Verbesserungen bei EU-Richtlinie zu Verwertungsgesellschaften sind dringend notwendig

Berlin, den 26.06.2013. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass die EU-Kommission mit dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für die Online-Nutzung von Rechten an Musikwerken im Binnenmarkt Com (2012) 372 final“ einen Rechtsrahmen für die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt vorgelegt hat. Der geplante Rechtsrahmen bietet eine europaweite Grundlage für die Arbeit der Verwertungsgesellschaften und weist insbesondere mit Blick auf die Regelungen zur grenzüberschreitenden Online-Nutzung von Rechten an Musik in die Zukunft. Das gilt insbesondere für die angestrebte Harmonisierung der Transparenz und Rechnungslegungspflichten der Verwertungsgesellschaften. Der Deutsche Kulturrat ist sich bewusst, dass die Beratungen zum genannten Richtlinienentwurf bereits weit fortgeschritten sind. Dessen ungeachtet bittet der Deutsche Kulturrat die Bundesregierung, die vorgetragenen Bedenken im weiteren Diskussionsprozess noch so weit wie möglich zu berücksichtigen. Anderenfalls befürchtet der Deutsche Kulturrat, dass die kulturelle Vielfalt durch einige der derzeit vorgeschlagenen Regelungen Schaden nehmen könnte. Der Deutsche Kulturrat sieht die EU-Richtlinie über Verwertungsgesellschaften im Kontext anderer Bestrebungen zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen wie beispielsweise das angestrebte Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU und befürchtet auch dort eine Gefährdung der kulturellen Vielfalt durch den Abbau bewährter Schutzstandards.

 

Die Europäische Union hat sich zur Wahrung und Sicherung der kulturellen Vielfalt in verschiedenen Dokumenten verpflichtet. So wird in der EU-Charta auf die Bedeutung der kulturellen Vielfalt für Europa verwiesen. Die Europäische Union hat ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland das „UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ ratifiziert. Darin wird bekräftigt, dass „kulturelle Vielfalt ein gemeinsames Erbe der Menschheit darstelle und zum Nutzen aller geachtet und erhalten werden soll“. Kulturelle Vielfalt ist keine Leerformel für Sonntagsreden. Im Gegenteil, ein wesentlicher Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur ist ihre Vielfalt, die in verschiedenen künstlerischen Formen, in populärer Kunst, aber auch in Werken, die nur ein kleines Publikum begeistern können, ihren Ausdruck findet. Der Deutsche Kulturrat setzt sich mit Nachdruck für die Wahrung und den Ausbau der kulturellen Vielfalt ein.

 

Verwertungsgesellschaften übernehmen in Deutschland wichtige Aufgaben zur Sicherung der kulturellen Vielfalt. Der im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz vorgesehene Wahrnehmungszwang verpflichtet sie, auch die Rechte für das Repertoire, das von nur wenigen nachgefragt wird und dennoch für kulturelle Vielfalt steht, bereit zu halten. Weiter sollen deutsche Verwertungsgesellschaften gemäß den Vorgaben des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes, Mittel für kulturelle und soziale Zwecke verwenden. Damit unterstützen Verwertungsgesellschaften unmittelbar die kulturelle Vielfalt in Deutschland.

 

Verwertungsgesellschaften sind in Deutschland in wirtschaftlichen Vereinen kraft staatlicher Verleihung oder als GmbH organisiert. Diese verschiedenen Rechtsformen haben sich je nach Aufgabengebiet der Verwertungsgesellschaft, wahrgenommenen Rechte und Mitgliederstruktur bewährt. Mitglieder der als Vereine organisierten Verwertungsgesellschaften sind in Deutschland Urheber, Leistungsschutzberechtigte oder Inhaber abgeleiteter Rechte. Gesellschafter der als GmbH verfassten Verwertungsgesellschaften sind teilweise Verbände, die die Urheber, Leistungsschutzberechtigten oder Inhaber abgeleiteter Rechte repräsentieren.

 

Verwertungsgesellschaften haben in Deutschland vor allem eine herausragende Bedeutung für die Wahrnehmung verwertungsgesellschaftspflichtiger gesetzlicher Vergütungsansprüche. Diese Ansprüche können die Rechteinhaber, also die Urheber, die Leistungsschutzberechtigten und die Inhaber abgeleiteter Rechte, nicht selbst wahrnehmen. Sie können daher nur Verwertungsgesellschaften mit der Wahrnehmung dieser Rechte beauftragen. Die Verwertungsgesellschaften schütten die Einnahmen aus den gesetzlichen Vergütungsansprüchen nach den von den Gremien verabschiedeten Verteilungsplänen aus.

 

Gerade in der digitalen Welt übernehmen Verwertungsgesellschaften wichtige, teilweise auch neue Aufgaben. Nutzer können durch Verwertungsgesellschaften in einem one-stop-shop auf ein breites Repertoire zugreifen, da die Verwertungsgesellschaften über Gegenseitigkeitsverträge und andere Kooperationsverträge auch das Repertoire von Verwertungsgesellschaften anderer Länder lizenzieren können. Die one-stop-shop Verwertungsgesellschaft hat eine Zeit- und Kostenersparnis bei den Nutzern zur Folge.

