Das Land, wo die Zitronen blühn

Kulturpolitik in Italien

Italien ist ein durch seine Geschichte, Kultur, Natur und Lage am Mittelmeer gesegnetes Land – aber es könnte von Nord nach Süd nicht unterschiedlicher sein. Der moderne und prosperierende Norden Italiens blickt allzu oft voller Ironie auf den in seinen Augen chaotischen, schmarotzenden Süden. Und der Süden beginnt hier bereits ab Rom.

 

Ebenso wie zwischen den Regionen herrscht auch in der italienischen Politik aktuell Uneinigkeit. Die bis Anfang 2018 regierende Demokratische Partei (PD) verlor ihre Mehrheit an die Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) und die rechtspopulistische Lega, vormals Lega Nord. Diese bilden seit Juni 2018 unter Premierminister Giuseppe Conte eine überraschend stabile Regierung. Politische Führer und Vize-Ministerpräsidenten sind Luigi Di Maio (M5S) und Innenminister Matteo Salvini (Lega). Seit dem Wahlsieg und der Koalitionsbildung rücken Regierung und, wie Meinungsumfragen zeigen, immer breitere Teile der Gesellschaft zunehmend nach rechts. Die Lega gewinnt durch Sprüche wie „Italien zuerst!“ oder „Nicht acht und nicht achtzig, ich lasse keinen einzigen Flüchtling ins Land!“ immer mehr Anhänger. Aber ein kohärentes Regierungsprogramm konnte die neue Koalition bislang noch nicht vorlegen.

 

Kulturpolitik vor dem Rechtspopulismus

 

Auch in der italienischen Kulturpolitik ist der Dissens zu spüren. Das war nicht immer so. Unter der demokratischen Regierung von Matteo Renzi (PD) gelang es dem damaligen Minister für Kulturgüter und kulturelle Aktivitäten (MIBAC), Dario Franceschini, in einigen Bereichen wichtige Veränderungen herbeizuführen, die Künstlerinnen und Kulturschaffenden neue Zugänge zu etablierten Institutionen schaffen sollten. Dazu gehört der sogenannte „Art Bonus“ und das Programm „Italian Council“. Durch den „Art Bonus“ erhalten Privatleute und Firmen in Italien die Möglichkeit, Spenden und mäzenatische Unterstützung in Höhe von 65 Prozent der Zuwendungen von der Steuer abzusetzen. Insbesondere marode und baufällige Kulturgüter wie das Kolosseum konnten dadurch restauriert und instand gesetzt werden. Mit dem Programm »Italian Council« hingegen sollte die Produktion von Kunstwerken und Residenzen junger Künstler und Künstlerinnen in Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Partnern gefördert werden. Zu diesen Partnern gehören private oder öffentliche Museen, Stiftungen, Kunstvereine oder Hochschulen – im In- wie im Ausland. Dadurch sollten insbesondere die internationalen Beziehungen italienischer Künstlerinnen und Künstler intensiviert werden.

 

In Bezug auf die Internationalisierung im Kulturbetrieb hat eine Reform von Franceschini besonders viel Aufsehen, aber vor allem Kritik erregt. 2015 berief er 20 Direktorinnen und Direktoren für Museen und archäologische Stätten von „nationalem Interesse“, wobei insbesondere professionelle Qualifikationen und internationale Erfahrung gefragt waren. Sieben der 20 Auserwählten wurden jenseits der italienischen Landesgrenzen rekrutiert, was zu feindseliger Polemik, Widerstand im Ministerium und Rechtsstreitigkeiten führte, die noch bis heute andauern. Anfang des Jahres verkündete der Kulturminister der populistischen Regierung Bonisoli in der britischen Zeitung „The Times“, dass auch in der musealen Personalpolitik von nun an „Italiener zuerst“ gelte: Es gäbe ausreichend Italiener, die die Jobs gut machen würden. Diese Aussage wurde auf Nachfragen von „Artnews“ zwar von Mitarbeitern des Ministeriums wieder eingeschränkt, aber die Museumsreform von 2015 wird nun trotzdem auf den Prüfstand gestellt.

 

Schutz der Kulturgüter vs. Kulturaktivitäten

 

Unter der jetzigen rechtsgerichteten Regierung scheint Kultur keine Herzensangelegenheit zu sein. Sie kümmert sich vor allem um Themen wie Steuersenkungen, Grundeinkommen, aber auch mögliche Massenabschiebungen ungeliebter Zuwanderer. Im Koalitionsvertrag zwischen M5S und Lega bleibt der Passus zur Kulturpolitik mehr als vage. Sie sei „Wachstumsmotor von unschätzbarem Wert und keine unnütze Ausgabe“. Museen und archäologische Einrichtungen müssten „wieder Anziehungspunkt des internationalen Interesses“ werden. Das System der öffentlichen Subventionen für Oper, Theater und Museen sei undurchsichtig und „reformbedürftig“ und müsse sich vermehrt nach der „Qualität der künstlerischen Projekte“ ausrichten.

 

Seit Juni 2018 ist Alberto Bonisoli Kulturminister. Bonisoli war die letzten sechs Jahre Direktor der Nuova Accademia di Belli Arti (NaBa) in Mailand, die größte staatlich anerkannte private Akademie für Kunst, Mode und Design in Italien. In ersten Verlautbarungen hat Bonisoli angekündigt, die staatlichen Investitionen im Bereich Kulturgüter zu steigern und die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen zu verbessern. Insbesondere die Digitalisierung von Kulturschätzen über beispielsweise 3D-Projektionen soll vorangetrieben werden, um so die landesweite Verbreitung der Kultur, auch in der Peripherie, zu gewährleisten.

