In meiner ersten Kolumne für diese Zeitung in der Ausgabe 02/18 habe ich die Kulturschaffenden im Land ermuntert, sich in öffentlichen Debatten wieder vernehmbar zu Wort zu melden und die Politik wie alle Bürger nicht der politischen Elite zu überlassen. Denn die erfüllen ihre Aufgabe, für die sie gewählt werden, immer weniger. Demokratie jedoch braucht Engagement, gerade der Künstler und Intellektuellen. Heute, wo sie weltweit in einer tiefen Krise steckt, mehr denn je.
Ich bekam darauf eine ganze Reihe zustimmender Reaktionen. Allerdings auch einige kritische Antworten. Manche schrieben mir, dass „Politik“ nicht Sache der Künstler sei. So habe ich das allerdings nicht gemeint. Joseph Beuys gründete einst die Grünen mit und kandidierte als Abgeordneter. Günter Grass trommelte in den 1960er Jahren für die „EsPeDe“ und Willy Brandt. Grafiker gestalten Wahlkampfplakate oder Webseiten von politischen Bewegungen.
Aber nicht jeder Maler, Musiker, Schauspieler oder Literat fühlt sich berufen, selbst für öffentliche Ämter zu kandidieren. Darum geht es auch gar nicht. Man kann Politik auch wirksam beeinflussen, ohne sich selbst in die politische Arena zu begeben oder Abgeordneter oder gar Minister zu werden, wie einst Nana Mouskouri in Griechenland oder der Musiker Gilberto Gil in Brasilien. Oder wie der Poet und Sänger Pablo Neruda, der in Chile im Widerstand gegen den Putsch der Pinochet-Junta 1973 sogar sein Leben ließ.
Es geht nicht um Leben und Tod, nicht um Demokratie oder Diktatur. Jedenfalls nicht bei uns, nicht in Deutschland. Aber wie schnell eine scheinbar vitale Demokratie kippen kann, zeigten zuletzt Österreich und Italien. Die Österreicher haben Anfang vergangenen Jahres erstmals einen Grünen, einen Denker, zum Bundespräsidenten gewählt. Jetzt aber regiert, neben ihm, in Wien eine geist- und kulturlose schwarz-braune Regierung unter dem feschen Kanzler Sebastian Kurz. In Rom sind gar offene Feinde der Republik an der Macht, die rechtsextreme, braun durchsetzte Lega zusammen mit der eher rechts- als linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung. Von der illiberalen Demokratie eines Viktor Orbán in Ungarn oder Jarosław Kaczyński in Polen nicht zu reden.
Auch bei uns erlebt die AfD weiter einen Höhenflug. Die Bemühungen von CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer, sie in der Flüchtlingspolitik rechts zu überholen, haben sie noch bestärkt. In Sachsen könnte sie nächstes Jahr gar stärkste Partei werden. Die CDU hat ihr dort seit 1990 den Boden bereitet. Die Gefahr, dass Demokratiefeinde an die Macht kommen, ist also auch hierzulande durchaus gegeben.
Dennoch: Künstler müssen nicht zu Aktivisten oder gar Politikern werden. Sich in und mit ihren Kunstwerken, Theaterstücken oder Kompositionen auch politisch zu äußern, indem sie z. B. für Entrechtete, Unterdrückte, Ausgegrenzte, die am Rande der Gesellschaft stehen, Partei ergreifen, wäre schon ein eminent politischer Akt. Genauso, sich als Kulturschaffende in Talkshows zu setzen – was zugegeben viel Überwindung bedarf –, um den Dummschwätzern dort und ihren journalistischen Stichwortgebern Paroli zu bieten.
Eine Zumutung? Sicherlich. Doch die Demokratie kommt nicht ohne Anstrengung aus. Denn wie der Name sagt, ist sie dem Sinn nach Herrschaft des Volkes, nicht Herrschaft Weniger über das schweigende Volk einschließlich seiner künstlerischen und intellektuellen Exponenten. Beeinträchtigt ein solch öffentliches Engagement den Freiraum der Künstler? Nein. Denn Kunst ist ohne Freiheit nicht denkbar. Schmälert es die Marktchancen von Sängern, Musikern oder bildenden Künstlern? Vielleicht. Aber das wäre der Preis, den auch andere zu zahlen haben, die nicht so privilegiert und nicht kreativ tätig sind und sich dennoch um das Land und seine Demokratie bemühen.
Eine Autorin schrieb mir, sie fühle sich zu Unrecht kritisiert. Denn sie engagiere sich schon immer mit anderen Kulturschaffenden politisch. Und zwar lautstark. Solche wie sie hatte ich natürlich nicht gemeint. Und mir ging und geht es auch nicht um Kritik, sondern um Ermutigung. Gerade in schwierigen, bewegten Zeiten. Die kann jeder gebrauchen. Auch ich.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.