Kritik der Experten ernst nehmen! – Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Anhörung von Sachverständigen durch den Rechtsauschuss des Deutschen Bundestags zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft

Berlin, den 07.12.2006. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags führte am 08., am 20. und am 29.11.2006 Anhörungen zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, den sog. 2. Korb, durch. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fühlt sich durch die dort gehörten Sachverständigen in seiner Kritik an diesem Gesetzesentwurf mit Blick auf die vorgeschlagenen Regelungen zur Vergütungsabgabe bestätigt und fordert die Mitglieder des Deutschen Bundestags auf, dem Regierungsentwurf in der vorliegenden Fassung nicht zu zustimmen.

 

Der Deutsche Kulturrat hat zum Gesetzgebungsverfahren des 2. Korbes bereits mehrfach Stellung genommen. Im Dezember 2003 hat der Deutsche Kulturrat eine „Stellungnahme zur Vorbereitung eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ abgegeben. Am 09.11.2004 hat der Deutsche Kulturrat eine Stellungnahme zum „Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ vorgelegt. In dieser Stellungnahme hat der Deutsche Kulturrat u.a. deutlich seine Bedenken gegen die vorgeschlagenen Regelungen zur Höhe der Pauschalvergütungen formuliert. Am 07.02.2006 hat der Deutsche Kulturrat seine Kritik am „Zweiten Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ nochmals bestätigt und sich in dieser Stellungnahme besonders auf die vorgeschlagenen Regelungen der Pauschalvergütungen konzentriert, die aus Sicht des Deutschen Kulturrates nicht die Urheber, sondern die Computer- und Speichermedienindustrie in den Mittelpunkt der Überlegungen rückt. Der Deutsche Kulturrat hat in seiner Stellungnahme die Bundesregierung aufgefordert, von ihren Plänen zur Neuregelung der Pauschalvergütungen Abstand zu nehmen, da diese das verfassungsrechtliche und in § 11 S. 2 UrhG postulierte Gebot der angemessenen Vergütung der Urheber und Leistungsschutzberechtigten in sein Gegenteil verkehrt.

 

Der Deutsche Kulturrat konzentriert sich im Folgenden auf einige wesentliche unter den Verbänden der Künstler, der Kultureinrichtungen, der Kulturvereine und der Kulturwirtschaft unstreitige Fragen. Zu anderen wichtigen Punkten, zu denen innerhalb des Deutschen Kulturrates unterschiedliche Auffassungen bestehen, äußern wir uns hier nicht.

 

I. Wert der Kreativität

Urheber und ausübende Künstler gehören zu den wichtigen Inhaltslieferanten der Informations- und Wissensgesellschaft. Sie leben von der Verwertung ihrer künstlerischen Arbeiten. Ihre Kreativität bildet die Grundlage für ihren Lebensunterhalt. Das Urheber- und Leistungsschutzrecht bietet für Künstler und für die Unternehmen der Kulturwirtschaft, insbesondere Verleger und Produzenten, einen wesentlichen Rechtsrahmen für eine wirtschaftliche Ausübung ihrer Tätigkeit. Künstlerische Arbeiten haben neben dem wichtigen ideellen auch einen ökonomischen Wert. Diesen Wert kreativer Leistungen zu schützen, muss auch im digitalen Zeitalter das wesentliche Anliegen des Urheber- und Leistungsschutzrechts bleiben.

 

II. Position des Deutschen Kulturrates zu einzelnen Aspekten des Urheber- und Leistungsschutzrechtes

1. § 53 UrhG (Vervielfältigung zum privaten Gebrauch)

Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass die Bundesregierung empfiehlt abzuwarten, ob sich die mit dem ersten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft neu gefassten Regelungen der Privatkopie bewähren und diese Regelungen auch im digitalen Umfeld nicht grundsätzlich zu ändern. Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf, diesem Regierungsvorschlag zu folgen.