 

Das MIBAC ist vornehmlich für die besonders zahlreichen Kulturgüter des Landes zuständig – 54 Weltkulturstätten der UNESCO liegen in Italien. Für den zweiten Aufgabenbereich des Ministeriums, die kulturellen Aktivitäten, bleibt allerdings wenig Zeit und noch weniger Geld. Die jetzige Regierung hat den Kulturetat gekürzt. Dies wirkt sich vor allem bei den staatlichen Kultureinrichtungen gravierend aus, und setzt somit einen Schwerpunkt auf die Sicherheit und Sicherung der Kulturgüter. Im Hinblick auf kulturelle Aktivitäten scheint Italien eher föderal und kommunal aufgestellt. Kulturarbeit ist abhängig vom jeweiligen Bürgermeister, vom Kulturdezernenten der einzelnen Städte und Gemeinden und lebt nicht zuletzt vom in Italien gut funktionierenden Mäzenatentum. „Was wäre passiert, hätten Cosimo und Lorenzo di Medici nicht in Kunst und Kultur ›investiert‹?“, fragen Franco Boccardi und Irene Sanesi, Mitglieder eines Arbeitsstabs „Ökonomie und Kultur“ im Artikel „Il pubblico ha sempre ragione?“, a cura di Filippo Cavazzoni“ zum Fundraising.

 

In ganz Italien werden Museen und Kulturevents von Privaten und Unternehmen finanziert, oft mithilfe eines Vereins unter dem Titel „Associazione Amici di…“, der durch Mitgliedsbeiträge und Spenden bestimmte Kulturstätten unterstützt und fördert. Das italienische Modeunternehmen Fendi hat beispielsweise 2,5 Millionen Euro in die Renovierung des Trevi-Brunnens investiert, Bulgari reparierte die Spanische Treppe, Tod’s bewahrte mit einer 25 Millionen Euro teuren Restaurierung das Colosseum vor dem Einsturz – freilich begleitet von bissigen Kommentaren und Angriffen seitens der italienischen Presse. Die Fondazione Prada hat Mailand ein Museum für zeitgenössische Kunst „geschenkt“, das seinesgleichen sucht. Ermöglicht bzw. gefördert wurden diese großzügigen Investitionen nicht zuletzt durch den bereits erwähnten von Franceschini geschaffenen „Art Bonus“, der insbesondere die Kulturdenkmäler Italiens schützt und bewahrt.

 

Starke kulturelle Kooperation trotz Beziehungskrisen

 

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien ist im Kulturbereich eng und vertrauensvoll – ganz im Gegensatz zu der teils negativen Stimmung in den Medien beider Länder. In keinem anderen Land unterhält Deutschland so viele kulturelle Institutionen wie hier, unter ihnen so renommierte Einrichtungen wie das Deutsche Archäologische Institut seit 1829, das Deutsche Historische Institut seit 1888 oder die Villa Massimo seit 1913. Das Goethe-Institut ist mit sieben Instituten in Palermo, Neapel, Mailand, Genua, Turin, Triest und Rom prominent vertreten. Fast ebenso viele Kulturinstitute unterhält das italienische Außenministerium in Deutschland mit fünf Einrichtungen. Eine durch die Friedrich-Ebert-Stiftung 2016 in Auftrag gegebene Studie zum deutsch-italienischen Verhältnis, die 2017 in den Goethe-Instituten in Italien vorgestellt und diskutiert wurde, zeigt allerdings eine pessimistischere Einschätzung der Italiener im Vergleich zu den Deutschen in Bezug auf die allgemeine Situation im Land und deren Wirtschaft. Im Unterschied zu den Deutschen herrscht unter den Italienern auch weniger Vertrauen in die eigenen Mittel und die eigenen Institutionen. Ein weiterer Schwachpunkt der Beziehung zwischen Italien und Deutschland besteht in der geringen gegenseitigen Kenntnis der derzeitigen kulturellen Entwicklungen.

 

Um dies zu ändern, arbeitet das Goethe-Institut Italien eng und vertrauensvoll mit den lokalen Akteuren in allen Arbeitsbereichen wie Sprache, Kultur- und Informationsarbeit zusammen. So unterstützt es kleinere Festivals im Land, wie etwa das „ArteScienza“, und organisiert gemeinsam mit örtlichen Kulturzentren – wie zuletzt in Onna – Ausstellungen und Konzerte. Darüber hinaus hat das Goethe-Institut mit dem Format „KunstRaum Goethe“ die Zusammenarbeit vor allem mit jungen Künstlern in Italien verbessert. Mit der Reihe „Sul Divano verde“ thematisiert das Goethe-Institut europäische, aktuelle Diskussionen und Reflexionen zwischen Deutschland und Italien. Die Politik kann sich zwar ändern, aber noch überwiegt das Interesse an deutscher Kulturarbeit, eine Neugier mit sinnvoller Distanz zu den jeweiligen Regierungen. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“, so beginnt eines der bekanntesten Gedichte Johann Wolfgang von Goethes. Zitronen sind wunderbare Früchte, aber eben auch sauer. Und so ist auch das Leben und Arbeiten im Kulturbereich in Italien nicht immer nur „süß“.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019

Gabriele Kreuter-Lenz
Gabriele Kreuter-Lenz ist Länderleiterin des Goethe-Instituts Italien und Institutsleiterin des Goethe-Instituts in Rom.
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