Fossilien und Recht

Warum unser paläontologisches Naturerbe bedroht ist und wie wir es retten können

Fossilien sind Zeugnisse der Erdgeschichte. Sie verraten uns viel darüber, wie sich die Evolution auf unserem Planeten vollzogen hat. Als stille Dokumente geologischer sowie klimatischer Veränderungen im Verlauf der Erdgeschichte und zu Stein gewordene Zeugen dramatischer Massensterbeereignisse werden sie von Forschern zum Sprechen gebracht. Im Hinblick auf aktuelle Themen wie Klimawandel und Biodiversitätsforschung sind Fossilien relevanter denn je – und damit auch die Wissenschaft, die sich mit ihnen beschäftigt: die Paläontologie.

 

Wer nicht gerade selbst zu den kaum mehr als 500 Berufspaläontologen und den wenigen 1.000 Amateurpaläontologen in Deutschland zählt, dem begegnen Fossilien im Alltag nicht allzu oft. Nur für regelmäßige Besucher von Naturkundemuseen oder Liebhaber der hierzulande traditionsreichen Mineralien- und Fossilienbörsen stellt sich dies etwas anders dar. Lediglich herausragende neue Funde, z. B. von Dinosauriern, haben eine weit über den Fachbereich hinausreichende Strahlkraft und finden oft ein solch beachtliches Medienecho, dass weite Teile der Bevölkerung davon erreicht werden.

 

Haben Sie sich selbst einmal auf die Suche nach Fossilien gemacht und ein Fossil gefunden? Nein? Schade, denn sonst wären Sie vielleicht auch Paläontologe geworden. Die meisten Paläontologen kamen in ihrer Kindheit oder Jugend durch Zufallsfunde in Steinbrüchen, Tongruben, auf Baustellen oder in Naturaufschlüssen mit Fossilien in Berührung und konnten sich der Faszination fortan nicht mehr entziehen. Es ist ein Schlüsselerlebnis, einmal ein viele Millionen Jahre altes versteinertes Tier oder eine Pflanze als erster Mensch überhaupt zu entdecken. Durch aktives Erleben wird das Interesse an Geowissenschaften geweckt und aufrechterhalten.

 

Das unvergessliche Erlebnis, selbst ein Fossil zu finden, ist heutzutage immer weniger Menschen vergönnt. Dort wo keine Fossilien gesammelt werden dürfen, werden sie z. B. in Bergbaubetrieben mit ihrem Muttergestein zu Zement oder Ziegeln verarbeitet. Andernorts zerfallen sie durch Verwitterung an der Oberfläche, etwa in unter strikten Denkmalschutz gestellten alten Steinbrüchen. Nicht geborgene Fossilien sind für immer für die Wissenschaft und die Nachwelt verloren. Rhetorische Frage: Wird hierdurch der Schutzzweck der Denkmalschutzgesetze erreicht?

 

Doch warum dürfen Fossilien unter solchen Umständen vielerorts nicht mehr gesammelt werden?

 

Schuld daran ist unter anderem eine empfindliche gesetzliche Überregulierung, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahrt und dadurch ihre hehren Ziele verfehlt. Dieses hat – nicht absichtsvoll, wohl aber faktisch – das sozialethisch wünschenswerte Bergen, Sammeln und Erforschen von Fossilien nach und nach in eine rechtliche Grauzone gerückt.

 

Ein großes Problem unserer Zeit ist, dass viele Industriebetriebe an betriebsfremde Personen keine Betretungsgenehmigungen mehr erteilen, da sie – trotz Bereitschaft zur Unterzeichnung von Haftungsausschlusserklärungen – fürchten, bei etwaigen Unfällen zu haften. Wird keine Genehmigung erteilt, ist für Geowissenschaftler kein legaler Zugang zur Ressource, dem geologischen Aufschluss, möglich. Hier müsste dringend Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen werden, denn Paläontologen benötigen flächendeckend Zugang zu den geologischen Aufschlüssen des Landes: nach Voranmeldung, in Eigenverantwortung und selbstverständlich nicht zulasten der Bergbaubetriebe, sondern in gutem Einvernehmen mit den Betrieben und ohne deren Arbeiten zu stören.

 

Vor rund vier Jahrzehnten führten nahezu alle Bundesländer Denkmalschutzgesetze ein, die das gezielte Suchen nach Fossilien verbieten bzw. unter einen an enge Voraussetzungen geknüpften Genehmigungsvorbehalt stellen. Der Gesetzgeber arbeitete die Paläontologie als vermeintliche Schwesterdisziplin der Archäologie in die Gesetze ein und stülpte ihr die für diese erarbeiteten Regeln über. Paläontologische Expertise beim Erarbeiten dieser Gesetze – Fehlanzeige. Die traurige Folge: Die Gesetze schufen Konflikte zwischen Denkmalpflegern, Wissenschaftlern und Sammlern, in deren Folge in einigen Bundesländern bis heute Fossilien, die eigentlich geborgen werden könnten und sollten, verloren gehen.

 

Im Jahr 2016 trat noch das bundesweit unter unterschiedlichen Aspekten heiß diskutierte Kulturgutschutzgesetz hinzu. Fossilien werden hierin erstmals zu den Kulturgütern gerechnet und ihr grenzüberschreitender Transfer sowie der Handel somit denselben Regeln unterworfen, wie jener mit klassischen Kulturgütern. Da viele Staaten pauschale Ausfuhrverbote für Kulturgut unter Einschluss von Fossilien haben und keine Mühe investieren, z. B. massenhaft auftretende Fossilien davon auszunehmen, sind Paläontologen und Sammler beim Importieren in den letzten Jahren sehr zurückhaltend geworden. Was in den allermeisten Herkunftsstaaten bei der Ausfuhr niemanden interessiert, könnte einem heute bei der Einfuhr in Deutschland „auf die Füße fallen“.

 

Sönke Simonsen
Sönke Simonsen ist Herausgeber der Fossilien-Zeitschrift „Der Steinkern“ und Betreiber der Steinkern.de-Fossilien-Community.
Vorheriger ArtikelUmgangsformen
Nächster ArtikelDigitalpakt 2.0