Last Exit Zukunft

Neue Ordnung im Riesenpuzzle Kultur- und Kreativwirtschaft

 

Schon die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat 2007 unter Bezugnahme auf die sehr erfolgreiche Etablierung der Creative Industries im Großbritannien darauf verwiesen, dass es einer passgenauen, spezifischen Förderung bedarf, um die Potenziale zu heben – und unterstützende Rahmenbedingungen! Die auch aus diesem Grund etablierte Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft mit dem Kompetenzzentrum war sicher damals ein guter erster Schritt, reicht aber heute bei Weitem nicht aus.

 

Die Coronakrise hat auch hier bestehende Fehlstrukturen gnadenlos aufgedeckt. Dabei hat verschärfend die historisch wohlbegründete Zuständigkeit der Länder für Kultur in den letzten Monaten absurde Züge angenommen. Einige wenige Meter Unterschied zwischen Hamburg und Niedersachsen waren und sind entscheidend dafür, ob Soloselbständige der Kultur- und Kreativwirtschaft Unternehmerlohn bekommen. Es ist dringend an der Zeit für eine Neuorientierung im Umgang mit der Kultur- und Kreativwirtschaft – nachstehend finden sich ein paar erste Vorschläge, Anregungen und Ideen, die an den verschiedensten Stellen der „Nicht-Branche“ gerade diskutiert werden.

 

Wie wäre es, wenn …
• es eine Koordinationsstelle der Länder für Kultur- und Kreativwirtschaft gäbe, die mit eigenen finanziellen Mitteln ausgestattet ist, um ähnlich der Kulturstiftung der Länder ein Pendant zu den Aktivitäten des Bundes zu bilden sowie für die dringend notwendigen Abstimmungen im Krisenfall zu sorgen …
• das Kompetenzzentrum der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht als Dienstleister BKM und BMWi zuarbeitet, sondern in Verbindung mit zivilgesellschaftlichen Strukturen sowohl inhaltliche Entwicklungsarbeit wie auch systematische
Außendarstellung – Kampagnen! – mit relevantem Etat übernehmen könnte …
• landesweit Transferzentren zwischen Wissenschaft, Kunst/Kultur/Medien sowie Industrie geschaffen würden, die systematisch die kreativ-innovativen Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft erforschen und in Umsetzung bringen …
• die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ systematisch überprüft und um neue Erkenntnisse erweitert würden – um so sicherzustellen, dass der Politik aktuelle Handlungsempfehlungen vorliegen …
• es ähnlich dem Digitalgipfel einen Kreativgipfel gäbe, bei dem neben BMWi und BKM weitere Ministerien, wie Forschung, Bildung, Arbeit- und Soziales, Auswärtiges Amt und Justiz, einbezogen wären …
• in der nächsten Legislaturperiode ein Bundeskulturministerium geschaffen würde, mit dem – ähnlich einem Bundesdigitalministerium – Querschnittsaufgaben in neuer Form institutionell in der Bundesregierung verankert würden.

 

Derzeit gibt es in der Kultur- und Kreativwirtschaft verschiedenste Initiativen, die Interessen zu bündeln und nach außen sichtbarer zu machen. Dazu gehört auch das vom Deutschen Kulturrat etablierte Forum „Dialog Kultur- und Kreativwirtschaft“, mit dem sich solche und viele weitere Gedanken vertiefen und erweitern lassen. Ich plädiere sehr dafür, dieser Initiative eine Chance zu geben und die erfolgreiche Interessenvertretung des Deutschen Kulturrates – wie im Fall des Infrastrukturprogramms NEUSTART KULTUR – fortzusetzen. Vielleicht gelingt es uns so, dieses 150 Milliarden starke Riesenpuzzle Kultur- und Kreativwirtschaft neu und besser zusammenzusetzen und in seiner Gesamtheit – mit all seinen schönen Einzelteilen – nach innen und außen verständlicher und kommunizierbarer zu machen.

 

Und getreu dem Subsidiaritätsprinzip zivilgesellschaftliche Strukturen unter dem Motto „Kreativität“ zu stärken. Monika Grütters hat sich in ihrem schon erwähnten Vortrag 2015 auf Künstler – und Kreative bezogen, denn sie „haben einen geradezu ›avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen‹ – diese griffige Formulierung stammt von Jürgen Habermas. Diesen Spürsinn brauchen wir umso mehr angesichts des digitalen Wandels, der unsere Gesellschaft in noch nie dagewesenem Tempo verändert. Die Künstlerinnen, Künstler und Kreativen, die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bereiten hier nicht nur den Boden für Innovationen, sondern helfen uns mit ihrem Mut zum Experimentieren auch dabei herauszufinden, wie wir in Zukunft leben wollen.“

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

Boris Kochan
Boris Kochan ist Präsident des Deutschen Designtages und Vizepräsident des Deutschen Kulturrates.
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