KW 42: Kolonialismus – Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen, Wie frei ist die Kunst?, …

... Consumer Value - Public Value - Production Value, Reden über Veränderung - Wie wollen wir arbeiten?, Klimaschutz und die Kultur

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

vor 100 Jahren, mit dem Abschluss des Versailler Vertrages, verlor Deutschland alle „seine“ Kolonien. Der Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten wurde am 28. Juni 1919 unterzeichnet und trat am 10. Januar 1920 in Kraft. Damit endete die verhältnismäßig kurze Zeit der deutschen Kolonien.

 

1884 hatte Deutschland Territorien in Afrika, die deutsche Kaufleute erworben hatten, zu staatlichen Schutzgebieten erklärt und damit das deutsche „Kolonien-Zeitalter“ begründet, wenn auch schon acht Jahre vorher „Besitz und Rechte“ für das Deutsche Reich in Übersee erworben wurden. Deutsch-Neuguinea, heute nördlicher Teil Papua-Neuguineas; Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, Burundi und Ruanda; Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia; Kamerun; Karolinen, Palau und Marianen (Westpazifik); Kiautschou (Nordostchina); die Marshall-Inseln, Nauru und die SamoaInseln, heute Samoa (alle im Pazifik) und Togo waren deutsche Kolonien.

 

Die Niederschlagung von Aufständen der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht in Deutsch-Südwestafrika zeigen exemplarisch die Brutalität der Kolonialherren. Es ging in den Kolonien um die Ausbeutung der Ressourcen der Länder und dabei ist man oftmals skrupellos mit Menschenleben umgegangen. Die deutschen Kolonien waren in erster Linie ein perfides Geschäftsmodell. Doch war 1884 weder der Beginn noch 1920 das Ende der Verstrickungen Deutschlands in den Kolonialismus. Die frühen Handelshäuser, die Missionare und auch Forschungsreisende wie der berühmte Alexander von Humboldt waren Boten des globalen Kolonialismus. Und auch nach 1920 ist Deutschland weiter Kolonialmacht, wenn auch ohne eigene Kolonien.

 

Heute braucht man zur Marktfähigmachung der Welt keine Kolonien mehr, sondern nutzt das Instrumentarium der sogenannten Freihandelsabkommen, um sich oftmals Handelsvorteile auf Kosten der Länder des globalen Südens zu verschaffen. TTIP, CETA & Co. sind deshalb auch im Kulturbereich sehr umstritten.

 

Jetzt, 100 Jahre nachdem Deutschland „seine“ Kolonien verloren hat, beginnt endlich die Debatte um Schuld und Sühne. Doch warum hat es hundert Jahre gedauert?

 

Die Erinnerung an den Kolonialismus wurde in Deutschland von der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und der unbeschreiblichen Schuld jahrzehntelang überdeckt. Im Lichte der Shoah treten selbst die schlimmsten weiteren deutschen Verbrechen in den Hintergrund, sie dürfen aber trotzdem nicht unaufgearbeitet bleiben. Außerdem wird die Verantwortung der Deutschen am Kolonialismus gerne auf die dreieinhalb Jahrzehnte reduziert, in denen es deutsche Kolonien gab.

 

Im Vergleich zu den großen Kolonialmächten Großbritannien, Frankreich und Russland, so wird gerne argumentiert, war Deutschland doch eine vergleichsweise kleine Kurzzeit-Kolonialmacht. Das stimmt, wenn man nur den kolonialen Besitz berücksichtigt, das ist gänzlich falsch, wenn man den Kolonialismus in seiner Gesamtheit bis heute betrachtet.

 

Wie so oft, ist auch bei der Kolonialismus-Debatte der Kulturbereich der Katalysator, der die Diskussion in Schwung bringt. Lesen Sie herzu auch die Stellungnahme des Deutschen Kulturrates „Vorschläge zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten„.

 

Unter welchen Bedingungen sind die Artefakte, menschlichen Gebeine und Kunstwerke in die Ethnologischen Museen gekommen? Diese Frage muss jetzt schnell und trotzdem gründlich beantwortet werden. Das gilt auch für die Missionssammlungen.

 

Die Diskussionen um die Konzeption des Humboldt Forums in Berlin, das Ende 2020 eröffnet werden soll, hatte die Debatte mit befördert. Der Kulturbereich wird sich der Verantwortung stellen und natürlich werden Bestände aus den Ethnologischen Museen, wenn sie unrechtmäßig erworben wurden, zurückgegeben werden. Doch mit diesen notwendigen Maßnahmen ist die Debatte mitnichten zu Ende.

