Keine Ausreden mehr

Beim Klimaschutz belügen wir uns oft selbst

Dass wir die Guten sind, davon waren wir überzeugt. Wir versuchten Plastik zu vermeiden, trennten ordentlich unseren Müll, fuhren gelegentlich, nein, eigentlich schon häufig, Fahrrad. Wir kauften im Bioladen das Schnitzel vom ehemals glücklichen schwäbisch-hällischen Landschwein, auch mal Tofu und Ziegenkäse. Der Wein durfte aus ökologischem Anbau sein. Jedenfalls, wenn er gut war. Und natürlich lasen wir immer mal wieder voller Empörung einen Artikel über den Klimawandel und die mutlosen Versuche der Regierungen, etwas dagegen zu tun. Danach schüttelten wir dann immer die Köpfe über die Politik und die Politiker und kauften einmal mehr Biotomaten.

 

Wir leben im Anthropozän, einem neuen geochronologischen Zeitalter: Sogar das wussten wir schon lange, auch wenn wir natürlich nicht jeden Morgen mit dem Gedanken daran aufwachten, dass in dieser Epoche, wir, die Menschen, zu den wichtigsten Einflussfaktoren für die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden sind. Dieses „wir“, die Menschen, hatte nämlich etwas wunderbar Exkulpierendes, es schloss uns als Individuen zwar ein, aber eben dann doch nur, wenn es uns passte. In vielen anderen Situationen erlaubt es uns unbewusst das Verstecken – hinter der Gesellschaft oder dem Staat. Und so führte unsere persönlich durchaus hohe Kenntnis über den Klimawandel, seine Ursachen und seine Folgen nicht automatisch zu verändertem Handeln, jedenfalls nicht grundsätzlich – nicht so, wie es der Dimension des Problems angemessen gewesen wäre.

 

Unsere Selbstgewissheit erschütterte der Ethik-Unterricht unserer Tochter; gut, dass es den an den Berliner Schulen gibt. Denn aus dem kam unsere damals 12-jährige Franziska eines Tages nach Hause, setzte sich an den Computer und rechnete gemeinsam mit dem Vater die familiäre CO2-Bilanz aus: Sie trugen die Reisen, die Einkäufe und die Größe unseres Hauses ein. Unsere Autokilometer. Den Stromverbrauch und wie wir heizen. Das war die Hausaufgabe und das Ergebnis eine mittlere Katastrophe – 42 Tonnen CO2 für uns vier. Damit lagen wir zwar geringfügig unter dem bundesdeutschen Durchschnitt, aber wesentlich höher als wir vermutet hätten. Die meisten Familien ihrer Mitschüler lagen übrigens noch höher. Was uns zunächst beruhigte: Die waren schließlich schlimmer als wir.

 

Beim Abendessen dachten wir nach: Kann eine vierköpfige Familie in Deutschland so leben, dass es dem Klima nicht schadet? Was müssten wir dafür ändern? Unser Sohn Jakob ist strikter Vegetarier. Isst er besser, rein klimatechnisch? Wie sieht es mit dem Urlaub aus: Sind die Alpen und Griechenland noch erlaubt? Wo und wie müssen wir unser Leben ändern? Wo müssten wir uns der herrschenden Alltagskultur widersetzen, wo würde sie das unterstützen. Können wir das?

 

Die ersten Wochen waren einfach: Günther kaufte einen Fahrradanhänger für den wöchentlichen Großeinkauf, und wir lernten von Agrarwissenschaftlern, wie welches Obst gelagert und transportiert wird. Kauften keine eingeflogenen Mangos mehr und stellten den chilenischen Rotwein zur Disposition. Ernährten uns meist fleischlos, und wenn es denn ein Braten sein soll – das Brandenburger Wildschwein ist eine gute Wahl: Es ist bio und regional, es gibt zu viele, und wenn es denn geschossen wird, kann man es auch gut aufessen. Und wir bestellten den Energieberater. Das kostete 20 Euro und bewirkt gleich einiges. Er erklärte uns beispielsweise, dass der zweite Kühlschrank im Keller unnötige Energieverschwendung sei, was wir wussten, aber bis dahin tapfer ignoriert hatten, und lobte uns dafür, dass der in der Küche auf sieben Grad eingestellt ist. Dass wir nur noch mit 30 Grad waschen, kürzer duschen und kaputte Glühbirnen durch LEDs ersetzen sollten. Außerdem müssten wir die Fenster abdichten.

 

Der Energieberater half uns dabei, etwas zu tun, was, seitdem die „schwäbische Hausfrau“ als Klischee Eingang in die politische Debatte gefunden hat, positiv besetzt ist: Geld sparen. Entsprechend positiv waren die Reaktionen unserer Freunde. Mit Gesprächen über Energiesparen im Haus konnten wir mehrere Essen füllen. Doch in der Regel folgten nach den Fragen über den Sinn von abgedichteten Fenstern und den freundlichen Reaktionen ein Befremden. Und zwar, wenn wir davon erzählten, dass das allein nicht reicht. Dass es auch noch andere, weiterreichende Veränderungen des eigenen Verhaltens braucht, um wirklich CO2 einzusparen. Dass wir beispielsweise nicht mehr Fliegen.

 

Spätestens zu dem Zeitpunkt hatten nicht alle, aber viele Gesprächspartner vor allem ein Ziel: Sie wollten sich weiter grün fühlen, ohne ihr Verhalten ändern zu müssen. Idealtypisch fanden wir drei Ausweichstrategien.

 

Ignorieren: Natürlich hat man vom Klimawandel gehört. Aber dass der auch etwas mit dem eigenen Verhalten zu tun hat – das lässt sich leicht ignorieren. Oft garniert mit dem Vorwurf, Klimaschützer seien eh nur verbildete Wohlstandsbürger aus der Großstadt. Die sich das leisten können, weil sie sowieso mit dem Fahrrad oder der U-Bahn überall hinkommen. Die anderen, die echten Menschen hingegen, brauchen das Auto und den Billigflug zweimal im Jahr. Anthropozän? Ja, schon mal gehört. Aber hat das was mit mir zu tun?

 

Wegducken: Erst mal muss die Politik die anderen, die Reichen und vor allem Konzerne in Haftung nehmen. Man selbst sei schließlich nur ein kleiner Fisch. Und dann sollen die Politiker selbst mal was machen, Gesetze oder internationale Abkommen. Gern wird diese Haltung mit einer Verachtung für den Markt kombiniert: Die Idee, dass der Bürger durch sein Verhalten als Verbraucher die Welt verändern könne, sei ein Auswuchs neoliberaler Ideologie. Durch die werde alle Verantwortung individualisiert und damit entpolitisiert. Dabei müsse man erst einmal die Systemfrage stellen: Sei die beantwortet, löse sich auch das Ökoproblem.

Petra Pinzler und Günther Wessel
Petra Pinzler ist Redakteurin im Hauptstadtbüro der ZEIT. Günther Wessel ist Journalist und Autor.
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