Berlin, den 18.06.2014. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) mit ihrer „Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung“ eine gemeinsame Agenda aller an der kulturellen Kinder- und Jugendbildung beteiligten gesellschaftlichen Kräfte vorschlägt. Ebenso begrüßt der Deutsche Kulturrat, dass im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD eine verbesserte Zusammenarbeit von Bund und Ländern in bildungs- und kulturpolitischen Fragen avisiert wird. Der Deutsche Kulturrat greift mit dieser Stellungnahme den Vorschlag der KMK einer gemeinsamen Agenda für kulturelle Bildung auf. Der Deutsche Kulturrat sieht die KMK selbst auch gefordert, die Empfehlungen zur kulturellen Bildung für ihren Verantwortungsbereich der Bildungspolitik zu konkretisieren und weiterzuentwickeln.
Eine gemeinsame Agenda für kulturelle Bildung bedarf nach Auffassung des Deutschen Kulturrates eines verbindlichen Zusammenwirkens zwischen Bund, Ländern, Kommunen und der organisierten Zivilgesellschaft. Weiter bedarf es einer verbindlichen ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Die Verbände und Vereine der organisierten Zivilgesellschaft mit ihren umfangreichen Fachkompetenzen bündeln die unterschiedlichen Entwicklungen aus diesem Feld, reflektieren sie und spiegeln die Diskussionsprozesse sowie Erkenntnisse in Praxis, Theorie und Politik zurück. Sie können daher in besonderer Weise den Bedarf von Kindern und Jugendlichen im Bereich der kulturellen Bildung beschreiben, Entwicklungspotenziale aufzeigen und auf Fehlentwicklungen hinweisen. Der Deutsche Kulturrat teilt die Einschätzung der KMK, dass die Herausforderung für alle Akteure darin besteht, ihr Handeln mit dem Ziel einer ganzheitlichen Bildung in gemeinsamer Verantwortung auszugestalten und verlässliche Strukturen zu schaffen, in denen sich ein qualitätsvolles und langfristig wirkendes Angebot entfalten kann. Der Deutsche Kulturrat begrüßt ausdrücklich die begonnene Debatte, das Kooperationsverbot von Bund und Ländern im Bildungsbereich zu lockern und fordert, diese Öffnung auch über den Hochschulbereich fortzusetzen.
Kulturelle Bildung ist nach Auffassung des Deutschen Kulturrates mehr als Kulturvermittlung. Bereits im Begriff der kulturellen Bildung spiegelt sich der Bildungsauftrag. Kulturelle Bildung setzt Teilhabechancen voraus. Kulturelle Bildung für Kinder- und Jugendliche ist in der Jugend-, Bildungs- und Kulturpolitik verortet. Daher sind in den Parlamenten und Regierungen unterschiedliche Ausschüsse und Ressorts mit kultureller Bildung befasst. Durch diese Verortung ist die kulturelle Bildung in besonderer Weise geeignet, Potenziale der Vernetzung und der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern zu entfalten, für ihre Belange in unterschiedlichen Politikfeldern einzutreten und mit Partnern zusammenzuarbeiten, die nicht originär der kulturellen Bildung zuzuordnen sind.
Für eine gelingende Partnerschaft bedarf es verlässlicher Vereinbarungen zur Übernahme von Verantwortung durch die verschiedenen Partner für die Ziele und Aktivitäten in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen sowie den konstruktiven Austausch untereinander darüber.
- Die zivilgesellschaftlichen Akteure sind zum einen selbst im Feld der kulturellen Bildung tätig, zum anderen treten sie für die Stärkung der kulturellen Bildung ein. Durch ihren Kontakt mit der Basis kennen sie die Anforderungen und den Bedarf vor Ort. Sie übernehmen selbst Verantwortung für die Konzeption und Umsetzung von Angeboten. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips sind zuerst die zivilgesellschaftlichen Akteure gefordert und müssen in die Lage versetzt werden, Angebote kultureller Bildung kontinuierlich und qualitätsvoll zu unterbreiten und den Diskurs im oben beschriebenen Sinne zu bündeln.