 

Die Frage nach „Schuld und Sühne“ ist viel tiefgreifender. Zuerst muss Deutschland seine Schuld anerkennen. In den deutschen Kolonien wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, vielleicht sogar Völkermord, verübt. Diese Verbrechen müssen zum Andenken an die Opfer endlich deutlich benannt werden. Darüber hinaus muss Deutschland besonders sein koloniales Handeln heute kritisch hinterfragen. Deutschland darf keine Freihandelsabkommen zulasten des globalen Südens mehr abschließen. Sühne meint Wiedergutmachung. Der globale Süden braucht nicht mehr deutsche Entwicklungshilfe, sondern echte Teilhabemöglichkeit am globalen Handel und am Kulturaustausch. Siehe hierzu unsere aktuelle Textsammlung „Kultur- & Kreativwirtschaft in Afrika„.

 

Um die Diskussion weiter anzuregen, erscheint in der kommenden Woche der Sammelband „Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen“ aus unserer Buchreihe „Aus Politik & Kultur“. Mit dem neuen Sammenband wollen wir einen weiteren Baustein zur notwendigen Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus leisten und die Verantwortung des Kulturbereiches dabei klar benennen. Hier können Sie den Band mit einem Rabatt von 25% vorbestellen. Ich würde mich über Ihr Interesse sehr freuen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Gestern haben Wissenschaftler in einem Offenen Brief beklagt, dass es noch immer keinen freien Zugang zu den Bestandslisten der öffentlichen Museen in Deutschland gibt. Ich finde die Wissenschaftler beschweren sich zurecht.

 

PSS. Ebenfalls gestern haben wir gefordert, dass die organisierte Zivilgesellschaft, die Kirchen und die Wissenschaft stärker in den Prozess bei der Neueinrichtung der Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten mit einbezogen werden.

 


 

Kolonialismus-Debatte – Bestandsaufnahme und Konsequenzen: Buch erscheint am 25. Oktober

 

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, legt einen Sammelband zur Kolonialismus-Debatte vor. Er befasst sich mit der Frage, unter welchen Bedingungen Artefakte, menschliche Gebeine und Kunstwerke in Ethnologische Museen gekommen sind. Er fragt nach der Verantwortung des deutschen Staates heute und einer möglichen Wiedergutmachung. Aber nicht nur der Staat steht in der Verantwortung. Es geht auch um die Rolle der Missionen und das Verhältnis der Kirchen zum globalen Süden heute. Es wird nach Konzepten für das Humboldt Forum, dem zukünftigen nationalen Museum der Weltkulturen in Berlin, gefragt. 59 Autorinnen und Autoren haben sich in Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, mit diesen Themen intensiv beschäftigt. Sie haben Bestandsaufnahmen verfasst und Konsequenzen gefordert.

 

 

Zu den Autorinnen und Autoren gehören unter anderem: Wiebke Ahrndt, Direktorin des Übersee-Museums Bremen und Leiterin der Arbeitsgruppe „Kolonialismus“ beim Deutschen Museumsbund; Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien in Hamburg und Vorsitzender der Kulturministerkonferenz; Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland; Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt Forums; Monika Grütters, MdB, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien; Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder; Viola König, Honorarprofessorin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin; Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa in Berlin; Neil MacGregor, Leiter der Gründungsintendanz des Humboldt Forums; Michelle Müntefering, MdB, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt; Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz; Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte mit Schwerpunkt auf Afrika an der Universität Hamburg und Leiter der dortigen Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die (frühe) Globalisierung“; Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur.

 


 

24.10.2019 Einladung: Wie frei ist die Kunst?

 

„Wie frei ist die Kunst?“ – Diese Frage stellt sich aktuell immer öfter, seit in Deutschland Gedichte übermalt, Ausstellungen abgesagt und seitens rechtspopulistischer Stimmen eine „politisch neutrale“ Kunst gefordert wird. Die Kunst ist zwischen die Fronten geraten. Welche Spielräume bleiben ihr? Und wie lässt sich ihre Freiheit verteidigen?

 

Wann: 24. Oktober 2019, 19 Uhr
Wo: St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin

 

Im Gespräch:

  • Norbert Bisky (Künstler)
  • Ulrich Khuon (Deutsches Theater Berlin)
  • Dr. Julia Voss (Kunsthistorikerin und Journalistin)
  • Alfred Weidinger (Museum der Bildenden Künste Leipzig)
  • Moderation: Hans-Dieter Heimendahl (Deutschlandfunk Kultur)

 

Das „Kultur.Forum St. Matthäus“ ist das kulturpolitische Forum von Stiftung St. Matthäus, Deutschem Kulturrat, Initiative kulturelle Integration, Kulturbüro der EKD und Deutschlandfunk Kultur. Das Gespräch wird bundesweit auf Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt.

 


 

22.10.2019 Einladung: Consumer Value – Public Value – Production Value. Welche Medienqualität braucht eine demokratische Gesellschaft?

