Berlin, den 08.04.2016. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat sich bereits am 30.09.2015 in seiner Resolution „Nothilfe jetzt, Integration als langfristige Aufgabe“ zum Themenkomplex kulturelle Bildung und Integration positioniert. Er hat in der Stellungnahme das große bürgerschaftliche Engagement beim Empfang, der Unterbringung und den Hilfeleistungen für Geflüchtete herausgestrichen und betont, dass Bildungs- und Kultureinrichtungen einen Beitrag zu Teilhabe und Integration leisten wollen und können. Mit Blick auf die andauernde Diskussion um die Aufnahme und Integration von Geflüchteten positioniert sich der Deutsche Kulturrat mit dieser Stellungnahme erneut. Beide Stellungnahmen sind im Zusammenhang zu sehen.
Allianz für Weltoffenheit
Der Deutsche Kulturrat ist Mitträger der „Allianz für Weltoffenheit“ und hat gemeinsam mit den Sozialpartnern, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie Dachverbänden anderer gesellschaftlicher Bereiche den Aufruf „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“ verfasst. Darin heißt es zu Beginn: „Deutschland ist ein demokratisches und weltoffenes Land, eingebettet in die Europäische Union als Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft, den universellen Menschenrechten verpflichtet. In Deutschland leben seit Jahrzehnten Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion zusammen. Der im Grundgesetz verankerte Schutz der Menschenwürde gilt für alle Menschen, gleich ob sie seit Generationen hier leben, zugewandert oder als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Wer in seiner Heimat aufgrund von Krieg und Verfolgung um Leib und Leben fürchten muss, hat Anspruch auf Schutz in Europa. Wir treten dafür ein, dass Deutschland auch weiterhin seine humanitären Verpflichtungen erfüllt. Zugleich steht außer Frage, dass wir unbedingt eine gemeinsame europäische Lösung brauchen, um Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen und den Anliegen der vielen schutzsuchenden Menschen gerecht zu werden.“
Im Jahr 2015 haben rund 1 Million Menschen in Deutschland Zuflucht gesucht. Ohne das große bürgerschaftliche Engagement wäre die Grundversorgung in den Kommunen nicht zu leisten gewesen. Es ist zu erwarten, dass angesichts von Bürgerkriegen und wirtschaftlicher Not weiter Menschen in diesem und in den kommenden Jahren in Europa bzw. in Deutschland Zuflucht suchen werden. Dies stellt alle staatlichen Ebenen und die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen. Das beginnt beispielsweise beim Wohnungsbau, bei der Integration in Arbeit, bei der räumlichen, sachlichen und personellen Ausstattung von Kindertageseinrichtungen sowie Schulen und reicht bis zu konkreten Integrationsleistungen des Kulturbereiches. Für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt ist eine nachhaltige Begleitung der anstehenden Prozesse von Nöten.
Kulturelle Vielfalt
Deutschland ist ein Land der kulturellen Vielfalt. Kultur in Deutschland wird geprägt durch die verschiedenen Regionen, unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen und Menschen, die hier leben, egal ob hier geboren oder zugewandert. Geflüchtete werden durch ihre kulturellen Ausdrucksformen die kulturelle Vielfalt bereichern. Dabei gilt es Gemeinsamkeiten zu finden und Unterschiede anzuerkennen.
Kunstfreiheit
In Art. 5. Abs. 3 Grundgesetz steht: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“. Dieser Grundsatz ist unverrückbar.
Kultur als Heimat
Wer seine Heimat verliert, für den sind kulturelle Traditionen, Bräuche und vertraute künstlerische Ausdrucksformen Erinnerung und Verbindung in die Heimat und Teil der kulturellen Identität. Die Bewahrung und Pflege kultureller Bräuche und Traditionen muss jedoch unter der Akzeptanz hier geltender Regeln erfolgen.
