Vergangenheit, die nicht vergeht

Islamfeindlichkeit ist nicht das Gleiche wie Antisemitismus

Ich höre gleich wieder den Einwand, dass für den Großteil der antisemitischen Taten Urdeutsche verantwortlich seien, nicht Muslime. Und dass Muslime ebenso Islamophobie und Angriffen ausgesetzt seien. Beides ist wahr, und doch lasse ich diese Relativierung nicht gelten. Kein Mensch darf wegen seiner Abstammung, seiner Herkunft, seiner Religion diskriminiert, abgewertet, gar attackiert werden – das ist die Lehre der NS-Ära. Sie währt für immer. Doch Antisemitismus und Islamgegnerschaft sind nicht zu vergleichen: Deutsche haben in einem einzigartigen Völkermord sechs Millionen Juden Europas ermordet – wegen ihres Glaubens, vor allem aber wegen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen „Rasse“. Muslime bilden keine Volksgruppe, keine „Rasse“; sie waren und sind einem solchen rassistischen Menschheitsverbrechen nicht ausgesetzt. Im Gegenteil: Muslimische Araber haben mit den Nazis kooperiert – im Hass auf die Juden vereint. Muslimische Glaubenskrieger, Islamisten genannt, töten auch heute Angehörige anderer Religionen und Ethnien als „Ungläubige“: Im Sindschar-Gebirge zwischen Irak und Syrien haben sie tausende Jesiden abgeschlachtet. In Frankreich auf bestialische Weise Holocaust-Überlebende, Kinder in einem jüdischen Kindergarten und Besucher eines koscheren Supermarkts in Paris, nach dem Überfall auf „Charlie Hebdo“. Auf Sri Lanka an Ostern hunderte Christen. Am meisten indes andere Muslime.

 

Das rechtfertigt in keiner Weise Angriffe auf Muslime, die friedlich unter uns leben. Aber es macht klar, dass sich ein plattes Nebeneinanderstellen von Antisemitismus und Gegnerschaft gegen den Islam oder Muslime verbietet. Juden waren und sind Opfer seit alters her – weil sie zum jüdischen Volk gehören, nicht weil sie an Jahwe glauben. Muslime dagegen waren und sind auch Täter, genauso wie Christen. Was das mit dem Islam und dem Koran zu tun hat, ist hier nicht Thema. Aber jeder, der in Deutschland lebt und leben möchte, muss eine Kernverpflichtung unserer Gesellschaft, unseres Staates beachten: In diesem Land und von ihm aus dürfen Juden nie wieder Opfer werden!

 

Das bedeutet auch, dass alle in Deutschland Lebenden zur Solidarität mit Israel als Heimstatt und Rettungsland der Juden verpflichtet sind. Bei aller berechtigten Kritik an der unversöhnlichen, friedensfeindlichen Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern können wir im nicht endenden Nahostkonflikt nicht neutral sein. Das Existenzrecht Israels ist unverhandelbar – ob irgendwann hoffentlich neben einem Palästinenserstaat oder in einer Ein-Staat-Lösung. „Israelkritik“ kann und darf keinen Raum haben, genauso wenig wie Aufrufe zum Boykott israelischer Waren unseligen Angedenkens. Hinter solchen radikalen Anfeindungen des Zionismus verbirgt sich in aller Regel nichts anderes als eine Spielart des Antisemitismus. Und sie ist überdies unsinnig. Denn es gibt ja z. B. auch keine »USA-Kritik«, sondern nur die legitime Ablehnung des amtierenden Präsidenten und seiner Politik. Alles andere ist Antiamerikanismus.

 

Den Islam, insbesondere seine fundamentalistische, intolerante, Frauen, Andersgläubige und die westliche Kultur verachtende mehrheitliche Auslegung und Praxis hingegen darf man kritisieren. Wie jede Religion. Wie auch extremistische, aggressive jüdische Glaubenspraxis. Dazu verpflichtet das Erbe der Aufklärung. Beim Gedenken an die Opfer der schlimmsten Epoche des Antisemitismus wie an den Harburger Hügeln jedoch hört jede Kritik auf. Da kann es nur Trauer und Scham geben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.

Ludwig Greven
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor.
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