Zukunftsfragen

Wie innovationsfähig ist der Kulturbereich?

Kulturorganisationen basieren oftmals auf einer althergebrachten – sehr akademischen – Produktionslogik, sind nicht selten extrem hierarchisch-ausdifferenziert und verinnerlichen eine starke Machtzentrierung auf wenige Funktionsträger. Diese althergebrachten Strukturen der Ablauforganisation stehen aufgrund ihrer Tradition zwar für Stabilität, allerdings sorgen sie auch für Trägheit bei der Neuausrichtung. In diesem Zusammenhang wirken auch die Verflechtungen und Pfadabhängigkeiten zwischen den unterschiedlichen Träger-, Verwaltungs- und Politikebenen als Barrieren für Veränderungen. Nicht selten werden etwa Digitalisierungsvorhaben durch bürokratische Vorgaben blockiert oder verhindert. Mahnende Beispiele sind die vielen kommunalen Kultureinrichtungen, die nur aufgrund ihrer Einbindung in die hierarchische Ordnungsstruktur der Verwaltung keine eigene Webseite und auch keine Social-Media-Kanäle betreiben dürfen. Die hier gemeinten Verflechtungen und Pfadabhängigkeiten führen auch dazu, dass es im Kulturbereich an querschnitts- und damit ressortübergreifenden Prozessen mangelt, die Synergien durch vernetztes Denken und kollaboratives Arbeiten ermöglichen würden. Gerade der Aspekt der Kollaboration ist eine entscheidende Voraussetzung für mögliche Veränderungen im Kulturbereich, da in derartig organisierten Arbeitskontexten unterschiedliche Expertisen – auch außerhalb der Organisation – in den Produktionsprozess integriert werden und in der Regel auch Personen beteiligt werden, deren Ansprüche, Denkweisen oder Fähigkeiten in der Kulturarbeit noch zu wenig repräsentiert sind. Aus diesem Grund braucht es gerade heute eine starke Kulturpolitik, die neue Leitbilder, Vorgaben, Forderungen und Förderungen erarbeitet oder bereitstellt, mit denen Kulturorganisationen dazu gebracht werden können, die eigene Arbeit stärker zu überprüfen und neu auszurichten. Es bedarf veränderter Unterstützungsleistungen, wie Coachings, Beratungs- und Weiterbildungs- bzw. Kompetenzentwicklungsangebote für neues Arbeit oder Innovationen für Kulturschaffende und -institutionen. Im Kulturbereich gibt es indes – nach Abschluss der Berufsausbildung – aufgrund fehlender Budgets und Infrastrukturen kaum Möglichkeiten zur weiteren Qualifizierung für das eigene Wirkungsfeld.

 

Die Kulturpolitik versucht derzeit den Wandel im Feld der Kultur durch projektbasierte Innovations- oder Transformationsförderungen zu erreichen, die allerdings nur äußerst selten eine dauerhafte und damit nachhaltige strukturelle Anpassung des Kultursystems möglich machen – in der Regel nur dann, wenn in der Führung und bei den Beschäftigten ein Wille zur Veränderung sowie eine Akzeptanz damit verbundener Anpassungen der Strukturen vorhanden sind. Ernsthafte und langfristige Veränderungen müssen in Abstimmung zwischen den fördermittelgebenden Instanzen und den Organisationen erfolgen und auf Dauerhaftigkeit entsprechend gemeinsam entwickelter Zielstellungen ausgerichtet sein. Diese Prozesse der Abstimmung, Verhandlung und Koordination struktureller Anpassungen müssen mitsamt damit verbundener Methoden oder Strategien von den beteiligten Akteuren noch gelernt werden. Passend dazu braucht es – verstärkt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie – einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über Zukunftsfragen in Kunst und Kultur. Angesichts der Vielzahl an Verflechtungen, Pfadabhängigkeiten und Bürokratien stellt sich durchaus die Frage, wie sich der Kulturbereich dauerhaft entsprechend des gesellschaftlichen Wandels weiterentwickeln kann. Die tiefgreifende Auseinandersetzung mit dieser Herausforderung wird in den kommenden Jahren einer der zentralen Schwerpunkte der kulturpolitischen Forschungsarbeit des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, das sich auf diese Weise stärker als Think Tank für die Transformation des Kulturbereichs positionieren und eine dringend notwendige Debatte über die Zukunfts- bzw. Innovationsfähigkeit des Kulturbereichs führen möchte.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

Henning Mohr
Henning Mohr ist Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft.
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