- Die Städte, Gemeinden und Kreise (Kommunen) haben den Auftrag kommunaler Daseinsvorsorge. Sie sind verantwortlich für den Erhalt und die Sicherung der Infrastruktur kultureller Bildung und sind in besonderer Weise der Teilhabegerechtigkeit und Zugangsoffenheit verpflichtet. Zur Infrastruktur kultureller Bildung gehören beispielsweise Musikschulen, Bibliotheken, Kommunale Kinos, Jugendkunstschulen, Soziokulturelle Zentren oder Vereine. Die Kommunen sind auch für freie Kulturinitiativen und die Förderung der kulturellen Jugendarbeit verantwortlich. Die Institutionen der kulturellen Bildung befinden sich teilweise in kommunaler Trägerschaft oder werden beispielsweise als freie Träger von ihnen finanziell unterstützt. Die Infrastruktur kultureller Bildung bedarf einer verlässlichen Grundförderung, um ihre Arbeit nachhaltig und langfristig entwickeln zu können. Dazu gehören auch die Unterstützung fachlich geeigneter zivilgesellschaftlicher Akteure sowie die Finanzierung bzw. Bereitstellung von geeigneten Gebäuden und Räumlichkeiten sowie deren Ausstattung. Hierzu zählen weiterhin die Schulgebäude sowie die Gebäude von Kindertagesstätten und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben zur Sicherung der Infrastruktur ist nach Auffassung des Deutschen Kulturrates eine verlässliche Kommunalfinanzierung. Die Kommunen können einen wesentlichen Beitrag zur Vernetzung und zur Zusammenarbeit der Akteure vor Ort leisten.
- Die Länder sind in der kulturellen Bildung verantwortlich für die künstlerischen Schulfächer (Kunst, Musik und Theater), die Berufsvorbereitung für künstlerische Berufe beispielsweise an Musikschulen sowie die frühkindliche Bildung in Kindertageseinrichtungen. An den Hochschulen werden die künftigen Kunst-, Musik- und Theaterlehrer ausgebildet. Die Länder legen die Curricula für den Unterricht in Kunst, Musik, Theater und Tanz fest und tragen die Verantwortung für deren sachliche und personelle Ausstattung. Die besondere Chance der künstlerischen Schulfächer besteht darin, alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Durch sie kommen also auch jene Kinder und Jugendlichen mit den verschiedenen künstlerischen und ästhetischen Disziplinen in Berührung, die ansonsten nicht die Chance, die familiäre Anregung oder eigene Motivation dazu hätten. Die künstlerischen Schulfächer verlangen als Teil der Allgemeinbildung eine entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte mit spezifisch künstlerischen Inhalten und Auslastung aller Kapazitäten. Neben der Verantwortung für die künstlerischen Schulfächer setzen sich viele Länder für eine Zusammenarbeit von Schulen mit Kultureinrichtungen oder von Schulen mit Künstlern ein. Derartige Kooperationen setzen voraus, dass innerhalb der Schule die Kontinuität der Schulfächer erweitert und erhalten bleibt, kulturelle Schulentwicklungsprozesse unterstützt und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Zugleich bietet das Lernen am sogenannten dritten Ort spezifische Bildungschancen. Darüber hinaus tragen die Länder im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe eine unmittelbare Verantwortung für die kulturelle Bildung. In einigen Ländern ergibt sich hieraus auch die Verantwortung für die Ausstattung. Hier existieren langfristige Förderstrukturen, an die mit neuen Projekten angeknüpft werden kann. Mit Blick auf die vorberufliche kulturelle Bildung übernehmen die Länder Verantwortung für die Ausbildung und damit den Berufsweg junger Künstler. Weiter obliegt den Ländern die Entwicklung der Curricula für die Ausbildung von Erziehern. Es gilt darauf zu achten, dass kulturelle Bildung ein wesentlicher Bestandteil der Erzieherausbildung ist, sowohl in der Fachschul- als auch in der zunehmend an Bedeutung gewinnenden akademischen Ausbildung. Weiter zu stärken sind jedoch auch nach dem Subsidiaritätsprinzip zivilgesellschaftliche Träger der Aus- und Fortbildung, also Einrichtungen wie die Bundes- und Landesakademien, die Medienzentren, Facheinrichtungen und Verbände der verschiedenen Kunstsparten, die Fortbildungen entwickelt haben und in hoher Qualität anbieten.