 

Es wird immer deutlicher, dass unser demokratisches System mit den Auswirkungen der digitalen Transformation überfordert ist. Eine unübersehbare Gefahr besteht darin, dass Consumer Value und Public Value – Zuschauerinteresse und Allgemeinwohl – gegeneinander ausgespielt werden.

Aus diesem Dilemma ergeben sich zwei zentrale Fragen:

  1. Wie können Zuschauerinteresse und Allgemeinwohl im Gesamtsystem so ausbalanciert werden, dass die medialen Voraussetzungen für unser demokratisches System erhalten bleiben oder sogar noch gestärkt werden?
  2. Inwiefern müssen die Rollen, Aufgaben und Ressourcen der einzelnen Medienanbieter auf dem deutschen Markt angepasst werden, um dieses Ziel im Gesamtsystem zu erreichen?

 

Der Deutsche Medienrat, eine Sektion des Deutschen Kulturrates, lädt am Dienstag den 22.10.2019 von 10:00 bis 18:00 Uhr zum Symposium „Consumer Value – Public Value – Production Value. Welche Medienqualität braucht eine demokratische Gesellschaft?“ in der Landesvertretung des Landes Sachsen-Anhalt in der Luisenstrasse 18 in 10117 Berlin.

 

 


 

01.12.2019 Einladung: Reden über Veränderung – Wie wollen wir arbeiten?

 

 

Arbeit ist Teil unseres Lebens. Ob wir selbstbestimmt und kreativ arbeiten oder Schichtpläne das Leben diktieren – wovon hängt das eigentlich ab? Ist erfolgreich, wer rund um die Uhr ansprechbar ist? Oder wer berufliche Zielstrebigkeit mit Freizeit, Familie, körperlicher und seelischer Gesundheit verbinden kann? Sind agiles Management, diverse Belegschaften und flache Hierarchien die Lösung für neue Anforderungen?Anders herum: Haben wir die kapitalistische Logik so verinnerlicht, dass ein Leben jenseits sogenannter Erwerbsarbeit kaum noch vorstellbar ist? Oder ist das eine Luxusdebatte, die von der wirklichen Herausforderung ablenkt, gute Bedingungen für körperlich schwere Arbeit zu schaffen? Wer macht sie, wenn wir als Gesellschaft bequem geworden sind?In unserer Diskussionsreihe „Reden über Veränderung“ bringen wir Menschen aus verschiedenen Lebenswelten zusammen. Diesmal geht es um die Frage: Wie wollen wir arbeiten? Bei der Diskussion im Fishbowl-Format auf der Bühne des Festspielhauses ist die Interaktion mit dem Publikum ausdrücklich gewollt.

 

Die Veranstaltung wird live im Digitalkanal „Deutschlandfunk- Dokumente und Debatten“ übertragen und zeitversetzt in der Sendung „Stunde 1“ gesendet.

 

Mit

  • Michael Akinlaton, Zusteller bei der Deutschen Post, ehem. Betriebsratsvorsitzender DHL Delivery, ehem. Konzernbetriebsrat
  • Fabian Hinrichs, Schauspieler & Autor
  • Christoph Magnussen, Unternehmer, YouTuber, New Work Enthusiast
  • Anna Ott, Talentgewinnungsexpertin

 

  • Moderation: Christine Watty, Deutschlandfunk Kultur

 


 

Klimaschutz ist nur mit kulturellem Wandel möglich

 

Das Thema Klima sei für den Kulturbereich noch neu, sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Für Veränderungen seien Verzichtsappelle nicht hilfreich. Den Menschen sei intellektuell klar, dass sich etwas tun müsse: „Aber passieren wird es nur, wenn es einen kulturellen Wandel gibt.“

 

Sehen Sie hier den kurzen Film der Mercator-Stiftung.

 


Der kulturpolitische Text der Woche: Ein gutes Leben für alle Menschen ermöglichen – Die kulturelle Dimension des Klimawandels

 

Der Präsident des Wuppertal Institutes für Klima, Umwelt, Energie Prof. Dr. Uwe Schneidewind schreibt über die kulturelle Dimension des Klimawandels: „Die sich international entfaltende Kraft der „Fridays for Future“-Bewegung macht Mut. Es ist eine kulturelle Bewegung. … Der notwendige kulturelle Wandel benötigt beides: globale Bewegungen und Leitorientierungen sowie vielfältige Experimente gerade vor Ort, die deutlich machen, dass sich Gesellschaften und Ökonomien auch anders entwickeln können. … Wir müssen raus aus den Silos, um das faszinierende Kulturprojekt „Nachhaltige Entwicklung“ auf den Weg zu bringen.“

 

Lesen Sie den vollständigen Text hier!

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