 

2. Pauschalvergütung und Digital Right Management

Der Deutsche Kulturrat begrüßt weiterhin, dass seine Forderung nach dem parallelen Fortgelten beider Systeme, Pauschalvergütung und Digital Right Management, weitgehend aufgenommen wurde. Der Deutsche Kulturrat betont an dieser Stelle nochmals, dass die Digital Right Management-Systeme zum gegenwärtigen Zeitpunkt technisch noch nicht ausgereift und derzeit allenfalls in eng begrenzten Bereichen der Online-Übermittlung von Werken wirksam sind. Auch auf längere Sicht, wenn die Digital Right-Management-Systeme ausgereift sind, wird nach Auffassung des Deutschen Kulturrates die Notwendigkeit der pauschalen Vergütung für die weiterhin mögliche private Vervielfältigung von Werken aus ungeschützten Quellen erforderlich bleiben.

 

3. Vergütungshöhe

In seiner Stellungnahme vom 07.02.2006 zum „Zweiten Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ hat der Deutsche Kulturrat deutlich gemacht, dass die vorgeschlagenen Regelungen zur Vergütungshöhe nicht dazu führen werden, den Urhebern und Leistungsschutzberechtigten eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke zukommen zu lassen.

 

Diese Auffassung wurde in der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags am 08.11.2006 von der deutlichen Mehrzahl der angehörten Experten geteilt. Die Expertenanhörung förderte zu Tage, dass die vorgeschlagene Regelung, nach der die Vergütungsansprüche aller Berechtigten für einen Gerätetyp 5% des Verkaufspreises nicht übersteigen dürfen, in die falsche Richtung weist, weil mit einer solchen Kappungsgrenze nicht die angemessene Entschädigung der Urheber, sondern die Umsätze und Gewinne der Geräte- und Speichermedienindustrie im Mittelpunkt stehen. Dieses stellt das Urheberrecht auf den Kopf. Ebenso wurde in der Anhörung erneut deutlich, dass die vorgeschlagene Regelung, wonach eine Vergütungspflicht erst greift, wenn auf einem Gerätetyp zu mindestens 10% urheberrechtsrelevante Kopien gefertigt werden, dazu führen wird, dass zukünftig noch mehr als bisher über das Ob der Vergütungspflicht gestritten wird. Es steht danach zu befürchten, dass sowohl die Verwertungsgesellschaften als auch die Verbände der Geräte- und Speichermedienindustrie jeweils verschiedene demoskopische Gutachten fertigen lassen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich des Prozentsatzes urheberrechtsrelevanter Kopien kommen, so dass letztlich noch ein drittes Gutachten von der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt in Auftrag gegeben werden muss. Überdies wird es schwer sein, bei Geräten, die neu auf den Markt kommen und erst eine geringe Verbreitung haben, mittels empirischer Untersuchungen zweifelsfrei festzustellen, zu welchem Prozentsatz urheberrechtsrelevante Kopien gefertigt werden. Darüber hinaus erklärte die Mehrzahl der Experten in der erwähnten Anhörung, dass es unverständlich sei, die Verbrauchsmaterialien in die Vergütungspflicht nicht einzubeziehen, obwohl bekannt ist, dass z.B. bei Druckern ein erheblicher Teil des Umsatzes nicht mit den Geräten oder Speichermedien selbst, sondern mit den Verbrauchsmaterialen hierfür gemacht wird.

 

Der Deutsche Kulturrat unterstreicht nochmals, dass er die vorgeschlagenen Regelungen zur Vergütungshöhe für nicht geeignet hält, den Urhebern eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke sichern.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf, bei den nunmehr anstehenden Auswertungen und Beratungen im Rechtsausschuss diese Argumente der Experten genau zu prüfen und dem Vorschlag der Bundesregierung zur Neuregelung der Vergütungshöhe nicht zu folgen.