 

Mit Blick auf die genannten Besonderheiten deutscher Verwertungsgesellschaften, die mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt leisten, sind aus Sicht des Deutschen Kulturrates folgende Regelungen der geplanten Richtlinie zu Verwertungsgesellschaften verbesserungsbedürftig:

 

EU-Dienstleistungsrichtlinie.

Im Richtlinienentwurf ist vorgesehen, dass die EU-Dienstleistungsrichtlinie in vollem Umfang Anwendung finden soll. Das heißt, dass auch bei der Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften das Herkunftslandprinzip gilt, sie also den Rechtsvorschriften des Landes unterliegen, in dem sie ihren Sitz haben. Die Anwendung des Herkunftslandprinzips würde die wirtschaftliche Position deutscher Verwertungsgesellschaften schwächen, da an die Verwertungsgesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten teilweise deutlich geringere Anforderungen gestellt werden. Letztlich wird die Anwendung des Herkunftslandprinzips zu Lasten der Rechteinhaber und der Nutzer urheberrechtlich geschützter Leistungen in Deutschland gehen. In der EU-Dienstleistungsrichtlinie ist vorgesehen, dass das Urheberrecht von den Regelungen zur Dienstleistungsfreiheit nicht erfasst wird. Der Deutsche Kulturrat fordert daher, dass auch die auf dem Urheberrecht basierende Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften von der Anwendung der EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen wird.

 

Zulassungspflicht für Verwertungsgesellschaft.

Bislang ist in der genannten Richtlinie keine Zulassungspflicht für Verwertungsgesellschaften vorgesehen. In Deutschland ist die Zulassung von Verwertungsgesellschaften zwingend vorgeschrieben. Auch unterliegen sie der ständigen staatlichen Aufsicht. Damit wird in Deutschland ein hoher Qualitätsstandard gewährleistet. Wenn künftig ausländische Verwertungsgesellschaften in Deutschland agieren können, die sich keiner Zulassungspflicht unterziehen müssen, steht zu befürchten, dass der bestehende hohe Qualitätsstandard nicht gehalten werden kann. Der Deutsche Kulturrat spricht sich deshalb dafür aus, eine Zulassungspflicht und ständige staatliche Aufsicht für Verwertungsgesellschaften in der Richtlinie vorzusehen.

 

Abschlusszwang.

Deutsche Verwertungsgesellschaften unterliegen laut Urheberrechtswahrnehmungsgesetz einem doppelten Kontrahierungszwang. Sie sind verpflichtet mit allen Rechteinhabern Wahrnehmungsverträge zu schließen (Wahrnehmungszwang) und sie müssen allen Nutzern den Zugang zum vertretenen Repertoire gewähren (Abschlusszwang). Diese Kontrahierungszwänge tragen zur kulturellen Vielfalt bei, da sich deutsche Verwertungsgesellschaften nicht auf ein populäres Repertoire konzentrieren können. Nutzer können die Rechte für das gesamte Repertoire einer künstlerischen Sparte bei einer Verwertungsgesellschaft einholen und sparen damit Transaktionskosten. Deutsche Verwertungsgesellschaften müssen mit Blick auf ihre Verwaltungskosten eine Mischkalkulation vornehmen, die sowohl die Bereithaltung des populären als auch des wenig nachgefragten Repertoires berücksichtigt. Der Deutsche Kulturrat fordert, dass in Deutschland agierende Verwertungsgesellschaften einem Abschlusszwang unterliegen müssen, um Nutzern die Vorteile des one-stop-shops bieten zu können. Gleichzeitig dürfen deutsche Verwertungsgesellschaften nicht gegenüber ausländischen Verwertungsgesellschaften ohne Abschlusszwang benachteiligt werden.

 

Gesetzliche Vergütungsansprüche.

Die Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen sind für die Rechteinhaber eine wichtige Einnahmequelle. Einige Verwertungsgesellschaften sind insbesondere darauf spezialisiert und gesetzlich verpflichtet, gesetzliche Vergütungsansprüche wahrzunehmen. Der Deutsche Kulturrat fordert, dass die Besonderheiten der gesetzlichen Vergütungsansprüche in der EU-Richtlinie Berücksichtigung finden. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass auch ausländische Verwertungsgesellschaften, die gesetzliche Vergütungsansprüche in Deutschland wahrnehmen, den Vorgaben des deutschen Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes unterliegen.

 

Detailtiefe.

In einigen Bereichen stellt sich die Frage, ob eine Richtlinie zu Verwertungsgesellschaften eine solche Detailtiefe haben muss. Das gilt insbesondere für die Vorgaben zur internen Struktur der Verwertungsgesellschaften. Hier sollten aus Sicht des Deutschen Kulturrates in der EU-Richtlinie mehr Spielräume gewährt werden.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert darüber hinaus, dass die Richtlinie die ökonomischen, kulturellen und sozialen Vorzüge der kollektiven Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten sicherstellen soll.

Vorheriger Artikel„Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte“: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates
Nächster ArtikelBundeskulturpolitik weiter stärken – für ein eigenständiges Bundeskulturministerium