Berlin, den 14.05.2024. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, nimmt nachfolgend zum „Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ des Bundesministeriums der Justiz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat Stellung.
Nach der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 26.04.1938 mussten Juden Vermögen, das mehr als 5.000 Reichsmark betrug, dem Finanzamt melden. Dazu zählte auch Kulturgut, auf das die Regierung damit direkten Zugriff hatte. Mit dem „Führervorbehalt“ sicherte sich Adolf Hitler zunächst in Österreich am 18.06.1938 ein Erst- und Verfügungsrecht auf beschlagnahmte Kunstwerke. Der „Führervorbehalt“ wurde auf das Deutsche Reich und später die besetzten Gebiete ausgedehnt. In der reichsweiten Progromnacht vom 09.11.1938 wurden im ganzen Reich Synagogen zerstört und 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Mit der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 03.12.1938 wurde der Zwangsverkauf mobiler und immobiler Vermögenswerte verfügt. Juden durften Kunst- und Wertgegenstände mit einem Wert von über 1.000 Reichsmark nur noch über staatliche Stellen veräußern. Am 25.11.1941 erging die „Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“. Juden wurde nach ihrer Deportation oder Emigration die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Ihr Vermögen fiel an das Deutsche Reich. Ab Juli 1943 ging mit der „13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ auch das Eigentum verstorbener bzw. ermordeter Juden auf das Deutsche Reich über.
Millionen europäische Juden wurden während der Naziherrschaft getötet. Juden, die sich in das Exil retten konnten, wurde ihr Vermögen in Deutschland durch den NS-Staat entzogen bzw. abgepresst oder sie mussten es weit unter Wert an Private bzw. über Private verkaufen.
Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgte zuerst aufgrund von Rechtsgrundlagen der Alliierten und später nach dem Bundesentschädigungsgesetz sowie dem Bundesrückerstattungsgesetz eine teilweise Rückgabe von Vermögen an die jüdischen Eigentümer. Festzuhalten ist aber, dass viele NS-Verfolgte bzw. ihre Nachfahren ihre Ansprüche nicht geltend machen bzw. aufgrund vielfacher Widerstände nicht durchsetzen konnten.
Mit dem Washingtoner Abkommen (1998) sowie der „Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ (1999) hat sich die öffentliche Hand selbst verpflichtet, für NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, das sich in öffentlichen Kultureinrichtungen befindet, faire und gerechte Lösungen zu finden bzw. das Kulturgut zurückzugeben. Die Provenienzforschung in deutschen Kultureinrichtungen, insbesondere Museen und Bibliotheken, wurde infolgedessen besser ausgestattet und verstärkt, sodass vermehrt Rückgaben erfolgten. Oftmals sind die zurückgegebenen Kulturgüter die einzigen materiellen Erinnerungsstücke verfolgter Familien und haben daher neben dem materiellen einen hohen ideellen Wert.
Der o.g. Gesetzesentwurf bezieht sich auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, das sich in privatem Besitz befindet.
Die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut hat einerseits nach 1999 einen deutlichen Schub erfahren, andererseits wird die Aufgabe im Laufe der Zeit immer komplexer. Die Familien der Überlebenden des Holocaust leben oft in verschiedenen Erdteilen. Die Interessen der verschiedenen Mitglieder der sich immer weiter verzweigenden Familien sind teilweise unterschiedlich. Bedingt durch Flucht und Exil sind oftmals Schriftstücke, die das Eigentum belegen können, nicht oder nicht vollständig vorhanden. Bei Kulturgütern, die sich in privatem Besitz befinden, leben diejenigen, die in den 1930er Jahren das Kulturgut an sich gebracht oder weit unter Wert gekauft haben, zumeist nicht mehr. Sofern die Kulturgüter in den Familien verblieben sind, sind sie aktuell oft im Besitz der Enkel- bzw. Urenkelgeneration. Auch hier stellt sich das Problem, dass Schriftstücke über den Erwerb vielfach nicht oder nur unvollständig vorhanden sind und dass unterschiedliche Interessen der Erbengeneration zu berücksichtigen sind. Kulturgüter, die zwischenzeitlich über den Handel verkauft wurden, wurden von den heutigen Besitzern in der Regel im guten Glauben erworben. Zu beachten ist, dass der Provenienz von Kulturgütern über einen langen Zeitraum nicht die Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die sie heute hat.
