Die ganze Welt ist in der Habsucht ersoffen wie in einer Sintflut

Über gemeinen Nutz und Wucher bei Martin Luther

Das frühkapitalistische Wirtschaftssystem und die Weisungen der Bibel sah Luther in scharfem Kontrast. Der Mammon sei in der Gesellschaft geradezu der Motor des Fortschritts geworden. Immer wieder nimmt er bezug auf einen Satz im ersten Timotheus-Brief: „Denn Habsucht ist eine Wurzel allen Übels; wie etliche gelüstet hat und sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen“ (1. Tim. 6,10).

 

Bereits in seiner Adelsschrift von 1520 sprach er sich gegen die Bettelei aus und forderte dazu auf, eine Ordnung zu machen, „dass jede Stadt ihre armen Bürger versorgte und keine fremden Bettler zuließe … Es könnte auch jede Stadt, die ihren ernähren, und wenn sie zu schwach wäre, sollte man auf den umliegenden Dörfern auch das Volk ermahnen, dazuzugeben; müssen sie doch sonst so viele Landstreicher und Buben unter dem Namen des Bettelns ernähren. So könnte man auch wissen, welche wahrhaft arm sind oder nicht.“

„Gier frisst letztendlich alles und alle auf.“

Luther argumentiert in zwei Richtungen. Einmal sagt er, „wer arm sein will, sollte nicht reich sein, will er aber reich sein, so greife mit der Hand an den Pflug und such’s sich selbst aus der Erde. Es genügt, dass die Armen angemessen versorgt sind, so dass sie nicht Hungers sterben noch erfrieren. Es schickt sich nicht, dass einer aufgrund der Arbeit des anderen müßig gehe, reich sei und gut lebe, während ein anderer übel lebt, wie jetzt der verkehrte Missbrauch ist. Denn Sankt Paulus sagt: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.’ Es ist niemandem von Gott verordnet, von den Gütern der anderen zu leben.“ Jeder solle arbeiten. Und jeder solle für seine Arbeit auch Geld bekommen. Niemand dürfe durch die Arbeit anderer so reich werden oder sein, dass er seinerseits nicht mehr arbeiten muss, während der „Arbeitnehmer“ übel sein Dasein fristet. Es geht um den gerechten Lohn und die faire Verteilung des erzielten Gewinns. Luther will keineswegs den größten Wirtschaftszweig – wie er sagt: den Handel, vernichten, sondern will, dass nicht verderbliche Sitten durch den Handel ins Land kommen. Das größte Unglück aber für die deutsche Nation „ist gewiss das Kreditwesen. Wenn das nicht wäre, müsste mancher seine Seide, Samt, Goldstickerei, Spezerei und allerlei Prunkwerk ungekauft lassen. Es besteht nicht viel länger als 100 Jahre und hat schon fast alle Fürstenstifte, Städte, Adel und Erben in Armut, Jammer und Verderben gebracht“. Würde es noch 100 Jahre bestehen, so wäre es nicht möglich, dass Deutschland einen Pfennig behielte; wir müssten uns gewiss untereinander fressen…fürwahr, das Kreditwesen muss ein Symbol und Anzeichen dafür sein, dass die Welt mit schweren Sünden und dem Teufel verkauft ist, dass es uns zugleich an irdischem und geistlichem Gut gebrechen muss. Dennoch merken wir nichts.“ Wer denkt da nicht an heutige Kommunalfinanzen und den horrenden Schuldendienst aufgrund der Staatsverschuldung? Was Luther geißelt, ist durchaus vergleichbar mit der dubiosen Praxis, wo zu Zeiten der „New Economy“ Aktienkäufe durch Kredite zu finanziert wurden, um ohne eigenes Kapital schnelle Gewinne zu machen. Das entspräche den Lehen auf Kreditbasis. Durch den Kurssturz an den Aktienmärkten ging das eingesetzte, kreditfinanzierte Kapital verloren, die Schulden aber gegen den Kreditgeber bleiben ohne Gegenwert als Sicherheit. Das kann damals wie heute ins Unglück führen, dem Missbrauch, der Habsucht und dem Elend Tor und Tür öffnen. Noch schlimmer kam es nun beim drohenden Zusammenbruch des ganzen Finanzmarktes in den USA. Der deutsche Außenminister erklärte im September 2008 vor der UNO-Vollversammlung, Leichtsinn, Gier und Unvernunft hätten in die Finanzkrise geführt und es sei noch nicht absehbar, wer weltweit mit in den Orkus gezogen wird. Hatten nicht Liberalisierung und Deregulierung die Zauberworte geheißen? Da in den USA das finanzielle Kartenhaus zusammenbricht (virtuelles Geldwerte führen zu realen, horrenden Verlusten!), weiß keiner mehr eine Zauberformel und ausgerechnet der geschmähte Staat soll nun eingreifen und ein 700-Milliardenrettungpaket schnüren.

 

Gemeinwesenverantwortung mit Regeln und deren Kontrolle muss auf dem Kapitalmarkt wieder Platz greifen, statt hohe und schnelle Rendite über alles zu stellen. Gier frisst letztendlich alles und alle auf.

 

Luther fordert, den Fuggern und dergleichen Gesellschaften einen Zaum ums Maul zu legen und weist auf den Widerspruch hin, dass die einen in einem überschwänglichen Überfluss in Bezug auf Aufwand, Kleider und Repräsentation leben während die anderen mehr und mehr verarmen. „Man muss wissen, dass zu unseren Zeiten (von denen schon der Apostel Paulus angekündigt hat, dass sie gefährlich sein werden) die Habsucht und der Wucher in der ganzen Welt nicht nur furchtbar eingerissen sind, sondern auch gewagt haben, sich Deckmäntel zu suchen, worunter sie für recht und billig gehalten, ihr böses Tun ungehindert ausüben können. Dabei ist es beinahe dahingekommen, dass wir das Heilige Evangelium für nichts achten. Deshalb ist es in dieser gefährlichen Zeit für einen jeden Menschen nötig, sich vorzusehen und in den Angelegenheiten der zeitlichen Güter mit der richtigen Unterscheidungskraft vorzugehen und aufmerksam auf das heilige Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu achten.“

Friedrich Schorlemmer
Friedrich Schorlemmer ist Theologe. Er war bis 2007 Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Wittenberg.
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