Energiekrise: Kulturbereich steht vor drittem Ausnahmewinter

Notfallpläne für die Kultur?

Welche Rolle Energie spielt, wird vielen in Deutschland erst jetzt bewusst. Wir können uns noch an die autofreien Sonntage 1973 erinnern, die während der Ölkrise in der Bundesrepublik mit dem Energiesicherungsgesetz verhängt wurden. Vielen Bundesbürgern sind diese autofreien Sonntage in nostalgischer Erinnerung. Jetzt ist aber nicht die Zeit für Nostalgie, sondern vielmehr für strikte Maßnahmen, um Energie einzusparen bzw. um die Versorgung für die kritische Infrastruktur sicherzustellen.

 

Noch im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass Gas als sogenannte Brückentechnologie genutzt werden kann, bis der Umstieg auf erneuerbare Energien erfolgt ist. Frankreich hatte sich hingegen für Atomkraft als Brückentechnologie stark gemacht. In Deutschland wurde über Jahre hinweg auf relativ preiswertes Gas aus Russland gesetzt, nicht wenige Unternehmen und Privathaushalte haben auf Gas umgestellt.

 

Seit Februar dieses Jahres mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist dies zu Ende. Deutschland und viele weitere Länder strafen Russland mit Handelssanktionen ab. Russland dreht den Gashahn sukzessive zu. Die Bundesregierung will die Abhängigkeit von russischem Gas so schnell wie möglich beenden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck reist durch die Welt, um Abkommen zur Energielieferung abzuschließen, Bundeskanzler Olaf Scholz hat erst im August ein Abkommen mit Kanada zur Lieferung von Wasserstoff abgeschlossen, wann die ersten Lieferungen eintreffen, steht in den Sternen. Vielen wird schmerzlich bewusst, welche großen Abhängigkeiten wir eingegangen sind. Bei der Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA hat die Zivilgesellschaft, auch der Deutsche Kulturrat, immer wieder auf die Gefahren von unsicheren weltweiten Handelssystemen hingewiesen.

 

Auswirkungen auf die Kultur I – Kostensteigerung

 

Der Kulturbereich ist gleich in mehrerlei Hinsicht von der aktuellen Energiekrise betroffen. Zum einen wird Energie, d. h. sowohl Gas als auch Strom, spürbar teurer. Teilweise ist die Rede von einer Verdreifachung der Preise. Das bedeutet für alle, Kultureinrichtungen, Kulturunternehmen, Künstlerinnen und Künstler, Kulturvereine, dass die Kosten für den Unterhalt von Räumen und der täglich genutzten Infrastruktur deutlich steigen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass viele Produkte, die bezogen werden, ebenfalls teurer werden, weil die Kostensteigerungen von Zulieferern weitergegeben werden. Schon jetzt sind, bedingt durch Lieferengpässe, beispielsweise die Papierpreise massiv angestiegen, wodurch sich der Druck von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Katalogen usw. deutlich verteuert hat.

 

Kostensteigerungen können zumeist nicht direkt an die Kunden weitergegeben werden. Kulturvereine beispielsweise haben in der Regel gar keine Kunden, sodass sie auf den gestiegenen Kosten sitzen bleiben. Viele öffentliche oder öffentlich-geförderte Kultureinrichtungen haben feste Sachkostenbudgets mit nur wenig Spielräumen. Mehrkosten für Energie werden kaum aufzufangen sein oder einer realen Absenkung der Förderung gleichkommen. Der Deutsche Kulturrat hat daher bereits im Juni dieses Jahres gefordert, dass Bund, Länder und Kommunen in den Kulturbudgets die gestiegenen Energiekosten berücksichtigen und die Zuwendungen entsprechend erhöhen.

 

Auswirkungen auf die Kultur II – Publikum

 

Die Energiekrise trifft den Kulturbereich zu einem Zeitpunkt, an dem sich gerade wieder berappelt wird. Das Publikum kehrt nach zwei quälenden Coronajahren langsam wieder zurück. Veranstaltungen oder Vorstellungen mit bekannten Künstlerinnen und Künstlern sind ausverkauft. Vielerorts ist das Publikum aber noch zögerlich. Zwei Jahre Pandemie, keine Besuche von Theatern, Kinos, Museen und anderem mehr haben ihre Spuren im individuellen Verhalten hinterlassen.

 

Die steigenden Energiekosten treffen jeden einzelnen privaten Haushalt. Nicht nur diejenigen, die ohnehin jeden Cent drei Mal umdrehen, werden die Folgen zu spüren bekommen, auch jene, die bisher ausgekommen sind, werden am Ende des Monats Lücken im Geldbeutel spüren. Dies kann dazu führen, dass diejenigen, die keine Enthusiasten sind, sondern sporadisch Kulturorte besuchen, sich diesen Besuch sehr genau überlegen werden. Es steht zu befürchten, dass Besucherinnen und Besucher wegbleiben werden. Mögliche Erhöhungen von Eintrittspreisen sind vor diesem Hintergrund kaum umsetzbar.