Die Geflüchteten müssen sich in einem Land zurechtfinden, das andere kulturelle Traditionen und Prägungen als ihre Heimat hat und in dem Kunstfreiheit Verfassungsrang hat. Zum Ankommen, Bleiben und Heimisch-Werden in Deutschland ist es unabdingbar, sich mit der Kultur und den kulturellen Traditionen dieses Landes zu befassen. Zugleich baut eine Willkommenskultur gegenüber Geflüchteten Brücken und Kommunikationsanlässe, sich in einer neuen Gesellschaft zurechtzufinden und gemeinsam Verbindendes und Trennendes kennenzulernen.
Willkommen sein bedeutet, dass die Menschen Spielräume und Möglichkeiten bekommen, aktiv am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben und mitzugestalten.
Neue Aufgaben – neue Ressourcen
Bedeutung der deutschen Sprache
Sprache ist der Schlüssel zur Integration in die Gesellschaft. Der Deutsche Kulturrat begrüßt die mannigfachen Initiativen von Verbänden und Organisationen in der Vermittlung von Sprachkenntnissen. Das Erlernen der deutschen Sprache ist mehr als Spracherwerb, es dient zugleich dem Kennenlernen und Verstehen des kulturellen Lebens in Deutschland und ermöglicht Teilhabe. Begrüßenswert ist ebenso die Bereitstellung von Lern- und Orientierungshilfen. Auch hier engagieren sich viele Akteure des Kulturbereiches. Lernplattformen und Apps bieten ortsunabhängig die Möglichkeit, sich zu informieren, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Erforderlich ist eine stärkere Bündelung und Abstimmung der verschiedenen Aktivitäten, nicht zuletzt auch um Ressourcen zielgerichtet einzusetzen. Nur durch qualifizierte hauptamtliche Strukturen ist die Aufgabe zu meistern.
Personelle und sachliche Ausstattung
Zur Unterstützung ehrenamtlicher Strukturen gehört ein Netz hauptamtlich arbeitender Akteure und gesicherter Strukturen, die ihrerseits gezielt und systematisch Ehrenamtliche weiterbilden und in ihrer Arbeit begleiten und unterstützen oder auch koordinieren. So benötigt die Entwicklung von pädagogischen Konzepten und Vermittlungsformen für die Kulturarbeit mit Geflüchteten einen entsprechenden qualitativen Unterbau aus Personal und Sachmitteln. Hieraus entsteht zusätzlicher Aufwand für Personal und Material. Die Auslagen von bürgerschaftlich Engagierten gilt es unbürokratisch zu erstatten.
Kulturarbeit mit Geflüchteten bedarf der entsprechenden sachlichen Ausstattung. Hierzu gehören Materialien und weitere entsprechende technische Ausstattungen. Der Deutsche Kulturrat warnt vor der Erwartung, dass die hierfür nötigen Ressourcen von den Kultureinrichtungen, -projekten oder -vereinen aus dem bestehenden Etat bestritten werden können.
Qualität und Qualifikation
Kulturvereine, Kulturprojekte und Kultureinrichtungen verfügen über vielfältige kulturelle Angebots- und Vermittlungskonzepte. Viele haben sich bereits interkulturell geöffnet und Strategien in der Zusammenarbeit mit Migranten entwickelt. Die Arbeit mit Geflüchteten verlangt aber weitere Qualifikationen, handelt es sich doch oftmals um Menschen, die traumatisiert sind. Sie haben am Anfang einen in Deutschland ungeklärten Aufenthaltsstatus und können nicht automatisch davon ausgehen, dass sie in Deutschland dauerhaft bleiben werden. Auf diese Unsicherheiten müssen diejenigen, die sich für und mit Geflüchteten engagieren, vorbereitet werden. Dazu gehören auch Reflexionsangebote.
Die Weiterbildung des vorhandenen hauptamtlichen Personals und von bürgerschaftlich Engagierten in interkulturellen Kompetenzen und landeskundlichen Kenntnissen trägt zur Qualitätsverbesserung der kulturellen Bildungsarbeit bei. Durch die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit Migrantenselbstorganisationen können Erfahrungen und Interessen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in die aktuelle Arbeit einbezogen werden.
