Halbzeit der Legislaturperiode: Was steht an?

Sechs kulturpolitische Forderungen des Deutschen Kulturrates an den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung für die zweite Hälfte der Wahlperiode

Berlin, den 29.09.2011. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat im Sprecherrat und in der Mitgliederversammlung über die Kulturpolitik zur Halbzeit der derzeitigen Regierungskoalition diskutiert. Der Deutsche Kulturrat hatte am 02.10.2009 nach der Bundestagswahl kulturpolitische Mindestanforderungen an die neue Bundesregierung und den neu gewählten Deutschen Bundestag formuliert. Der Deutsche Kulturrat hat zur Halbzeit ein Resümee der bisherigen Kultur- und Medienpolitik gezogen und Forderungen für die zweite Hälfte der Legislaturperiode aufgestellt.

 

1. Kultur und Europa: Dass Europa mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, wird vielfach beschworen. Jetzt in der Wirtschafts- und Finanzkrise muss sich erweisen, ob der europäische Einigungsprozess tatsächlich auf einem sicheren Fundament steht. Die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise darf nicht zu Lasten der Kultur gehen. Kultureller Austausch und Begegnungen sind unverzichtbar für ein zusammenwachsendes Europa. Der Deutsche Kulturrat fordert die Bundesregierung auf, bei der Vertretung der kulturpolitischen Interessen auf europäischer Ebene den fachlichen Sachverstand bestehender Verbände und Netzwerke stärker zu nutzen. Der Deutsche Kulturrat fordert weiter, dass das Auswärtige Amt seine Mittel für Aktivitäten in Westeuropa nicht zurückfährt, da sie dort vermeintlich nicht mehr nötig seien. Die kulturelle Dimension des europäischen Einigungsprozesses darf nicht nur in Reden beschworen werden, sondern muss gelebte Realität sein. Mit Blick auf den europäischen Einigungsprozess hält es der Deutsche Kulturrat für erforderlich, in größerem Maße die Belange des kulturellen Bereiches einzubeziehen. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Netz- sowie die Außenwirtschaftspolitik im Rahmen von Handelsabkommen. Hier muss die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Ausdrucksformen tatsächlich Anwendung finden.

 

2.Kulturfinanzierung: Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass der Kulturetat des Bundes stabil und damit ein Signal für Länder und Kommunen ist. Der Deutsche Kulturrat hält es für dringend geboten, insbesondere die Kommunen auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten in den Stand zu versetzen, Kunst, Kultur und kulturelle Bildung vor Ort zu fördern. Die Gemeindefinanzkommission ist gefordert, ein Ergebnis vorzulegen, das mehr ist als eine Kosmetik am bestehenden System. Die Städte und Kommunen müssen ausreichende finanzielle Handlungsspielräume zur Erfüllung ihrer Aufgaben bekommen.

 

3.Kooperationsverbot: Bereits während der Verhandlungen zur Föderalismusreform in der letzten Legislaturperiode hat der Deutsche Kulturrat auf mögliche negative Auswirkungen eines Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern hingewiesen. Diese negativen Auswirkungen sind heute Realität. Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Mitglieder des Deutschen Bundestags und des Bundesrats auf, das Kooperationsverbot wieder zurückzunehmen und im Sinne eines kooperativen Kultur- und Bildungsföderalismus die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen zum Nutzen von Kunst, Kultur und Kultureller Bildung wieder zu ermöglichen.

 

4.Staatsziel Kultur: In der Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und FDP ist zu lesen, dass die Koalition diesbezüglich „Gespräche über etwaige Änderungen des Grundgesetzes mit anderen Fraktionen des Deutschen Bundestags und den Ländern aufnehmen“ wird. Damit wurde eine Tür für die Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz geöffnet. Der Deutsche Kulturrat fordert, dass diese Verhandlungen jetzt zügig angegangen werden, damit das Staatsziel Kultur noch in dieser Legislaturperiode im Grundgesetz verankert werden kann.

 

5.Digitalisierung und geistiges Eigentum: Der Deutsche Kulturrat ist erfreut, dass sich Kulturstaatsminister Neumann in seinem 12-Punkte-Papier zum Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter „Ohne Urheber keine kulturelle Vielfalt“ eindeutig und klar für den Schutz des geistigen Eigentums positioniert hat. Besonders wichtig ist für den Deutschen Kulturrat die Verbindung von kultureller Vielfalt und Schutz des geistigen Eigentums. Der Deutsche Kulturrat fordert Kulturstaatsminister Neumann auf, seine Position nachdrücklich in die Verhandlungen zur Urheberrechtsreform einzubringen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten aller Fraktionen des Deutschen Bundestags auf, nachdrücklich für den Schutz des geistigen Eigentums im Sinne der kulturellen Vielfalt einzutreten und diese Haltung in den Beratungen zum Urheberrecht zu vertreten.

 

Mit großer Sorge sieht der Deutsche Kulturrat die ersten Arbeitsergebnisse der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“. Der Deutsche Kulturrat fordert die Mitglieder der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“ auf, nicht prioritär die Interessen der sogenannten Netzgemeinde und der Telekommunikationswirtschaft zu bedienen, sondern ebenso intensiv im Dialog mit den Künstlern und Medienschaffenden, der Kulturwirtschaft und den Kultureinrichtungen nach angemessenen Lösungen zum Schutz ihrer Rechte zu suchen.

 

Die Digitalisierung beinhaltet auch viele Chancen zur Teilhabe an Kunst und Kultur; das betrifft sowohl neue Formen der Kulturvermittlung als auch neue Modelle der Kulturverwertung. Zentrales Anliegen des Deutschen Kulturrates ist der Schutz des geistigen Eigentums. Zugleich müssen die Erwartungen der Nutzer im Blick gehalten werden.

 

6.Kulturelle Bildung: Erfreulicherweise machen sich verschiedene Ressorts der Bundesregierung für Kulturelle Bildung stark. Damit erfährt die Kulturelle Bildung als wesentlicher Bestandteil der allgemeinen Bildung eine Aufwertung in Schulen sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen. Kulturelle Bildung braucht aber nicht nur glänzende Projekte, sondern eine kontinuierliche Stärkung und Unterstützung. Die auskömmliche Finanzierung der Städte und Gemeinden ist unerlässlich, um Kulturelle Bildung für alle Altersgruppen und alle sozialen und kulturellen Schichten zu gewährleisten. Der Deutsche Kulturrat ist der festen Überzeugung, dass Kulturelle Bildung in einer multiethnischen Gesellschaft unverzichtbar ist und entsprechend gestärkt werden muss.

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