Der Deutsche Kulturrat erkennt an, dass mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ entlang der Vorgaben des Koalitionsvertrags Fragen wie Auskunftsanspruch, Aufhebung der Verjährung und die Einführung eines zentralen Gerichtsstands aufgenommen wurden. Aus Sicht des Deutschen Kulturrates wäre jedoch ein Restitutionsgesetz, wie es auch von jüdischen Organisationen gefordert wird, vorzugswürdig. Ein Restitutionsgesetz würde die Möglichkeit eröffnen, dass Private, die aus rechtlichen oder aus moralischen Gründen Kulturgut an die Nachfahren der jüdischen Eigentümer zurückgeben, entschädigt werden.
Mit Blick auf den vorgelegten Gesetzesentwurf hält der Deutsche Kulturrat insbesondere die vorgeschlagenen Regelungen zum Auskunftsanspruch (§ 48a KGSG-neu) für verbesserungsbedürftig. Aktuell ist vorgesehen, dass, wenn ein Werk in Verkehr gebracht wird und Nachfahren von NS-Verfolgten Anspruch auf das Werk erheben, Name und Anschrift des Besitzers sowie die Provenienz des Werkes vom Handel mitgeteilt werden müssen und die weitere Einigung zwischen aktuellem Besitzer und damaligen Eigentümer erzielt werden muss. Der Deutsche Kulturrat schlägt vor, vorzusehen, dass beide Seiten gleichermaßen mit einem Auskunftsanspruch ausgestattet werden. Zugleich soll, sofern der Handel beteiligt ist, seine Rolle als Vermittler gestärkt werden. Mit Blick auf die geschilderte komplexe Ausgangslage, die emotional aufgeladen sein kann, könnte eine Vermittlung durch den Handel zu einem fairen und gerechten Ausgleich beitragen. Professionelle Erfahrungen aus der Provenienzrecherche sowie zu gütlichen Einigungen in ähnlich gelagerten Fällen können dabei helfen, eine für die beteiligten Seiten gute Lösung zu finden. Mit Blick auf die Zusammenstellung von Unterlagen zur Provenienz eines Werkes sollte sich auf die wesentlichen Fakten konzentriert werden müssen. Ferner muss im Gesetzestext deutlicher herausgearbeitet werden, dass der Auskunftsanspruch ein Hilfsanspruch zur Durchsetzung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB ist und deshalb nur in den Fällen gilt, in denen ein solcher Anspruch möglich ist.
Als problematisch erachtet der Deutsche Kulturrat, dass, sollte ein Kulturgut durch eine Privatperson an den Eigentümer zurückgegeben werden, dieser erhaltene staatliche Schadensersatzleistungen oder sonstige Geldleistungen für das Kulturgut einschließlich Zinsen an den Bund zurückzahlen muss (§ 1f Gesetz zur Rückzahlung von Rückerstattungsleistungen). Es sei denn, das Werk wird dauerhaft oder für einen bestimmten Zeitraum unentgeltlich einem Museum oder einer vergleichbaren Einrichtung überlassen. Es wird zum einen schwierig sein, den genauen Wert der staatlichen Leistungen für ein Werk zu ermitteln, wenn eine pauschale Entschädigung für mehrere Kunstwerke erfolgte. Zumal damals die Kunstwerke oft nur zum Teil, also unter Marktpreis, entschädigt wurden und dies nicht fair und gerecht war. Zum anderen besteht ein Missverhältnis bei Restitutionen aus privater Hand, wenn der aktuelle Besitzer eine faire und gerechte Lösung für sein Kulturgut finden muss, also einen Vermögensverlust erleidet, wohingegen der Staat seinerseits gezahlte Entschädigungsleistungen zurückfordert. Zum dritten steht zu befürchten, dass angesichts oftmals nur sehr geringer Entschädigungszahlungen der Verwaltungsaufwand höher sein dürfte als die Zahlung.
Darüber hinaus fordert der Deutsche Kulturrat das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste sowohl mit mehr Personal- als auch mit Sachmitteln auszustatten, um die hausinterne Provenienzforschung mit Blick auf den Arbeitsbereich NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu stärken. Nur so wird es möglich sein, die Datenbanken LostArt und Proveana stets aktuell zu halten, bestehende Einträge noch einmal zu überprüfen und vor allem vor Eintragung die Plausibilität intensiver zu prüfen. Ebenso sollten Informationen zu geklärten Fällen bereitgehalten werden.