Extrawurst für die Kultur?

Corona- und Energiekrise überfordern den Kulturbereich

„Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksformen, Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen. Wir sind überzeugt: Kulturelle und künstlerische Impulse können den Aufbruch unserer Gesellschaft befördern, sie inspirieren und schaffen öffentliche Debattenräume.“ So lautet der erste Absatz im Kulturkapitel des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die laufende 20. Wahlperiode. Was zunächst für Schmunzeln und so manche hämische Bemerkung sorgte, insbesondere die eher platte Alliteration von Plattdeutsch bis Plattenladen, muss jetzt der Maßstab sein, an dem sich Regierung und Regierungsfraktionen messen lassen müssen.

 

Der gesamte Kulturbereich, öffentliche und private Kultureinrichtungen, Künstlerinnen und Künstler, Kulturvereine, Kulturunternehmen, befindet sich in einer Ausnahmesituation. Zweieinhalb Jahre Coronapandemie haben – trotz vieler, sehr positiver Unterstützungsprogramme – verheerende Spuren hinterlassen. Die Pandemie ist nicht vorbei. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres engagieren sich viele aus der Kulturszene, trotz eigener Schwierigkeiten, für Kulturinstitutionen und -vorhaben in der Ukraine oder helfen nach Deutschland geflohenen Künstlerinnen und Künstlern. Hinzu kommt die Energiekrise, die sich bereits seit diesem Frühjahr ankündigt und nun konkret wird.

 

Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima eingesetzte „ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme“ hat am 10. Oktober dieses Jahres ihren Zwischenbericht vorgelegt. Wer noch geträumt hat, dass sich in absehbarer Zeit die Energiepreise wieder auf dem Niveau vor dem 24. Februar dieses Jahres einpendeln, wurde eines Besseren belehrt. Unmissverständlich machte die Kommission klar, dass zumindest die Gaspreise auf einem sehr hohen Niveau bleiben werden. Dieses hohe Niveau ist auch Grundlage für die Gaspreisbremse, die ab Anfang März 2023 bis Ende April 2024, so der Vorschlag der Kommission, gelten soll. Mittlerweile wird diskutiert, die Gaspreisbremse bereits ab Januar 2023 einzuführen.

 

Was dies konkret für den Kulturbereich heißt, hat der Deutsche Kulturrat in einer Blitzumfrage bei den 264  Bundeskulturverbänden und -organisationen, die in den acht Sektionen des Deutschen Kulturrates organisiert sind, erfragt. Wir wollten wissen, welchen Anteil die Energiekosten an den Gesamtausgaben haben, um welchen Anteil die Kosten im Vergleich zum Jahr 2019 bereits gestiegen sind oder voraussichtlich steigen werden, ob die gestiegenen Energiekosten weitergegeben werden können, ob Energieeinsparungen – wie von der Politik verlangt von 20 Prozent – erbracht werden können, inwiefern ein Investitionsbedarf besteht, um Energieeinsparungen realisieren zu können, welche Erwartungen an einen Sonderfonds Energie gerichtet werden und wie die Zukunft eingeschätzt wird.

 

Geantwortet haben Verbände und Organisationen aller künstlerischen Sparten und aller Sektoren des kulturellen Lebens, also öffentliche und private Kultureinrichtungen, Kulturvereine, Künstlerinnen und Künstler sowie Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft.

 

Düstere Aussichten

 

Bei den Antworten zu den Zukunftsaussichten herrschten die düsteren Aussichten vor. Zusammenfassend ist die Situation durch Folgendes gekennzeichnet:

 

  • die Pandemie hat zu massiven wirtschaftlichen Einbrüchen geführt, sodass keine wirtschaftliche Substanz vorhanden ist, um Kostensteigerungen aufzufangen,
  • das Publikum ist noch nicht in dem Maße zurückgekehrt, wie es vor der Pandemie Kulturorte besucht hat,
  • die Etats der öffentlich geförderten Einrichtungen sind so eng, dass erhebliche Kostensteigerungen nicht aufgefangen werden können,
  • das ehrenamtliche Engagement ist durch die Einschränkungen aufgrund von Corona vielfach erlahmt, da wenig Gelegenheiten zur Begegnung bestanden und viele Aktivitäten über einen längeren Zeitraum ausfielen, was sich insbesondere auf die Gewinnung von Nachwuchs auswirkt,
  • die Energiekrise wirkt sich nicht nur unmittelbar auf die Strom- und Energiekosten aus, sondern ebenso auf die Kosten von Vorprodukten, die mittelbar den gesamten Kulturbereich belasten,
  • es werden weniger Aufträge an Dienstleister aus der Kulturbranche vergeben, weil andere Unternehmen, aber auch öffentliche Kultureinrichtungen sparen müssen,
  • die ohnehin schon geringen Honorare im Kulturbereich sinken weiter.

 

Sparen, sparen, sparen!