 

Auswirkungen auf die Kultur III – gesellschaftlicher Zusammenhalt

 

Die Kommunalen Spitzenverbände – Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund und Deutscher Landkreistag – haben am 18. August 2022 in einer gemeinsamen Erklärung ein düsteres Licht von der Haushaltsentwicklung in den Kommunen gezeichnet. Auch wenn sich die Einnahmen mancherorts positiv entwickeln, kann von einer Entspannung der kommunalen Finanzsituation nicht die Rede sein. Im Gegenteil, viele Kommunen gehen davon aus, dass sie im kommenden Jahr keine schwarzen Zahlen schreiben werden.

 

Angesichts der steigenden Energiekosten muss zuerst den Pflichtaufgaben wie Schulen, Krankenhäusern, der öffentlichen Verwaltung nachgekommen werden. Kultureinrichtungen, die nach wie vor zu den freiwilligen Leistungen zählen, könnten ebenso wie der Sport oder Freizeiteinrichtungen wie Schwimmbäder das Nachsehen haben. Dieses stellt eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar. Schon jetzt sind nach mehr als zwei Jahren Coronapandemie die Folgen der Schließungen spürbar. Kinder haben nicht schwimmen gelernt, soziale Kontakte haben gelitten, Menschen vereinsamen.

 

Kultur wie auch Freizeitaktivitäten sind für den gesellschaftlichen Zusammenhalt von herausragender Bedeutung. Es kommt jetzt darauf an, sich gerade auf der kommunalen Ebene nicht auseinanderdividieren zu lassen, sondern vielmehr gemeinsam – auch unter den schwierigen Bedingungen der Energiekrise – für lebenswerte Kommunen einzustehen. Insbesondere die Länder sind gefordert, die Kommunen nicht im Regen stehen zu lassen.

 

Auswirkungen auf die Kultur IV – Notfallstufe

 

Bereits seit 23. Juni dieses Jahres gilt Alarmstufe 2 des Gasnotfallplans. D. h. konkret, dass sich zwar die Energieunternehmen nach wie vor in Eigenregie um eine Entspannung der Lage kümmern und möglichst flexibel Energie, sprich vor allem Gas, einkaufen. Die Bundesregierung hat aber die Möglichkeit, die Unternehmen zu stützen, damit sie bei starken Preisanstiegen nicht zahlungsunfähig werden.

 

Wenn die Notfallstufe, also die Alarmstufe 3, d.h. eine erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage eintritt, kann die Energiezufuhr in bestimmten Bereichen gestoppt werden. Die Energieversorgung der privaten Haushalte, sozialer Einrichtungen wie Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, Notfall, Sicherheit und der öffentlichen Verwaltung muss gesichert bleiben. Alle anderen müssen mit schwankender Energieversorgung im besseren und im schlimmsten Fall mit dem Stopp rechnen.

 

Kulturgut bewahrende Einrichtungen wie z. B. Museen, einige Bibliotheken oder auch Archive zählen zur kritischen Infrastruktur. D. h. ihre Versorgung mit Energie muss gesichert bleiben, schon allein damit die Kulturgüter keinen Schaden nehmen. Schon jetzt wird an Notfallplänen gearbeitet, wie die Klimaempfehlungen zur Aufbewahrung wertvollen Kulturguts maximal ausgeschöpft oder ggf. besonders empfindliches Kulturgut in Depots konzentriert geschützt werden können. Hier ist die Expertise der entsprechenden Fachverbände gefordert. Andere Kulturinstitutionen mit einem dezidierten Bildungsangebot können eventuell unter die Bildungseinrichtungen subsumiert werden und zusätzlich als soziale Orte offengehalten werden. Einige arbeiten bereits daran, zusätzliche Angebote als Wärmestube mit einer warmen Suppe oder Getränken zu unterbreiten.

 

Auswirkungen auf die Kultur V – Energie sparen

 

Die mildeste Auswirkung auf den Kulturbereich ist die Einsparung von Energie. Die Kulturministerkonferenz und Kulturstaatsministerin Roth geben als Marge für die von ihnen geförderten Einrichtungen eine Energieeinsparung von mindestens 15 bis 20 Prozent an. Diese Einsparungen sind angesichts eines nach wie vor vielerorts bestehenden Sanierungsstaus kein Pappenstiel. Eines sollte aber klar sein, wer jetzt noch Kulturgebäude plant, die nicht nachhaltig und energieeffizient sind, sollte am besten die Finger davon lassen.

 

Auswirkungen auf die Kultur VI – kultureller Zusammenhalt

 

Angesichts eines voraussichtlich schwierigen Winters 2022/2023 und vielleicht sogar Winters 2023/2024 wird es darauf ankommen, dass jetzt auch im Kulturbereich der Zusammenhalt gelingt. Alle, Künstlerinnen und Künstler, Kultureinrichtungen, Kulturvereine und Kulturunternehmen, sind von der Energiekrise betroffen. Es geht jetzt darum, um die Kulturfinanzierung zu kämpfen und passfähige Förderprogramme zu entwickeln.

 

Wir werden als Deutscher Kulturrat unsere ganze Kraft daransetzen, dass der Kulturbereich den dritten Ausnahmewinter in Folge übersteht. Ohne eine massive Unterstützung durch Bund, Länder und Kommunen wird dies aber nicht gelingen können.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/22.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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