Der Konflikt geht in Namibia weiter

Der andauernde Streit zwischen der Regierung und den Ovaherero und Nama

Doch damit sind keineswegs rein interne Angelegenheiten benannt, in die man sich aus der Ferne nicht einmischen dürfte. Im Gegenteil, Shigwedha sieht in Deutschland weiterhin einen zentralen und problematischen Akteur. Die Entscheidung, über die Rückgabe der menschlichen Gebeine nicht mit den Herkunftsgemeinschaften, sondern allein mit der Regierung zu sprechen, hat nach seiner Einschätzung für den weiteren Prozess fatale Konsequenzen. Das bei Ovaherero und Nama verbreitete Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, wird dadurch massiv verstärkt. Nach dem Slogan „Alles, was ohne uns getan wird, wird gegen uns getan“ wird das Gespräch von Regierung zu Regierung von nicht wenigen Ovaherero und Nama als Angriff erlebt. Mehr noch, Shigwedha hat den Eindruck, dass auch taktische Absichten hinter dem gewählten Verfahrensweg stehen, nämlich der Versuch der deutschen Regierung, Reparationsforderungen gar nicht erst zu einem Verhandlungsthema werden zu lassen. Als deutscher Leser kann man dies schwer einschätzen, aber man fragt sich, wie die deutsche Regierung auch bei bestem Willen anders hätte agieren sollen: Gegen den Willen der Zentralregierung, die völkerrechtlich ihr erster Ansprechpartner sein muss, kann sie doch nicht direkt mit einzelnen Bevölkerungsgruppen über eine so wichtige Frage verhandeln. Oder hätte sie nicht doch stärker darauf hinarbeiten müssen, einen direkten Zugang zu den betroffenen Volksgruppen zu finden?

 

Überhaupt scheint der Konnex von Restitution und Reparation eine Lösung erheblich zu erschweren. Das zeigt sich an einem überraschenden Detail: Inzwischen wurden auch im American Museum of Natural History in New York menschliche Gebeine aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika gefunden. Es sind acht Schädel, zwei davon konnten als Ovaherero identifiziert werden, zwei als San, einer als Nama, ein anderer als Damara, zwei ließen sich nicht zuordnen. In diesem Fall jedoch wurde von den Herkunftsgemeinschaften keine Restitutionsforderung erhoben. Anscheinend wollen sie abwarten, wie es mit den schon restituierten Gebeinen in Namibia weitergeht. Vielleicht erhoffen sie sich zudem einen Vorteil für den Prozess, den sie in den USA gegen Deutschland angestrengt haben: Es könnte die Jury beeindrucken, wenn sich solch krasse Zeugnisse kolonialen Unrechts in unmittelbarer Nähe befinden.

 

Das Ziel von Restitutionen wird im Englischen häufig mit dem Wort „closure“ bezeichnet. Dies bezeichnet den Abschluss einer seelischen Heilung, das Sich-Schließen einer historischen Wunde. Doch wie soll hier etwas geschlossen werden, solange nicht alle menschlichen Gebeine zurückgegeben sind, eine offizielle Entschuldigung aussteht, über Entschädigungsforderungen nicht gesprochen wird? Shigwedha bleibt deshalb skeptisch, was den sozialtherapeutischen Nutzen der Rückgabe angeht. Als deutscher Leser hat man fast den Eindruck, dass dadurch das Offen-Bleiben der Wunde nur stärker ins Bewusstsein gerückt ist. Zugleich fragt man sich, ob eine eventuelle Reparation tatsächlich die Probleme lösen würde, die sich an der Restitution zeigen. Denn auch in diesem Fall müsste geklärt werden, wer mit wem redet und wer wem etwas gibt – und wer darüber entscheidet. Ist da die Zentralregierung die richtige Ansprechinstanz oder sind hierzu die traditionellen Anführer ausreichend mandatiert – und wenn nicht, wer dann?

 

Shigwedha hat dies in einem Aufsatz vor zwei Jahren und in einer Vorstudie vor vier Jahren analysiert. Auf Rückfrage berichtet er per E-Mail, dass sich an der Problemlage seither nichts geändert hat. Seine Analyse ist also immer noch gültig.

 

Die Restitution menschlicher Gebeine nach Namibia war eine selbstverständliche Pflicht, aber sie zeitigte unbeabsichtigte Nebenwirkungen, für die es noch keine Lösung oder Linderung gibt. Damit ist die Übergabe aber keineswegs als ein Fehler erwiesen. Im Gegenteil, es ist nur so, dass man mit der Rückgabe einen wichtigen Schritt in einem komplexen Prozess getan hat, dessen weiteren Verlauf man weder zu beurteilen hat – denn das steht Deutschland nicht zu – noch beeinflussen oder gar steuern kann. Man muss mit einem Kontrollverlust zurechtkommen und zugleich in der Beziehung mit den Partnern in Namibia bleiben. Das ist gewiss keine einfache Aufgabe. Deshalb wäre es so wichtig, wenn man zumindest darüber sprechen könnte. Das aber wäre schon kirchlich nicht einfach – diese besondere Rückgabe geht auch die evangelischen Kirchen in Deutschland und Namibia direkt etwas an. Wie sollte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die namibischen Partnerkirchen darauf ansprechen? Es gibt dort drei lutherische Kirchen: jeweils eine der Ovambo, der Deutschstämmigen sowie der Ovaherero, Nama und anderer kleiner Bevölkerungsgruppen, die zudem auch unterschiedliche Missionsgeschichten und Frömmigkeitsstile repräsentieren. Wie sollte man von ihnen erwarten, dass sie sich hierüber verständigen, gar eine gemeinsame Linie finden und sie gegenüber der Regierung vertreten? Und wenn es schon kirchlich schwierig ist, wie soll es dann erst politisch gelingen? Das sind schwer zu beantwortende Fragen, die aber nicht gegen die Aufgabe sprechen, wohl aber ihre Größe und Komplexität bewusst machen.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

 

Mehr dazu:

Den Aufsatz „The homecoming of Ovaherero and Nama skulls: overriding politics and injustices“ von Vilho Amukwaya Shigwedha finden Sie in: Human Remains and Violence 4/2 (2018), 67-89 und hier

 

Johann Hinrich Claussen
Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.
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