Sharing Heritage

Die Kultur des miteinander Teilens

Während der Eröffnung des Europäischen Kulturerbejahres 2018 in Mailand hat ein Referent aus Griechenland das bekannte griechische „Nationalgericht“ Moussaka und dessen Herkunft thematisiert. Dabei wurde zur Überraschung der Zuhörer in anschaulicher Weise das Moussaka seiner nationalen Identität beraubt. Denn es steht für Einflüsse aus der türkischen, arabischen, französischen und italienischen Küche.

 

Ein anschauliches Beispiel für kulturellen Transfer in Europa und für die Tatsache, dass alle unsere Kulturräume das Ergebnis einer Vielzahl kultureller Verflechtungen sind.

 

Unseren Kontinent durchziehen seit Jahrtausenden Austauschwege. Am häufigsten werden diese Verflechtungen durch den Handel mit Waren bedingt, die vielfältige andere Formen des Austauschs mit sich brachten.

 

Zwei Beispiele mögen das erläutern:
Flandern wurde lange Zeit als „Marktplatz aller Länder der Christenheit bezeichnet“. Genuesische, venezianische, florentinische, spanische, französische Kaufleute waren dort genauso präsent wie die Koggen der „Osterlinge“, die Engländer, Schotten, Iren, Holländer und Friesen. Ja mehr noch. Selbst Waren des Orients, der Baltischen Länder und Russlands prägten den Austausch über enorme Distanzen.

 

Mit den Waren gelangte die Malerei und die Baukunst Flanderns als Vorbild und selbst als Ware weit in den Ostseeraum. Adaption und selektive Aneignung folgten. So sind. z. B. viele Repräsentationsgebäude in der gesamten Ostseeregion von der flämischen Renaissance geprägt.
Ein anderer Fall aus dem Ostseeraum: Gotlands Taufsteine des 12. Jahrhunderts. Sie zeugen von der Blüte der Steinmetzkunst des 12. Jahrhunderts. Als solche waren sie im Ostseeraum begehrt und wurden für viele Kirchen bestellt. Sie zeugen in ihrer bildlichen und motivischen Vielfalt von kulturellen Einflüssen, die einerseits nach Westeuropa und andererseits über Russland bis nach Byzanz weisen. Fernhandelsbeziehungen der frühen Hanse bildeten die Grundlage. Deutlich wird, dass kultureller Austausch Europa prägte und prägt, es bereicherte und bis heute bereichert, eine große Vielfalt erzeugte, die den eigentlichen Reichtum Europas ausmacht.

 

Eine Zäsur im Verständnis unserer kulturellen Prägungen stellte das 19. Jahrhundert dar, in dem Nationalismen Einzug hielten und suggerierten, dass man sich von fremden Einflüssen befreien müsse.

 

Die Bildung nationaler Identitäten ging vielfach mit kultureller Abgrenzung von Nachbarn einher, die sich eigentlich kulturell stets nah waren und einander befruchteten.

 

Abgrenzung wurde häufig zur Grundlage der nationalen kulturellen und gleichsam nationalen Identitätsbildung.

 

Im 19. Jahrhundert wurde beispielsweise unter preußischer Regie flugs die Gotik zum „nationalen Stil“ erklärt. Gegenüber dem klassischen antiken Stil, der sich noch in Bauten wie dem Alten Museum Schinkels als Hymne auf die antiken Traditionslinien präsentierte, wurde die Gotik immer stärker propagiert. Das „Fertigbauen“ gotischer Dome wurde gleichsam zur nationalen Aufgabe, der Kölner Dom und das Engagement des Kaisers um den Kirchenbau legen beredtes Zeugnis davon ab. Die Fertigstellung erfolgte bis 1880, in einer Zeit nationalen Aufbruchs mit dem Ziel der Reichseinigung durch „Blut und Eisen“. Da kam zur Mobilisierung der Massen die kulturelle Abgrenzung insbesondere Frankreichs gerade recht.

 

Das ist jedoch keineswegs ein deutsches Phänomen, überall in Europa wurde dieser Weg beschritten. Pathetische Inszenierungen nationaler Identität und kultureller Größe in Gemälden, Repräsentationsbauten, Denkmälern prägen das 19. und frühe 20. Jahrhundert und damit die Identität ganzer Generationen. Die Folgen kennen wir: Nationalpathetische Emotionalisierung führte direkt zu gewaltigen Kriegen und Konflikten. Millionen Menschen verloren ihr Leben, unzählige Kulturgüter wurden zerstört. Es folgen 1918 und 1945 mühsam errungene Friedensschlüsse, Grenzveränderungen und die Bildung neuer Staaten.

 

Das heutige Europa ist als Konsequenz der verheerenden Zerstörungen zweier Weltkriege auf der Basis wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu einem Kontinent friedlicher Kooperationen gewachsen. Die Europäische Union ist zu einem in der europäischen Geschichte einzigartigen großen Friedensprojekt geworden. Das ist der großartige Gewinn unserer Zeit! 2012 erfolgte völlig zu Recht die Auszeichnung der EU mit dem Friedensnobelpreis. Das ist die entscheidende Konsequenz aus der bisherigen europäischen Geschichte, die Chance und Aufgabe für die Zukunft bedeutet.

 

In der Folge vielfältiger Grenzveränderungen in der europäischen Geschichte sind heute in den von nationalen Grenzen umschlossenen Räumen kulturelle Zeugnisse zu entdecken, die unterschiedlichster historischer sowie kulturell-ethnischer Prägung sind und die sich einseitiger nationaler Zuordnung entziehen. Die heutige kulturelle Vielfalt Europas entzieht sich zumeist Erklärmustern, die sich an nationalstaatlichen Grenzen orientieren.

 

Brennpunkte oder Schmelztiegel verschiedener kultureller Prägungen finden sich besonders markant in einigen größeren Städten. Drei beispielhaft genannte Städte mögen genügen: Lemberg/Lwow, Triest, Breslau/Wroclaw. Diese Städte sind von kulturellem Reichtum, die von verschiedenen kulturellen Berührungen und Begegnungen zeugen, weil sie über Jahrhunderte hinweg an Wegen des Austauschs und der Begegnung lagen und davon profitierten. Denkmäler, Bauten, Sammlungen, Musik, Theater und Literatur zeigen die gegenseitige Durchdringung, Beeinflussung, Stimulanz, Faszination und auch Konflikte. Auch die Bemühungen um kulturelle Heraushebung und Abgrenzung bis hin zu Gegnerschaft und Erniedrigung des Nachbarn haben dort und an anderen Orten ihre Spuren hinterlassen. Auch sie gehören dazu und sind wertvoll, um den weiten und mitunter schmerzhaften Weg zu einem friedlichen Miteinander nachvollziehbar zu machen.

Uwe Koch
Uwe Koch leitet die Geschäftsstelle des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz.
Vorheriger ArtikelKeine Ausreden mehr
Nächster ArtikelKonsum grundsätzlich umstellen