 

Selbstverständlich spart die gesamte Kulturbranche Energie ein, wo dies möglich ist. Als Problem stellt sich aber, dass dies gar nicht so einfach ist. Vielen öffentlichen Kultureinrichtungen oder auch Institutionen der kulturellen Bildung wird ein beleuchtetes, geheiztes und klimatisiertes Gebäude von den Kommunen gestellt. Einsparungen bei der Heizung sind durch das Senken der Temperatur möglich, die Heizungsanlage selbst kann aber ebenso wenig beeinflusst werden wie die Beleuchtung. Bei Temperaturabsenkungen sind die klimatischen Rahmenbedingungen mit Blick auf den Schutz von wertvollem Kulturgut zu beachten. Darüber hinaus darf aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass beispielsweise eine starke Absenkung der Raumtemperatur bei Tänzerinnen und Tänzern zu einem erheblichen Verletzungsrisiko führt.

 

Viele Kulturorte sind Mieter, d. h. sie haben sowohl, was die Wahl der Wärmeversorgung angeht, als auch den Zustand der Heizungsanlage kaum Einflussmöglichkeiten. Auch die Beleuchtung ist teilweise Mietgegenstand. Bei Veranstaltungen werden sehr oft ohnehin Räume angemietet, sodass auch hier nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten vorhanden sind.

 

Bei vielen denkmalgeschützten Gebäuden, in denen Kultureinrichtungen zu Hause sind, bestehen gesetzliche Einschränkungen, eine ausreichende Dämmung oder einfach die Installation von Photovoltaikanlagen auf dem Dach sind in der Regel nicht erlaubt. Hinzu kommt der über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufgebaute Investitionsstau gerade bei der energetischen Sanierung.

 

Deutlich wurde bei der Befragung auch, dass viele Künstlerinnen und Künstler, aber auch Kulturunternehmen oder Kulturvereine alte, teils marode Gebäude nutzen. Hier ist es besonders schwer bis nahezu unmöglich, sparsam mit Energie umzugehen.

 

Aus diesen, hier zusammengefassten, Gründen, fällt es einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Befragten schwer, die geforderten 20 Prozent Energieeinsparung zu erbringen – auch wenn die Bemühungen erheblich sind. Diejenigen, die in den letzten Jahren investieren konnten, profitieren nun davon. Insbesondere die Umstellung der Beleuchtung auf LED hat erhebliche Einspareffekte von bis zu 80 Prozent der Stromkosten.

 

Die Mehrzahl der Befragten gab an, dass die Stromkosten etwa einen Anteil von bis zu 5 Prozent an den Gesamtkosten ausmachen und die Gaskosten bis zu 10 Prozent. Es wird von Kostensteigerungen von bis zu 300 Prozent ausgegangen. Vielfach können allerdings noch keine verlässlichen Aussagen getroffen werden, da noch keine Informationen zu den künftigen Kosten vorhanden sind. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die aktuellen Abschlagszahlen an Strom und Gas am Verbrauch des zweiten Halbjahrs 2021 bzw. ersten Quartal 2022 orientieren. In diesem Zeitraum waren viele Kultureinrichtungen und Kulturunternehmen geschlossen, d. h. die Abschläge orientieren sich an einer untypischen Nutzung mit einem Verbrauch, der einem „Normalbetrieb“ nicht entspricht. Die neuen Abschlagszahlungen werden dem Normalbetrieb zugrunde gelegt und daher vermutlich noch höher ausfallen, als sie aufgrund der gestiegenen Energiekosten sein müssten. Gleichfalls wird mit beträchtlichen Nachzahlungen gerechnet.

 

Manche berichten mit durchaus schlechtem Gewissen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt wurden, um die Energiekosten zu senken. Letztlich werden damit die steigenden Kosten auf die Beschäftigten abgewälzt, obwohl sie in der Kulturbranche vielfach nicht gerade fürstlich entlohnt werden.

 

Weitergabe der Kostensteigerungen

 

Unisono wurde geantwortet, dass eine Weitergabe von Kosten an die Nutzerinnen und Nutzer, Besucherinnen und Besucher oder Käuferinnen und Käufer nicht möglich ist. Als Gründe wurde angegeben, dass ohnehin um das Publikum gekämpft wird und eine Erhöhung der Eintrittspreise die Situation weiter verschärfen würde. Auch soziale Aspekte wurden genannt und darauf hingewiesen, dass sich das Angebot an breite Bevölkerungsschichten richten und eben nicht elitär sein soll und darum Kostensteigerungen nicht der richtige Weg ist.

 

Zusagen einhalten

 

In mehreren Beschlüssen der Kulturministerkonferenz und der Kulturstaatsministerin sowie des Bundeskanzlers und der Regierungschefs der Länder wurde schriftlich niedergelegt, dass der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, der noch nicht ausgeschöpft ist und Ende dieses Jahres ausläuft, zu einem Kulturfonds Energie weiterentwickelt wird. Im letzten Beschluss des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten war zusätzlich die Rede davon, dass ggf. weitere Maßnahmen zum Schutz der Kultur ergriffen werden sollen.