Bürgerschaftliches Engagement
In Deutschland gibt es ein breites bürgerschaftliches Engagement in den verschiedenen gesellschaftlichen Feldern und Organisationszusammenhängen. Die bestehende Vereinskultur und viele langfristig angelegte Initiativen stehen für zuverlässiges, kontinuierliches Engagement. Sie entwickeln Bindungskraft für die Menschen, die sich in ihnen engagieren und übernehmen Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kulturvereine und -initiativen sind ein Teilbereich dieses gesellschaftlichen Engagements. Das kulturelle Leben im ländlichen Raum beruht sogar oft grundlegend auf bürgerschaftlichem Engagement, dieses wird nunmehr zusätzlich in der Arbeit für und mit Geflüchteten gefordert.
Viele Bürgerinnen und Bürger sind im Kultursektor ehrenamtlich für und mit Geflüchteten aktiv. Das ist sehr wertvoll und wichtig, sind es doch die persönlichen Kontakte zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, seien es schon lange hier Lebende oder Neuankommende, die Vorurteile abbauen helfen und unbürokratisch und unmittelbar zum gegenseitigen Austausch beitragen.
Bürgerschaftliches Engagement darf allerdings kein Ersatz für staatliche Daseinsvorsorge und kein Vorwand für deren fortdauernde Mangelwirtschaft sein.
Anerkennungskultur
In vielen Kommunen gibt es positive Beispiele der Unterstützung und Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit. Dazu zählen beispielsweise die EhrenamtsCard, freier Eintritt in öffentliche Einrichtungen, Einladungen zu besonderen Veranstaltungen, freie Fahrt in den öffentlichen Nahverkehrsmitteln und anderes mehr. Diese Anerkennung muss es auch für die Arbeit für und mit Geflüchteten geben.
Zur Anerkennungskultur gehört auch, den Eigensinn und die Selbstbestimmung des bürgerschaftlichen Engagements zu achten und wertzuschätzen. Bürgerschaftlich Engagierte sollen, wollen und können keine Lückenbüßer für hauptamtliche Strukturen sein.
Schaffung einer Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Integration
Integrationspolitik betrifft alle staatlichen Ebenen und gesellschaftlichen Akteure. Sie endet weder an den Grenzen eines Bundeslandes, noch sollte „das Rad in jedem Land neu erfunden“ werden. Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern setzen Impulse zur Zusammenarbeit und mobilisieren Ressourcen. Es sollte eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Integration geschaffen werden, die auch den Kulturbereich berücksichtigt.
Ausweitung bestehender Förderprogramme
Bestehende Förderprogramme und -strukturen insbesondere auch im Bereich der kulturellen Bildung müssen ausgebaut werden. Bestehende etablierte Strukturen bringen einen Erfahrungsschatz und Kompetenzen in der Arbeit mit Förderprogrammen ein, der genutzt werden sollte. Die Erweiterung der bestehenden Programme, wie beispielsweise die Jugendfreiwilligendienste und das Programm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ kann dazu beitragen, dass nicht eine neue Sonderstruktur für Geflüchtete entsteht, die wiederum zu Segregation führen kann, sondern dass Geflüchtete als Zielgruppe gemeinsam mit anderen in den Blick genommen werden.
Fazit
Integration von Geflüchteten ist eine neue Aufgabe, der sich die Kulturvereine, -organisationen und -einrichtungen gerne stellen. Sie geht allerdings deutlich über die Regelaufgaben hinaus und bedarf, damit sie nicht zu Lasten anderer Aufgaben geht, zusätzlicher Ressourcen.
Der Deutsche Kulturrat schätzt, dass eine Aufstockung der bestehenden Kulturförderung von Gemeinden, Ländern und Bund um fünf Prozent im Jahr erforderlich ist, um die Strukturen im Kulturbereich nachhaltig und längerfristig in die Lage zu versetzen, im Zusammenspiel von haupt- und ehrenamtlichen Akteuren einen qualitativ und quantitativ adäquaten Beitrag zur Integration zu leisten.