Als Mutter eines Schulkinds war ich im Lockdown sehr mit Unterrichten und Beschäftigen eingespannt, es gab faktisch keinen Online-Unterricht. Doch irgendwann habe ich gemerkt: Mir fehlt die literarische, die intellektuelle Öffentlichkeit. Normalerweise gehe ich zu Lesungen, Ausstellungen, Performances, ins Theater, treffe hier und dort Kolleginnen und Kollegen. Der Austausch mit anderen Literatinnen und Literaten über unsere Arbeit, Politik, Fragen der Zeit fehlte mir. Das habe ich schon als eine Einschränkung empfunden, auch im Denkhorizont. Und mir fehlte der Kontakt zu meinem Publikum. Der Buchverkauf hat ebenfalls gelitten. Trotzdem hat mich das laute, fortgesetzte Klagen mancher Kolleginnen und Kollegen gestört– es gibt Leute, denen es in dieser Krise deutlich schlechter ging und geht. Ich habe meinen Job nicht verloren, konnte weiter Texte publizieren und habe an einem Buch gearbeitet, das jetzt erscheint. Die Kolleginnen und Kollegen, deren Bücher mitten im Lockdown erschienen, taten mir allerdings sehr leid. 

 

Schriftsteller sind in der Regel wie alle Künstler freiheitsliebende Menschen. Haben Sie Verständnis für Künstler, die sich nicht vom Staat und der Politik einschränken lassen wollen? 

Den Anspruch, wir sind auch systemrelevant, halte ich für eitel und falsch. Wenn ich im Krankenhaus läge, und viele Tausende waren wegen Corona im Krankenhaus, hätte ich an meiner Seite lieber eine Krankenschwester als einen Dichter. Nach der Pandemie kann man wieder auf sich aufmerksam machen. Die Kultur ist sehr relevant, aber es erscheint mir unpassend, in dieser Situation mit z. BPflegekräften in Konkurrenz treten zu wollen. Literatinnen und Literaten pflegen gern einen sozialkritischen Habitus, betonen, dass man doch bitte auch die Menschen mit wenig prestigeträchtigen Berufen wahrnehmen soll. Nun gab es eine Situation, die diese Menschen tatsächlich in den Fokus rückte. Da hätte man auch sagen können: Ich verliere zwar gerade Geld und Resonanz. Aber es ist einfach nicht der Moment für meine narzisstische Bühne. 

 

Warum haben gerade Künstler und Schauspieler darauf so kritisch reagiert? 

Kunstschaffende neigen dazu, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Ich schließe mich da nicht aus. Die Pandemie bedeutete für die Branche neben aller berechtigten Unzufriedenheit auch eine narzisstische Kränkung, eine psychologische Herausforderung. Dieses Wort (nicht) systemrelevant muss man erst mal verkraften können. Das könnte noch mal ein interessantes literarisches Sujet sein. 

 

Anfangs gab es für Künstler wie für Pflegekräfte viel verbale Solidarität und kreative Aktionen wie Musik vom Balkon. Darum ist es still geworden. Sind Kunst und Kultur doch nicht so wichtig? 

Ich fand diese Stimmung und einige spontane Aktionen im öffentlichen Raum sehr berührend. Es sind weniger geworden, auch weil es ja wieder Kulturveranstaltungen gibt. Von der Politik erhoffe ich mir, dass sie mit Kultur nicht nur, wie gern hier in Berlin, massiv für den attraktiven Standort“ wirbt, sondern auch die Künstlerinnen und Künstler selbst, die diese Kultur hervorbringen, stärker im Blick hat. Gerade jetzt. Ich mache mir schon Sorgen, dass nach anderthalb Pandemiejahren beim einstigen Publikum nun die Haltung vorherrscht, es geht ja auch ohne Live-Kultur, es gibt ja Netflix. Auch bei Verlagen sehe ich die Tendenz, Programme zu reduzieren mit der Begründung, wir mussten viele Titel verschieben, die nun erst mal nachgeholt werden müssen. Man ist nicht sehr risikofreudig. Aber Kunst ohne Risiko gibt es nicht. 

 

Kultur hat auch die Aufgabe, eine Selbstreflexion der Gesellschaft über sich zu ermöglichen. Wie sehr fehlt das? 