 

Jetzt ist die Zeit des Handelns und des Einhaltens der Zusagen gekommen. Natürlich wird die geplante Gaspreisbremse auch im Kulturbereich eine Wirkung entfalten. Sie wird jedoch erst Anfang März 2023 greifen, d. h. in den Heizungsmonaten Oktober und November 2022 sowie in den Monaten Januar bis März 2023 wird es keine Unterstützungsmaßnahmen geben. Der Bezug auf den Monat September 2022 bei der Bemessung der Gaspreisbremse wird bei vielen Kulturorten, aus den beschriebenen Gründen, wenig hilfreich sein. Der Ansatz, dass Unterstützungsleistungen aus dem Kulturfonds Energie ab Januar 2023 beantragt und rückwirkend für das vierte Quartal 2022 gezahlt werden können, geht in die richtige Richtung. Der Dezember 2022 ist aufgrund der für diesen Monat geplanten Entlastungsmaßnahme, die alle erhalten sollen, eine Ausnahme. Wesentlich ist, dass der Kulturfonds Energie tatsächlich die Breite des Kultursektors in den Blick nimmt, d. h. öffentliche und private Kultureinrichtungen, Künstlerinnen und Künstler, Kulturvereine und Kulturunternehmen. Sie alle brauchen Unterstützung.

 

Um die Energiekrise, die nach Aussagen von Expertinnen und Experten bis Frühjahr 2024 andauern wird, nachhaltig zu meistern, sind Investitionen im Kulturbereich dringend erforderlich. Die pandemiebedingten Investitionen im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR belegen, dass teilweise mit relativ überschaubarem Einsatz erhebliche Wirkungen erreicht werden können. Ganz unabhängig von den gegenwärtig exorbitanten Energiepreisen ist es unerlässlich, dass Kulturorte ökologisch nachhaltiger werden. Die Bereitschaft ist vorhanden. Ein echter Green Deal braucht aber mehr als nur schöne Worte, er braucht Investitionen. Angesichts des über Jahre aufgebauten Investitionsstaus darf nicht länger zugewartet werden.

 

Vom Kulturfonds Energie erwarten die befragten Kulturorganisationen, dass sie eine Unterstützung für Energiekosten, für Nachzahlungen und für Investitionen erhalten. Wie hoch die Restmittel aus dem Sonderfonds Kultur genau sein werden, ist, da er noch bis Ende Dezember 2022 läuft, noch nicht genau zu beziffern. Es wird aber vermutlich eine beträchtliche Summe zwischen 1,7 und 1,8 Milliarden Euro sein. Hiervon sollten, wie vom Deutschen Kulturrat im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags vorgestellt wurde, 800 Millionen für Energiekosten und Nachzahlungen sowie eine Milliarde für energetische Investitionen verwandt werden. Mit Blick auf die prognostizierte Dauer der Energiekrise und die aus ökologischen Gründen dringend erforderlichen Einsparungen von Energie ist dies gut angelegtes Geld, das sich mehr als rentieren wird.

Darüber hinaus muss die öffentliche Förderung den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Bund, Länder und Gemeinden werden tiefer in die Taschen greifen müssen, um die kulturelle Infrastruktur zu sichern.

 

Eine Extrawurst für die Kultur?

 

Ja, der Kulturbereich braucht eine Extrawurst. Er braucht eine Extrawurst, weil, wie schon in der UNESCO-Konvention kulturelle Vielfalt festgehalten wird, Kunst und Kultur vielfach Wirtschafts- und Kulturgüter gleichermaßen sind. Kulturgüter schaffen und transportieren ideelle Werte und darin unterscheiden sie sich von jedem x-beliebigen Wirtschaftsgut. Sie laden zur Auseinandersetzung, zum Lachen und Weinen, zu Unterhaltung und Austausch ein. In einer auseinanderdriftenden Gesellschaft ist die Kraft der Kultur wichtiger denn je. Das gilt für alle Kunstformen und -sparten, das gilt für das professionelle wie das Amateurschaffen.

 

Er braucht eine Extrawurst, weil der Kulturbereich durch die Pandemie schwer getroffen ist und viele Kultureinrichtungen, Kulturvereine, aber auch Kulturunternehmen oder Künstlerinnen und Künstler die Steigerung der Energiekosten nicht noch zusätzlich verkraften können. Es wäre doch geradezu grotesk, wenn diejenigen, die dank Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern in den letzten beiden Jahren überlebt haben, nun in der Energiekrise die Segel streichen müssen. Dann wären die Coronahilfen tatsächlich schlecht angelegtes Geld gewesen.

 

Er braucht eine Extrawurst, um Energie bezahlen und Energie spenden zu können. Gerade Kultur kann in einzigartiger Weise Mut, Zuversicht und Energie geben. Insbesondere diese mentale Energie wird angesichts der Vielzahl an Krisen dringend gebraucht.

 

Im Koalitionsvertrag wurde formuliert, dass die Vielfalt der Kultur gesichert werden soll. Jetzt kommt die Nagelprobe, ob dies eine schöne Floskel oder eine Handlungsanleitung ist.

 

Die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker von Bund und Länder und besonders Kulturstaatsministerin Claudia Roth sind jetzt gefordert.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/22.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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