Keine Ausreden mehr

Beim Klimaschutz belügen wir uns oft selbst

 

In die Zukunft fliehen: Grüne Technologie wird das Problem schon für alle lösen. Verzicht ist nicht nötig, oder wie es der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann einmal formulierte: „Verzicht hat noch nie funktioniert“. Hört sich irgendwie gut an. Und lebenslustig. Stimmt aber nicht.

 

Denn diese Behauptung ist nicht nur ahistorisch, sie widerspricht auch einem Prinzip, dass viele Religionen vereint. Denn diese verkünden: Nicht das Schlaraffenland, die dauernde Völlerei sorgen für zufriedene Menschen. Sondern Mäßigung und, ja, Verzicht. Wir wollen hier nicht dem Pietismus das Wort reden, ebenso keine asketische Verzichtsideologie propagieren. Aber zu einem erfüllten Leben können das Fasten, die Bescheidenheit und der bewusste Verzicht gehören, und sei es nur, um danach intensiver genießen zu können.

 

Und was ist eigentlich Verzicht? Drei Wochenendtrips per Flugzeug im Jahr ausfallen lassen? Unsere erste Klimabilanz, die mit den 42 Tonnen, hatte gerettet, dass wir in den Jahren zuvor solche Ausflüge zufällig ließen. Heute tun wir das bewusst. Wir gehörten nicht zu den 4,1 Milliarden Menschen, die 2017 in ein Flugzeug gestiegen waren. Das ist hochgerechnet mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung – aber laut WWF und Germanwatch haben nur fünf Prozent der Weltbevölkerung überhaupt jemals ein Flugzeug betreten. Es fliegt also nur ein winzig kleiner Teil der Weltbevölkerung, quasi die Elite der globalisierten Welt – auch wenn die sich bei einem Flug mit Ryanair eher wie globales Proletariat vorkommt. Doch dieser Eindruck ist falsch. Wer fliegt, ist ungeheuer privilegiert – und tut das auf Kosten der großen Mehrheit der Menschen. Denn Fliegen ist mit Abstand das klimaschädlichste Verhalten der westlichen Mittelschicht. Und ausgerechnet das wird trotz der fast jährlichen neuen Klimaversprechen der Regierungen noch staatlich gefördert: durch gigantische Steuererleichterungen und Dumpingpreise bei der Flughafennutzung.

 

Fliegen? Ich brauche einfach die kurze Erholung vom Stress durch den Kurztrip nach … Alle anderen tun es doch auch. Nur wer die Welt gesehen hat, kann sie auch verstehen. Der moderne Mensch muss heute globale Erfahrungen sammeln …

 

Die Liste der Entschuldigungsstrategien – nicht nur fürs Fliegen – lässt sich beliebig verlängern. Natürlich steckt in allen ein Körnchen Wahrheit. Natürlich wäre es leichter, ökologischer zu leben, wenn die Nachbarn es auch täten – wenn alle weniger flögen. Sicher brauchen wir deswegen für eine klimaneutrale Gesellschaft technologische Innovationen, ressourcenschonendere Verkehrspolitik und eine ökologischere Agrarpolitik. Natürlich müsste „die“ Politik das umsetzen.

 

Denn allein (aus dem Flugzeug) auszusteigen, ist nicht einfach. Wir sind Bürger einer Gesellschaft, in der das Reisen ein Statussymbol ist und die Urlaubsfotos aus dem Süden Zugehörigkeit dokumentieren. Und wer will das nicht? Dazugehören aber bedeutet in einer immer mobileren Konsumgesellschaft: Reisen und Kaufen. Oder übersetzt: Treibhausgase produzieren. Nein, wir haben in dem Jahr, in dem wir die Treibhausgase reduzieren, nicht gelitten. Wir haben viel gelacht und gelernt – auch über uns. Und unsere Tochter Franziska sagte nach einem Jahr möglichst klimaneutralem Leben über ihren Alltag: „Es sind nur Bequemlichkeitsprobleme. Wenn das Wetter eklig ist, will man halt mit dem Auto gebracht werden. Jetzt muss ich mir überlegen, was mir wichtiger ist. Früher hätte ich nicht darüber nachgedacht, und insofern wünsche ich mir manchmal: Och, hätte es das Jahr doch nie gegeben. Dann wäre man unschuldiger. Für die Welt macht es keinen Unterschied, ob man Bescheid weiß, ob etwas Mist ist fürs Klima oder nicht. Für einen selbst schon.“

 

Franziska hat das Anthropozän verstanden und ganz nebenbei auch noch den Kantschen Imperativ. Dass es keine Entschuldigungen mehr gibt. Keine Ausflüchte. Und auch, dass dann das individuelle Handeln bedeutsam ist.

 

Nachdem wir ein Jahr versucht haben, möglichst klimaneutral zu leben und dabei stressfrei unseren Fußabdruck um 31 Prozent – von 42 Tonnen auf 29 Tonnen CO2 – verkleinert haben, wissen wir: Politisches Versagen entschuldigt nicht private Faulheit. Und: Wer privat etwas verändert, wird auch politischer. Wir wollen jetzt mehr denn je eine andere Politik. Aber wir wissen auch, dass wir manches schon jetzt tun können und damit unseren Alltag verändern. Ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, wenn es mal wieder nicht klappt. Aber mit dem Vorsatz, es zukünftig besser zu machen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2018.

Petra Pinzler und Günther Wessel
Petra Pinzler ist Redakteurin im Hauptstadtbüro der ZEIT. Günther Wessel ist Journalist und Autor.
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