- Der Bund übernimmt unter anderem mit der im Sozialgesetzbuch VIII geregelten Kinder- und Jugendhilfe Verantwortung für die kulturelle Bildung. Die kulturelle Bildung ist als ein Förderprogramm im Kinder- und Jugendplan verankert. Mittels des Kinder- und Jugendplans werden bundeszentrale Verbände und Institutionen der kulturellen Bildung nachhaltig unterstützt und konnten auf der Folie dieser nachhaltigen Förderstruktur ihre Expertise und Qualität entwickeln, auf die von anderen Institutionen und im Rahmen von Projekten zurückgegriffen wird. Weiter unterstützt der Bund im Rahmen von Projekten und Programmen, Wettbewerben und Preisen die kulturelle Kinder- und Jugendbildung zum Beispiel auch in den Ressorts Bildung und Kultur. Der Bund ist ferner für die Rahmenbedingungen der kulturellen Bildung zuständig, sei es im Steuer-, im Sozial- oder auch im Urheberrecht. Dabei regelt der Bund auch die Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Anbieter kultureller Bildung, die zur Landschaft kultureller Bildung gehören wie bespielweise freiberufliche Musikerzieher, freie Musikschulen, Kinos, Tanzschulen oder freiberufliche Kulturvermittler.
- Neben Kommunen, Ländern, dem Bund und den Vereinen und Verbänden sind auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften, Stiftungen sowie Kultureinrichtungen wichtige Akteure im Bereich der kulturellen Kinder- und Jugendbildung. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben eine lange Tradition in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung. In Kultureinrichtungen gewinnen die Kulturvermittlung und kulturelle Bildung an Bedeutung. Sie bereichern damit das Spektrum an Anbietern und Angeboten kultureller Bildung. Weiter sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gemäß ihres Bildungs- und Kulturauftrags in der Pflicht, sich der kulturellen Bildung zu widmen und entsprechende Angebote bereitzuhalten.
Der Deutsche Kulturrat erwartet von den Ländern eine Ergänzung und Konkretisierung der genannten KMK-Empfehlungen: insbesondere eine umfassende Erhebung zur Lage der künstlerischen Schulfächer, bedarfsorientierte Programme für die Lehreraus- und -weiterbildung, um dem fachfremd erteilten Unterricht entgegenzuwirken, eine vollständige Verankerung der künstlerischen Schulfächer in den Stundentafeln aller Schulformen sowie die Wahrung der Eigenständigkeit der jeweiligen künstlerischen Schulfächer und damit eine Absage an Verbundfächer wie z.B. Lernbereich Ästhetische Bildung.
Im Sinne einer Verantwortungspartnerschaft für die kulturelle Kinder- und Jugendbildung fordert der Deutsche Kulturrat:
- eine bedarfsgerechte Kommunalfinanzierung, damit die Kommunen in der Lage sind, eine Infrastruktur kultureller Bildung selbst vorzuhalten oder zu unterstützen sowie die Zweckbindung von Mitteln für Kunst, Kultur und kulturelle Bildung, um Kommunen, die sich in der Haushaltssicherung befinden, Handlungs- und Fördermöglichkeiten zu eröffnen,
- eine kontinuierliche, bedarfsgerechte, nachhaltige Förderung der Institutionen und Angebote kultureller Bildung,
- die Einbeziehung von Schulen und Institutionen sowie Angeboten kultureller Bildung in kommunale Bildungslandschaften sowie eine Gemeinwesenorientierung der Schulen,
- eine Anerkennung und Stärkung der Qualität kultureller Bildung durch die Förderung von Aus- und Weiterbildung sowie die Beschäftigung und angemessene Bezahlung von Fachkräften, um einer Entprofessionalisierung entgegenzuwirken,
- eine Verstetigung bewährter Projektförderungen wie z.B. „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ und die Übernahme bewährter und erfolgreicher Ansätze und Einrichtungen in dauerhafte Förderungen,
- die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln für die kulturelle Bildung in öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Kultur- und Bildungseinrichtungen,
- bei der Reform des Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) die Eigenständigkeit eines Programms Kulturelle Bildung als unentbehrliche Säule für kulturelle Teilhabe in der Jugendpolitik zu sichern und in der Weiterentwicklung der KJP-Förderrichtlinie dem spezifischen Bedarf der bundeszentralen Verbände für kulturelle Bildung Rechnung zu tragen und
- die Schaffung und Sicherung von individuellen Freiräumen zeitlicher und räumlicher Art für kulturelle Bildung.
Kulturelle Bildung muss den künstlerischen Prozess und die ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit in den Mittelpunkt rücken und darf sich nicht an der Verwertbarkeit orientieren.