EU-Grünbuch „Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft“ (KOM (2008) 466/3): Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 25.11.2008. Mit Interesse hat der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, das Grünbuch „Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft“ (KOM (2008) 466/3) zur Kenntnis genommen. Im Deutschen Kulturrat sind Verbände der Künstler, der Kultureinrichtungen, der Kulturwirtschaft und der Kulturvereine zusammengeschlossen. Die Mitglieder des Deutschen Kulturrates repräsentieren alle künstlerischen Sparten.

 

Der Deutsche Kulturrat konzentriert sich in seiner Stellungnahme auf die Frage, wie Informationen und Wissen für Bildung, Forschung und Wissenschaft online zur Verfügung gestellt werden können. Der Deutsche Kulturrat hält es nicht für sinnvoll, weitere Bereiche mit einzubeziehen, wie es im vorliegenden Grünbuch stellenweise der Fall ist. Bestimmte Ausnahmen und Beschränkungen können für Bildung, Forschung und Wissenschaft gerechtfertigt sein. Solche Privilegien dürfen aber nicht auf andere Nutzungsbereiche übertragen werden. Insbesondere muss ein deutlicher Unterschied zwischen Information und Wissen auf der einen und Unterhaltung auf der anderen Seite gemacht werden. Auch im Bildungsbereich ist aber bei jeder Urheberrechtsschranke die angemessene Vergütung der Urheber und Rechteinhaber zu gewährleisten; Bildungspolitik darf nicht auf Kosten von Urhebern und Rechteinhabern gemacht werden.

 

Als höchst problematisch erachtet der Deutsche Kulturrat, dass die Kommission im Grünbuch die Probleme aus der Sicht von „Verlagen, Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Archiven, Forschern, Menschen mit Behinderungen und der breiten Öffentlichkeit“ erörtert, die Urheber der Werke aber nicht erwähnt. „Forscher“ ist kein Synonym für Urheber. Erst der schöpferische Akt der Urheber macht eine spätere Verwertung und Nutzung möglich. Der besondere Schutz der Urheber ist der Kerngedanke des Urheberrechts, der auch in einem Grünbuch zu Urheberrechten in der wissensbestimmten Wirtschaft Eingang finden muss. Der Deutsche Kulturrat sieht hier für den weiteren Diskussionsprozess noch dringenden Handlungsbedarf.

 

Seit langem spielen Verwertungsgesellschaften als Rechtevermittler und bei der Abwicklung gesetzlicher Lizenzen ein wichtige, nicht mehr wegzudenkende Rolle (vgl. nur Art. 9 der Kabel- und Satellitenrichtlinie). In vielen Fällen kann nur durch Einschaltung von Verwertungsgesellschaften zwischen dem Wunsch nach möglichst leichtem Zugang zu Informationen einerseits und den legitimen Forderungen der Urheber und Rechteinhaber andererseits ein tragfähiger Kompromiss gefunden werden. Um so mehr erstaunt es, wenn Verwertungsgesellschaften und ihre Tätigkeit im Grünbuch nicht einmal Erwähnung finden. Hier besteht dringender Nachholbedarf.

 

Der Deutsche Kulturrat betont, dass freier Zugang zu Informationen und d.h. in der Regel zu urheberrechtlich geschützten Werken nicht bedeuten darf, dass diese Werke kostenfrei zur Verfügung gestellt werden müssen. Für jede öffentliche Zugänglichmachung von Werken muss eine angemessene Vergütung der Urheber und Rechteinhaber sichergestellt sein. Dieses Grundprinzip gilt es, in der weiteren Debatte um das Grünbuch zu verankern.

 

Im Folgenden bezieht der Deutsche Kulturrat zu den im Grünbuch aufgeworfenen Fragen Stellung:

 

Allgemeines
Fragen 1 und 2
Der Deutsche Kulturrat vertritt die Auffassung, dass Ausnahmen und Beschränkungen grundsätzlich gesetzlich geregelt werden sollten. Das schließt vertragliche Kooperationen auf der Grundlage von Schrankenbestimmungen nicht aus (vgl. dazu unten Fragen 6,7, 13). Entscheidend ist, dass eine angemessene Vergütung der Urheber und Rechteinhaber sichergestellt wird; dabei kommt Verwertungsgesellschaften – insbesondere im Rahmen von gesetzlichen Lizenzen – eine wichtige Aufgabe zu. Mit ihrer Einschaltung erübrigen sich „Leitlinien“ und „Musterlizenzen“.

 

Ausnahmen für Bibliotheken und Archive (Fragen 3 bis 12)
Fragen 3 bis 5
Der Deutsche Kulturrat sieht derzeit keinen Anlass, auf europäischer Ebene verbindliche Ausnahmeregelungen einzuführen. Er plädiert vielmehr für fakultative Ausnahmen, deren Umsetzung dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleibt. Sofern allerdings verbindliche Ausnahmen EU-weit eingeführt werden, muss jedenfalls die angemessene Vergütung sichergestellt sein.

 

Fragen 6 und 7
Verlage und Bibliotheken ergänzen sich. So können Bibliotheken den elektronischen Werkszugang ermöglichen, wenn der Verlag – aus welchen Gründen immer – diesen nicht selbst installieren will (vergleiche die Regelung zum elektronischen Kopienversand in § 53a UrhG). In anderen Fällen kooperieren Bibliotheken und Verlage. Ein gutes Beispiel hierfür ist das seit 2002 funktionierende Projekt DigiZeitschriften in dem Bibliotheken mit Unterstützung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und der Verwertungsgesellschaft WORT den elektronischen „Zugang zu namhaften deutschen Zeitschriften mit langem Erscheinungsvorlauf“ ermöglichen.