 

Mit Blick auf die ansonsten zu erwartenden Verschlechterungen für die Urheber erachtet es der Deutsche Kulturrat für geeigneter, wenn weiterhin der Gesetzgeber oder aber der Verordnungsgeber die Vergütungshöhe festlegt.

 

4. On-the-spot-consultation (§ 52b) und Kopienversand auf Bestellung (§ 53a)

Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass im Sinne der weiteren Entwicklung der Wissensgesellschaft und der möglichst breiten Zugänglichmachung von Informationen gesetzliche Regelungen zu On-the-spot-consultation und dem Kopienversand auf Bestellung vorgeschlagen werden. Die vorgelegten Regelungen erachtet der Deutsche Kulturrat für noch nicht optimal.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt ausdrücklich, dass der Börsenverein des deutschen Buchhandels und der Deutsche Bibliotheksverband einen gemeinsamen Vorschlag zur Regelung des § 52b und des § 53a UrhG unterbreiten wollen. Dieser Vorschlag spiegelt einen Kompromiss der beiden hauptsächlich betroffenen Beteiligten wider. Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf, sich diesen Kompromiss zu eigen zu machen. Der Deutsche Kulturrat fordert ferner, dass die Urheber bei Nutzungen von On-the-spot-consultation bzw. dem Kopienversand auf Bestellung angemessen beteiligt werden sollten.

 

5. Verwertung von Archivbeständen

Der Deutsche Kulturrat ist nach wie vor der Auffassung, dass die vorgeschlagenen Regelungen zur Verwertung von Archivbeständen unbefriedigend sind. In den Archiven liegen bedeutende kulturelle „Schätze“ in Form von Aufzeichnungen insbesondere musikalischer und literarischer Darbietungen. Mit Hilfe der neuen technischen Mittel könnten und sollten diese Schätze einem breiteren Publikum on- und offline zugänglich gemacht werden. Dabei muss eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber und die Beachtung der Urheberpersönlichkeitsrechte gewährleistet sein.

 

Der Deutsche Kulturrat ist der Auffassung, dass der vorgelegte Entwurf keine Lösung der Archivproblematik bringt. Entgegen der Begründung im Referentenentwurf sind die vorgesehene Streichung von § 31 Abs. 4 und die Konstruktion in §§ 31a und 32c UrhG zur Lösung der Archivproblematik untauglich. Denn die Archivproduktionen enthalten fast immer Werke oder geschützte Leistungen, die im Wege einfacher Nutzungsrechte erworben wurden, so z.B. Musik in Fernsehfilmen. Für diese Nutzungsrechte aber greift der neue § 137 l UrhG nicht. Ebenso wenig hilft diese Regelung bei der Retrodigitalisierung alter Zeitschriftenjahrgänge (vgl. § 38 UrhG). Der Deutsche Kulturrat fordert daher, die Abgeordneten des Deutschen Bundestags zu einer Neuformulierung unter Berücksichtigung des Urheberpersönlichkeits-rechts auf. Bei einer Neuformulierung müssen die berechtigten Interessen aller künstlerischen Sparten berücksichtigt werden. Hierzu gehören auch die ausübenden Künstler, die einbezogen werden müssen.

 

Angesichts der umfassenden Kritik am Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft bittet der Deutsche Kulturrat um eine umfängliche und gründliche Prüfung der vorgetragenen Argumente gegen den vorgelegten Regierungsentwurf. Im Mittelpunkt des Urheberrechts müssen die Urheber und Leistungsschutzberechtigten stehen. Ihre Rechte müssen gewahrt werden. Sie müssen einen angemessenen wirtschaftlichen Nutzen aus der Verwertung ihrer künstlerischer Leistungen ziehen können. Dieser Grundsatz sollte die Richtschnur der Urheberrechtsgesetzgebung sein. Der vorgelegte Regierungsentwurf wird diesem Anspruch in weiten Teilen nicht gerecht.

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