Zum Antrag: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates nimmt zu dem Entwurf Stellung

Berlin, den 04.11.2024. Am Wochenende wurde der Entwurf des Antrages der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ bekannt. Der Antrag soll noch in dieser Woche im Deutschen Bundestag behandelt und zum 9. November, dem Tag der Erinnerung an die Novemberpogrome des NS-Regimes gegen die deutschen Juden im Jahr 1938, vorgestellt werden.

 

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, nimmt zu dem Entwurf Stellung:

 

  • Wir begrüßen es sehr, dass sich der Deutsche Bundestag in dem Antrag „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ mit dem jüdischen Leben in Deutschland beschäftigt und sich klar gegen jede Form des Antisemitismus stellt. Aufgrund der erschreckenden Zunahme von antisemitischen Vorfällen ist dieser Schritt längst überfällig.
  • Der Deutsche Kulturrat selbst setzt sich intensiv für die Stärkung des jüdischen Lebens in Deutschland ein, hat sich gegen jede Form des Antisemitismus positioniert und zeigt eine klare, unmissverständliche Haltung in dieser Frage.
  • Mit der Initiative kulturelle Integration, an der der Deutsche Kulturrat maßgeblich beteiligt ist, zeigt der Deutsche Kulturrat lebendiges jüdisches Leben in Deutschland heute (Fotowettbewerb, Schreibwettbewerb, Poetry-Slam-Wettbewerb, Tagungen zum jüdischem Leben in Deutschland).
  • Der Deutsche Kulturrat hat sich zur Gemeinsamen Erklärung der Kulturstaatsministerin, der Kulturministerkonferenz und der kommunalen Spitzenverbänden „Freiheit und Respekt in Kunst und Kultur. Strategien gegen antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Inhalte im öffentlich geförderten Kulturbetrieb“ vom 13.03.2024 mit seinem Positionspapier „Freiheit der Kunst sichern – Antisemitismus und Rassismus im Kulturbereich bekämpfen!“ am 01.07.2024 positioniert.

 

Zu einzelnen Passagen des Entwurfes des Antrages der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ äußert sich der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, wie folgt:
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, jüdisches Leben in Deutschland zu stärken. Dazu gehört unter anderem, die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten und insbesondere die Arbeit der Gedenkstätten und Erinnerungseinrichtungen sowie die historisch-politische Bildungsarbeit zu fördern.“

 

  • Es ist positiv, dass die historisch-politische Bildung gestärkt werden soll.

 

„In diesem Zusammenhang sind der Beschluss der Bundesregierung vom 20. September 2017, der die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus politisch bekräftigt, und der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019, in dem sich der Bundestag zur IHRA-Arbeitsdefinition bekennt, als maßgeblich heranzuziehen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich gegenüber den Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass sie entsprechende Regelungen implementieren und, sofern noch nicht geschehen, die IHRA-Antisemitismusdefinition als maßgeblich heranziehen.“

 

  • Der Deutsche Kulturrat hat sich selbst einstimmig hinter die IHRA-Definition gestellt. Wir wenden uns aber gegen einen Bekenntniszwang, wenn Kultur-Fördermittel beantragt werden.

 

„Die Meinungsfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sind hohe Güter und werden durch unser Grundgesetz garantiert und geschützt.“

 

  • Genauso ist es. Die Freiheit der Kunst ist in Art. 5 Abs. 3 GG ohne Gesetzesvorbehalt garantiert. Was Kunst ist, bestimmt der Diskurs der Kunst selbst. Natürlich sehen wir auch, dass ein Spannungsverhältnis zwischen der Verdeutlichung gesellschaftlicher Probleme oder Brüche, die der Kunst inhärent inne wohnt, und der Überschreitung von gesetzlich gezogenen Grenzen besteht. Dies kann jedoch nicht durch entsprechende Klauseln und Definitionsversuche in Zuwendungsbescheiden gelöst werden.

 

„Auch in den Reihen von Kunst und Kultur sowie der Medien darf es keinen Raum für Antisemitismus geben. Die Ursachen und Hintergründe der großen Antisemitismusskandale der letzten Jahre in diesen Bereichen, insbesondere auf der ‚documenta fifteen‘ und der Berlinale im Februar 2024 müssen umfassend aufgearbeitet und Konsequenzen gezogen werden. Dort, wo die Bundesregierung dies bereits in Angriff genommen hat – zum Beispiel durch Sensibilisierungsmaßnahmen und Codes of Conduct für die bundesgeförderten Einrichtungen in Bezug auf Antisemitismus –, begrüßt der Deutsche Bundestag dies.“

 

  • Es ist richtig, in Kunst und Kultur sowie den Medien darf es keinen Raum für Antisemitismus geben, dass gilt aber für alle gesellschaftlichen Bereiche, nicht nur für Kunst, Kultur und Medien. Die documenta fifteen und die Berlinale sind zwei verschiedene Sachverhalte, sie sollten nicht in einen Topf geworfen werden.
  • Sensibilisierungs- und Fortbildungsmaßnahmen auf den verschiedenen politischen Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) werden von uns begrüßt. Hierfür müssen zusätzliche Mittel bereit gestellt werden, die Maßnahmen können nicht aus dem normalen Programmetat der Kulturorte bestritten werden.

 

„In diesem Rahmen und auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände vom 13. März 2024 sollen Länder, Bund und Kommunen – soweit noch nicht erfolgt – rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden. Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Conduct und Awarenessstrategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.“

 

  • Wir gehen davon aus, dass Projekte, die antisemitische Ziele verfolgen, ohnehin nicht gefördert werden. Zumindest müssten die Zuwendungsgeber (Bund, Länder und Kommunen) Antworten geben, warum sie Vorhaben mit antisemitischen Zielen fördern.
  • Wir sehen keinen Ertrag in einer weiteren Konkretisierung der Fördervorgaben, um Antisemitismus, Rassismus oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken. Im Gegenteil birgt dies eher die Gefahr, dass zugleich als „Kollateralschaden“ der Raum für die freie Kunst und Meinungsäußerung zukünftig von vorneherein stark eingeschränkt würde und Kulturinstitutionen nicht mehr als grundsätzlich offene Orte wahrgenommen würden. Mögliche Klauseln können im Vollzug, was Mittelbeantragung, -bewirtschaftung und -abrechnung angeht, zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Wir wenden uns entschieden gegen Bestrebungen, in der Bundeshaushaltsordnung oder in Haushaltsordnungen der Länder Klauseln einzuführen, die zu einer regulären Überprüfung von Antragstellern durch den Verfassungsschutz führen könnten.

 

„Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.“

 

  • Wir lehnen Boykottaufrufe, wie z. B. durch den BDS, gegen Künstlerinnen, Künstlern und Kultureinrichtungen ab. Boykotte schaden dem künstlerischen Austausch und dem Diskurs. Ihnen muss entschieden entgegengetreten werden.
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