 

Frage 8
Die hier angesprochenen Themen wurden bereits in der Informationsrichtlinie (2001/29/EG) umfassend behandelt. Nach Auffassung des Deutschen Kulturrates liegt es nun am nationalen Gesetzgeber, diese Vorgaben angemessen umzusetzen. Digitalisierung analoger Vorlagen ausschließlich zum Zweck der Archivierung sollten dabei erlaubt werden; die Zahl der in diesem Rahmen erlaubten Kopien sollte bedarfsabhängig sein; so genügt für Archivzwecke die Fertigung einer Kopie. Zum Einscannen ganzer Bibliotheksbestände gilt das zu Fragen 6 und 7 Ausgeführte.

 

Frage 9
Aus Sicht des Deutschen Kulturrates sind hier keine weiteren Ausnahmen erforderlich.

 

Fragen 10 bis 12
Die Nutzung verwaister Werke stellt für Wissenschaft und Forschung teilweise ein erhebliches urheberrechtliches Problem dar. Das gleiche gilt allerdings auch für vergriffene Werke. Die inzwischen in der Praxis mit Hilfe von Verwertungsgesellschaften entwickelten Verfahrensweisen – die insbesondere dem Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen dienen – sollten durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen oder Leitlinien abgesichert werden (vgl. die Initiative 2010 im Zusammenhang mit der Europäischen Digitalen Bibliothek). Eine Richtlinie sollte den nationalen Gesetzgebern entsprechende – zwingende – Vorgabe machen, um die Wiederzugänglichmachung dieser Werke durch Wissenschaft und Forschung, aber auch für private Anbieter zu erleichtern.

 

Ausnahmen für Menschen mit Behinderung
Fragen 13 bis 18
Zugunsten von Menschen mit Behinderung sollten nicht nur Ausnahmen vom Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht vorgesehen werden, sondern auch vom Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, damit Ausgaben für Menschen mit Behinderung auch in elektronischer Form übermittelt und bereitgestellt werden können. Die Schranken sollten allerdings nur für solche Behinderungen gelten, die den konkreten Werkzugang in herkömmlicher Form unmöglich machen. Jedenfalls kann auch bei gesetzlichen Schranken zugunsten Behinderter auf eine angemessene Vergütung der Urheber und Rechteinhaber nicht verzichtet werden, es sollen dabei jedoch die sozialen Hintergründe der behinderten Nutzer angemessen berücksichtigt werden.

 

Für Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es ein funktionierendes Lizenzierungsmodell. Der Vertrag zwischen der Mediengemeinschaft für Blinde und Sehbehinderte e.V. (MEDIBUS) und VG WORT ermächtigt Blindenbüchereien nicht nur zur Vervielfältigung und Verbreitung von Blindenausgaben, sondern – über die gesetzliche Lizenz von § 45a UrhG hinaus – auch zum elektronischen Versand dieser Ausgaben. Parallele Lizenzverträge finden sich in Österreich und der Schweiz.

 

Der Deutsche Kulturrat befürwortet den Vorschlag der Kommission, eine Ausnahme vom Datenbank- und Sui-generis-Schutz speziell für Menschen mit Behinderung vorzusehen.

 

Verbreitung zu Unterrichts- und Forschungszwecken
(Fragen 19 bis 23)
Frage 19
In der Antwort zu den Fragen 6 und 7 hat der Deutsche Kulturrat bereits ausgeführt, dass Bibliotheken und Verlagen sich ergänzen können. Entsprechende Kooperationen sind auch zwischen Wissenschafts- und Forschungsgemeinschaften und Verlagen möglich. Auch Verwertungsgesellschaften kann in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion zukommen. So haben mehrere Verwertungsgesellschaften in Deutschland im Rahmen der gesetzlichen Lizenz (§ 52a UrhG) gemeinsam einen Vertrag mit den deutschen Ländern über die öffentliche Zugänglichmachung von Werken oder Werkteilen für Unterrichtszwecke an den Schulen geschlossen. Neben gesetzlichen Schranken sind freilich auch Lösungen durch vertragliche Einräumung von Rechten an Verwertungsgesellschaften oder one-stop-shop-Lösungen z.B. mit Bibliotheksvereinigungen (wie in Deutschland mit Subito) möglich.

 

Fragen 20 bis 23
Die Ausnahmen zur Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Werken für Bildung und Forschung sind nach Auffassung des Deutschen Kulturrates durch Art. 5 Abs. 3a der Informations-Richtlinie hinreichend geregelt. Die Ausgestaltung der Details sollte den nationalen Gesetzgebern überlassen bleiben.

 

Von Nutzern geschaffene Inhalte
Fragen 24 und 25
Nach Auffassung des Deutschen Kulturrates handelt es sich bei von Nutzern geschaffenen Inhalten und den genannten Beispielen von web 2.0 Anwendungen um keine Probleme von Bildung, Wissenschaft oder Forschung, sondern um Fragen der privaten Nutzung von Inhalten. Mit Nachdruck unterstreicht der Deutsche Kulturrat, dass er keinerlei Anlass dafür sieht, für diesen Bereich besondere Bestimmungen zu schaffen. Urheber können ihre eigenen Inhalte im Internet zur Verfügung stellen, wenn sie aber die Werke anderer Urheber nutzen wollen, müssen sie die Regeln des Urheberrechts einhalten. Das gilt auch für so genannte web 2.0-Anwendungen.

Vorheriger ArtikelVorschlag der EU-Kommission zur Schutzfristverlängerung für Tonträger: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates
Nächster ArtikelDigitalisierung der Medien als Herausforderung für Gesellschaft und Politik