Auf die Dauer bekommen wir eine Art geistig-mentales Long Covid, eine Art Fatigue-Syndrom als Folge der Abwesenheit von Kultur in der Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzungen, zu denen Kunstwerke, welchen Genres auch immer, einladen, sind wichtig für die innere Verfasstheit einer Gesellschaft. Wofür und wogegen sich eine Gesellschaft positioniert, wie sie wählt, entscheidet, ob sie für oder gegen einen Kriegseinsatz stimmt, was für eine Umweltpolitik sie betreibt, wie sie mit Minderheiten umgeht: Die Haltung der Öffentlichkeit zu vielen neuralgischen Fragen bildet sich in einem kollektiven Metage-spräch heraus, das in starkem Maße von der Kultur mit- und ausgetragen wird. Das Tolle dabei ist, dass in der Kultur die Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Wenn man in eine Ausstellung geht, eine Lesung, ein Konzert, schwingt oft im Werk eine humanistische Grundhaltung mit, sind Plädoyers für Freiheit, Toleranz, Mitmenschlichkeit in Kunstwerken implizit enthalten, ohne dass der Betrachter hiermit ideologisch konfrontiert, belehrt wird. Ich glaube, dass Kunst als Transportmittel für Demokratie sehr erfolgreich ist. Wir wissen noch nicht, was es bewirkt, dass sie so lange nun in der Öffentlichkeit nicht oder kaum präsent war. 

 

Was müsste die Politik tun, um die Kultur weiter zu unterstützen, wenn die Pandemie irgendwann vorbei ist? 

Wichtig ist, wer Monika Grütters nachfolgt. Sie hat eine engagierte Kulturpolitik gemacht. Zum anderen: Wird das Amt des Kulturstaatsministers zu einem eigenen Ressort aufgewertet? Wird Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert, wie es der Deutsche Kulturrat fordert? 

 

 

Wäre beides mehr als ein Symbol? 

Es wäre ein sehr wichtiges Zeichen, gerade auch für Menschen, die weniger kulturaffin sind. Das würde eine enorme Aufwertung der Kultur bedeuten. 

 

Reicht Ihnen, was sich darüber hinaus an konkreten Vorhaben der Ampel-Regierung abzeichnet? 

Ich habe große Sorge, dass sich die FDP als kleinster Koalitionspartner durchsetzt wie beim Tempolimit und wichtige Dinge verhindert. SPD und Grüne fordern z. B. einen branchenspezifischen Mindestlohn für Kreative. Dann könnte ich einem Verlag sagen: Sie wollen eine 12-seitige Kurzgeschichte von mir und dafür 300 Euro brutto bezahlen? Das ist nicht unüblich, auch bei großen Verlagen. Nein danke, damit erhalte ich nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn. Zwei Euro pro Stunde, das geht einfach nicht. In Schweden erhalten Schriftstellerinnen und Schriftsteller ab einer bestimmten Anzahl von nicht im Selbst- verlag publizierten Büchern ein unbefristetes Staatsstipendium. Das könnte man bei uns auch mal diskutieren. 

 

Schriftsteller wie Sie und andere Künstler wären dann aber noch stärker vom Staat und möglicher politischer Einflussnahme abhängig. 

Abhängigkeiten von Geldgebenden haben wir jetzt schon. Das fängt bei Verlagen an, die einem hineinreden, die bestimmte Bücher wollen und andere nicht, und endet bei Stipendien, die nicht selten an Auflagen geknüpft sind: z. B. über eine bestimmte Region (positiv) zu schreiben, in die man reist oder hier und da repräsentative Aufgaben zu erfüllen. Davon abgesehen, gibt es schon Preise und Stipendien, die von staatlicher Seite“ vergeben werden, in Berlin z. B. das Senatsstipendium, ich habe das auch erhalten. Aber für die meisten Künstlerinnen und Künstler verschiedenster Gattungen ist die Lebensmitte schwierig: Erst wird man als Newcomer, als Debütantin, beachtet, später wird das Lebenswerk geehrt, aber dazwischen? In Deutschland veröffentlicht nur jeder zehnte Autor ein zweites Buch. 

 

Und darüber hinaus? 

