Eine Art staatliches Hauptstadt-Mäzenatentum

Die CDU und ihre Kulturpolitik

Als Bundestagsabgeordnete hatte Erika Steinbach gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie gestimmt und bis zu den Recherchen polnischer Journalisten verheimlicht, dass ihre Familie erst mit der NS-Besatzung nach Polen gekommen war. Nicht zuletzt deshalb erregte das Projekt in Polen, Ungarn oder Tschechien den Verdacht, hier sollten deutsche Opfer aus dem Kontext des Vernichtungskriegs gelöst, die deutschen Verbrechen relativiert und womöglich Restitutionsansprüche begründet werden. Weil Steinbach klar war, dass diese Vorgeschichte es ihr unmöglich machen würde, das Projekt allein zu lancieren, holte sie den SPD-Vordenker Peter Glotz ins Boot, der selbst einer Vertriebenen-Familie entstammte.

 

All das brachte die in den eigenen Reihen umstrittene Kanzlerin Angela Merkel in eine schwierige Lage. Steinbach und die Kanzlerin waren in den ersten Jahren von Merkels Regentschaft eine für beide Seiten vorteilhafte Arbeitsbeziehung eingegangen – mit ihren Auftritten bei Jahrestagen des Vertriebenenbunds verschaffte die Kanzlerin dem Bund der Vertriebenen (BdV) Legitimität, während Steinbach die konservativen Kritiker der Kanzlerin beruhigte. Die „Entente cordiale“ endete in der Finanzkrise 2008, als Merkel den Zusammenhalt mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk nicht gefährden wollte. Steinbach zog sich freiwillig aus dem Stiftungsrat zurück und geriet innerhalb der eigenen Reihen immer mehr in die Isolation.

 

Die CDU, in der die Vertriebenen über lange Strecken der Nachkriegszeit auch mit revanchistischen Positionen laut und vernehmlich gewesen waren, hatte sich verändert. Das Bild von den Vertriebenen, das im 2021 eröffneten Zentrum präsentiert wird, ist nicht nur diverser als früher, weil nun auch die Geschichten der Boat People oder der bosnischen Muslime präsent sind. Neben Zeugnissen ihrer Trauer und ihres Verlustes erscheinen die Vertriebenen hier nicht mehr länger nur als Opfer – sondern auch als Agenten der Modernisierung der Bundesrepublik.

 

Als Monika Grütters das Amt der Kulturbeauftragten antrat, waren diese Fragen weitgehend geklärt. So öffnete sich ein neuer Raum: Kulturpolitik als eine Art staatliches Hauptstadt-Mäzenatentum. Das Geld floss in Strömen, siehe oben. Die ehemalige Studentin der Kunstgeschichte, die an der Oper Bonn, im Berliner Verkehrsmuseum, der Buchhandelsgesellschaft und als Honorarprofessorin für Kulturmanagement gewissermaßen „aus der Branche“ kam und sich zum liberalen „Merkel“-Flügel der Union zählte, bekannte sich stets sowohl zur zivilisierenden als auch zur repräsentativen Rolle der Kultur. Die Förderung von Projekten gegen Rechtsextremismus und Rassismus war der CDU-Präsidin ebenso eine Selbstverständlichkeit wie der – mit ursprünglich 130 Millionen Euro veranschlagte, inzwischen bei einer Kostenprognose von 600 Millionen – als völlig überteuert kritisierte Prunk-Neubau des Berliner Museums des 20. Jahrhunderts. Andere Großprojekte sind und bleiben umstritten: das wieder eröffnete Humboldt Forum oder die Reform der alles überwölbenden Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die im Zentrum einer neuen Kolonialismusdebatte steht und in vielen ihrer Museen viel zu niedrige Besucherzahlen vorzuweisen hat. Wozu überhaupt »Preußen« noch als Klammer der Berliner Kulturpolitik?

 

In einem Aufsatz für die „ZEIT“, den Grütters kürzlich gemeinsam mit ihrem Parteifreund, dem Musikmanager Joe Chialo, als Antwort auf einen Text des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und des SPD-Kulturpolitikers Carsten Brosda verfasste, werden ein paar Grundpfeiler der CDU-Kulturpolitik deutlich. Wo Brosda und Scholz einen „Schulterschluss zwischen Politik und Kultur, zwischen Macht und Geist“ fordern, zitieren Grütters und Chialo Friedrich Schiller: „Kunst ist eine Tochter der Freiheit“. Der Vorwurf der SPD, Kultur habe sich in der Vergangenheit zu oft „auf die reine Ästhetik reduziert“, weisen Grütters und Chialo zurück. Die Kunst sei frei, wenn sie sich – hier ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung der FDP – „weder einer reinen Marktlogik beugen, noch in den Dienst eines politischen Anliegens, einer Weltanschauung oder Ideologie stellen muss“.

 

Zu diesen erfreulich undogmatischen Gedanken gesellt sich dann zwar auch die Forderung nach einem „Gesellschaftsvertrag“, die zu der vorher proklamierten ästhetischen Unabhängigkeit der Kunst nicht so recht zu passen scheint. Grütters spricht gar von der Demokratie als einem „Fall für die Intensivstation“, der „ständiger Beatmung“ durch die Kultur bedürfe. Die CDU wird in den kommenden Jahren als vermutliche Oppositionspartei reichlich Gelegenheit haben, einmal tief Luft zu holen und diese Ideen in Ruhe Revue passieren zu lassen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Mariam Lau
Mariam Lau ist Politische Korrespondentin im Politikressort der ZEIT.
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