Aus dem Schatten heraustreten: Radio darf nicht zum Sparschwein für das Fernsehen werden

 

Verlässt der öffentlich-rechtliche Rundfunk, speziell das Radio, damit seine Rolle als kritischer Beobachter? Macht er sich mit denjenigen gemein, die er eigentlich beobachten, kritisieren oder loben soll? Wir sind der festen Überzeugung, dass das nicht der Fall ist.

 

Redakteure, Moderatoren, Programmverantwortliche haben als Kompass die journalistische Unabhängigkeit und diese lassen sie auch gegenüber ihren Partnern spüren. Was ihnen nicht schmeckt, was sie journalistisch nicht verantworten können, kommt nicht ins Programm. Da hilft kein Jammern und Wehklagen.

 

Das Radio hat Freunde, viele sogar, aber es steht trotzdem vor großen Herausforderungen. Radio steht sehr oft im Schatten des Fernsehens! Gerade mit Blick auf die neuen crossmedialen Redaktionen, das Zusammenlegen von Fernsehen-, Hörfunk- und Online-Redaktionen, wird es darauf ankommen, die spezifischen Kompetenzen des Radios stark zu halten. Radiomacher sind kreative Köpfe. Sie achten aufs Ohr, aufs Hören, aufs Zuhören. Sie kennen auch die leisen, die Zwischentöne. Fähigkeiten, die in einer stark visuell geprägten und vor allem schnellen Welt dringend benötigt werden. Radiomacher können entschleunigen, differenzieren und damit zur Tiefenschärfe beitragen. Diese Stärken können und müssen sie in die crossmediale Arbeit einbringen, aber sie müssen genutzt werden und Wertschätzung erfahren. Das Radio muss aus seinem Schatten heraustreten und selbstbewusst seine Kompetenzen einbringen.

 

Eine weitere große Herausforderung ist die Beitragsfinanzierung. Radio bietet beides: Grundversorgung und Highlight. Die Zukunftsfähigkeit des Radios wird sich daran entscheiden, ob es gelingt, beides in die crossmediale Arbeit einzubringen. Da das Fernsehen so deutlich mehr finanzielle Ressourcen benötigt als das Radio, wird das Radio darum kämpfen müssen, nicht zum Sparschwein für das Fernsehen zu werden. Das Radio muss weiter investieren in spannendes Programm.

 

Dazu gehören Wagnisse:
• unbekannten Autoren Aufträge zu geben,
• Komponisten zu beauftragen,
• Einspielungen von neuer Musik zu machen,
• Klangkunst zu fördern,
• Hörspiele zu produzieren,
• dem Jazz ein Podium zu bieten,
• trotz einer breiten Auswahl an Einspielungen nach wie vor an eigenen Chören und Orchestern festzuhalten
• und vieles andere mehr.
Das Radio ist ein wichtiger, wenn nicht sogar einer der wichtigsten Auftraggeber für Künstlerinnen und Künstler. Einsparungen haben massive Auswirkungen auf den Kulturbereich. Crossmediale Redaktionen dürfen finanziell nicht zulasten des Radios gehen.

 

Das Radio ist in den Regionen verankert. Das ist gerade für den Kulturbereich sehr wichtig. Die Berichterstattung und Rezensionen über Ausstellungen, Aufführungen, Konzerte, Veranstaltungen, Lesungen und anderes mehr sind für betreffende Einrichtungen, aber auch für die Künstler essenziell. Und das unabhängig davon, ob es sich um populäre oder ernste Kunst handelt. Das Radio schafft Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist die entscheidende Ressource für den Kulturbereich. Das Radio zeigt damit zugleich die kulturelle Vielfalt in Deutschland. Deutschland hat eben nicht eine oder zwei Kulturmetropolen, sondern eine ganze Vielzahl, große und kleine Städte und nicht zuletzt den ländlichen Raum. An vielen Orten wird mit spannenden Kulturangeboten, temporär oder auch von Dauer, aufgewartet. Hier ist das Radio ein bedeutsamer Partner und auch Multiplikator. Für die reiche Kulturlandschaft in Deutschland ist das Radio unverzichtbar.

 

Darum würde es auch nicht reichen, ein nationales Kulturradio zu haben. Es könnte die kulturelle Vielfalt in Deutschland gar nicht abbilden und würde dazu führen, dass vieles unentdeckt oder ungehört bliebe. Es ist schon schmerzlich genug, dass sich im Sommer die Kulturradios abends zusammenschalten. Noch mehr Vereinheitlichung würde schließlich zu einem Verlust an kultureller Vielfalt führen.

 

Das Radio ist zwar älter als das Fernsehen, aber trotzdem moderner. Mit seinen Podcasts nutzt es die Chancen der digitalen Welt und bietet die Möglichkeit, sendezeitunabhängig Beiträge zu hören. Bei aller zeitsouveränen Nutzung wissen viele aber auch das lineare, redaktionell geformte Programm zu schätzen. Das Radio wird hier viel weniger in Frage gestellt als das Fernsehen.

 

Radiomacher tun also gut daran, mit Stolz und Selbstbewusstsein aus dem medialen Schatten zu treten.

 

Der Text erscheint auch auf dem Dokublog von SWR2: dokublog.de

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
Vorheriger ArtikelMehr kulturelle Visionen
Nächster ArtikelMehr Geld, weniger Leistung?