Kampf um Kultursubventionen

Ein Blick auf die Kulturpolitik der Niederlande

„Die Politik hat kein Urteil über Kunst und Kultur zu fällen“ – diese Aussage des Staatsphilosophen Johan Rudolf Thorbecke von 1862 prägte die niederländische Beziehung von Kultur und Politik. Traditionell basiert die hiesige Kulturpolitik darauf, Werturteile über Kunst anderen als Politikern zu überlassen. Trotzdem wurde 1918 das Regierungsportfolio um Kunst und Kultur erweitert. Seitdem gibt es hierfür eine Abteilung unter einer verantwortlichen Ministerin oder mindestens eines Staatssekretärs, der gemäß der Thorbeck’schen Devise von einem einflussreichen zivilen Gremium, dem „Raad voor Cultuur“ beraten wird.

 

Bis in die 1970er Jahre war die niederländische Gesellschaft stark geprägt durch die sogenannte „Versäulung“, einem konfessionell geprägten Partikularismus. Verschiedene Gruppen wie Liberale, Sozialisten, Katholiken und Protestanten bildeten dabei die nebeneinander existierenden sozialen und religiösen „Säulen“ der Gesellschaft. Diese drückten ihre Kultur, Ideologie und Werte über von ihnen selbst gewählte und betriebene Kanäle und Organisationen aus – darunter z. B. Zeitungen, Schulen, Fernsehsender, Museen und Kunstinstitutionen.

 

Nach 1970 änderte sich das System: Kunst und Kultur sowie deren sozial verbindendes Potenzial wurden zu einem wichtigen Bestandteil der Regierungspolitik. Die Budgets wuchsen schnell um bedeutende Beträge an. Der Zeitraum zwischen 1980 und 2010 wird deshalb oft auch als das zweite Goldene Zeitalter der niederländischen Kunstwelt angesehen, da die Sichtbarkeit hiesiger Künstler, Orchester, Theater und Designer im Ausland explosionsartig anstieg. Das kleine Land machte kulturell international Furore. Neben hohen Exportsubventionen konnte man als junger Künstler oder junges Kollektiv mühelos Unterstützung bekommen, um sich und seine Arbeit weiterentwickeln zu können. Marina Abramović, Marlene Dumas, Rineke Dijkstra, Joep van Lieshout sowie Introdans, das Nederlands Danstheater, die Toneelgroep Amsterdam und viele andere konnten in dieser Zeit in der nationalen und internationalen Kunstwelt Fuß fassen.

 

Kulturpolitik in der Finanzkrise

 

Dieser Ton in der niederländischen Kulturförderung wandelte sich aber ab dem Ende der 1990er Jahre und man begann, Künstler und Institutionen dazu anzuhalten, sich von Subventionen unabhängiger zu machen und sich mehr am Markt und dem Publikum zu orientieren. Doch die niederländische Kulturpolitik blieb großzügig – bis zum Jahre 2008. Die damalige Finanzkrise traf die Niederlande außerordentlich hart und die Regierung um den wirtschaftsliberalen Premierminister Mark Rutte brachte Sparprogramme in vielen gesellschaftlichen Bereichen auf den Weg. Die Minderheitsregierung des Kabinetts Rutte wurde von wirtschaftsliberalen Politikern der Partei VVD und von Geert Wilders und seiner rechtspopulistischen Partei für die Freiheit PVV toleriert. Gleichzeitig stellte der damalige sozialdemokratische Kulturminister von der Partei der Arbeit, Ronald Plasterk, vorerst den Schwerpunkt der Kulturpolitik vom „sozialen“ Wert von Kunst und Kultur auf ihren »inneren« Wert um. Die Teilnahme an Kultur und bessere Einrichtungen zur Begleitung und Förderung herausragender Talente waren die Hauptziele dieser Politik. Der durch die Wirtschaftskrise stagnierende Staatshaushalt für Kultur und Medien erhielt 2011 unter dem wirtschaftsliberalen Kulturstaatsekretär Halbe Zijlstra noch eine weitere Rezession, als auf einen Schlag 20 Prozent der 900 Millionen Euro Kultursubventionen gestrichen und weitere Kürzungen angekündigt wurden.

 

Zijlstra veröffentlichte ein politisches Memorandum für den Zeitraum 2013 bis 2016, in dem die Kürzungen in der Kulturförderung beschrieben wurden. Darin wurde erklärt, dass die Abhängigkeit der Kulturinstitute von der staatlichen Finanzierung reduziert werden sollte. Diese Einschnitte waren von historischer Tragweite und beendeten eine niederländische Kulturpolitik, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Staat als Förderer von Kultur sah. Eine Kulturpolitik, die kein Massenpublikum erwarten konnte, die aber zur kulturellen Vielfalt beitrug und diese auch zum Selbstbild des Landes erklärte. Nun sollten Künstlerinnen und Künstler finanzielle Eigenverantwortung übernehmen, staatliche Förderungen sollten hauptsächlich Einrichtungen mit internationaler Strahlkraft zugute kommen. Die Kürzungen führten dazu, dass Dutzende von Kultureinrichtungen vor allem außerhalb der Ballungsräume schließen mussten. Die gemeinsamen Kulturausgaben des Staates und der Provinzen verringerten sich um mehr als ein Viertel. Es gingen 20.000 Arbeitsplätze verloren und die Einkommen vieler Künstlerinnen und Künstler sanken plötzlich unter die Armutsgrenze. Die Empörung und das Unverständnis waren groß. Bereits im November 2010 gingen über 100.000 Menschen gegen diese Politik auf die Straße.

Mikko Fritze und Mirthe Berentsen
Mikko Fritze leitet das Goethe-Institut Niederlande. Mirthe Berentsen ist Autorin, Journalistin und kulturpolitische Beraterin.
Vorheriger ArtikelVereint in ihren eigenen Liedern
Nächster ArtikelDas Land, wo die Zitronen blühn