Die Rede war auch von verbindlichen Honoraruntergrenzen. Wichtig wäre zudem eine dauerhafte Erhöhung des Staatszuschusses zur Künstlersozialkasse, damit die KSK nicht ins Wanken gerät, sowie eine KSK-Abgabe der digitalen Plattformen. Das ist überfällig, angesichts dessen, wie viel Kunst und Kultur ins Digitale abwandert, genauso wie eine Reform des Urheberrechts. Ich habe es gerade erlebt bei einer Kollegin, deren Roman verfilmt wird. Sie erhält ein lächerliches Honorar und durfte nicht einmal den Titel aussuchen. Viele Künstlerinnen und Künstler verstehen von juristischen und finanziellen Fragen wenig und sind nicht in der Lage, ihr eigenes Produkt zu verteidigen. Das ist nicht unbedingt Sache des Staates, aber ein Grund, warum Kreative sehr viel Geld gar nicht erst einnehmen. Da würde ich mir Ausbildungsmodule wünschen. Durch die Digitalisierung ist der künstlerischen Ausbeutung Tor und Tür geöffnet. Bei Büchern sind die Tantiemen festgeschrieben, bei den E-Books schwanken sie zwischen 25 und 50 Prozent, je nach Verhandlungsgeschick. Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben das aber meist nicht. Ihr Einkommen sollte nicht davon abhängen, ob sie gewiefte Füchse sind oder nicht. Auch Agenturen nehmen keineswegs alle Arbeit ab und verhandeln z. B. im Allgemeinen keine Lesungsgagen. 

 

Warum engagieren sich Kunstschaffende nicht stärker für ihre eigenen Belange? 

Es gibt natürlich einzelne, die das tun. Aber den meisten liegt das nicht. Künstlerinnen und Künstler sind oft eher Individualisten und nicht gewohnt, Lobbyarbeit zu betreiben, in Gruppenzusammenhängen zu denken. Sie neigen zudem nicht unbedingt zu kurzen Formeln. In der politischen Öffentlichkeit muss man aber eine Art Werbesprech draufhaben, Komplexitätsreduktion betreiben. Das ist stilistisch und inhaltlich das Gegenteil der Arbeit von Literatinnen und Literaten. Auch mir widerstrebt, in einer plakativ-agitatorischen Form zu sprechen. Eine andere Antwort: Gesellschaftliche Gruppierungen bzw. Identitätsangebote werden immer kleinteiliger, es gibt meist nicht viel Solidarität über diese sozial hoch individualisierten Gruppierungen hinaus, sofern es nicht um höhere Ziele wie das Klima geht. Das ist zwar menschlich nachvollziehbar, aber wirklich solidarisch ist es doch, wenn sich jemand für eine gesellschaftliche Gruppe oder Zunft engagiert, der er eben nicht selbst angehört. Da fangen für mich Demokratie und Solidarität erst wirklich an. 

 

Sind Frauen in der Kulturbranche immer noch benachteiligt? Was müsste da getan werden? 

Ja, natürlich. Ich könnte viele Beispiele dafür liefern, Ähnliches erzählen mir auch Kolleginnen immer wieder. Ein Beispiel: Ich habe mal für eine Podiumsdiskussion einer SPD-nahen Institution – ich war die einzige Frau – ein deutlich geringeres Honorar erhalten als meine männlichen Mitdiskutanten, wie ich hinterher erfahren habe. Als ich nachhakte, wurde mir gesagt: Die Männer hätten halt besser verhandelt. Doch mir gegenüber war zuvor von einem fixen Honorar“ gesprochen worden. Frauen wollen meist nicht um Honorare wie auf dem Sportplatz kämpfen. Zu oft existieren solche, nicht von Frauen gemachte unausgeprochene Spielregeln. Ich halte es daher für unabdingbar, dass z. B. bei der Vergabe von Stipendien, von Preisen oder bei der Besetzung von Intendanzen, in Jurys und Gremien einigermaßen auf Gleichstellung geachtet wird. Anders als mit solchen numerischen Mitteln kommen wir leider nicht voran. 

 

Vielen Dank. 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Tanja Dückers & Ludwig Greven
Tanja Dückers ist Schriftstellerin und Journalistin. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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