Aus dem Schatten heraustreten: Radio darf nicht zum Sparschwein für das Fernsehen werden

Wenn über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemosert, diskutiert, gestritten wird, ist zumeist vom Fernsehen die Rede. Es wird geklagt über zu wenig Tiefgang, über Plattitüden, über reine Unterhaltung, über zu viel Sport. Es wird gejammert über zu viel Abgehobenes, über Unverständliches, über zu wenig Unterhaltsames und zu wenig Sport. Dem einen ist das Programm zu flach und zu sehr in der Nähe der privaten Sender, dem anderen ist es zu elitär und zu wenig zuschauerorientiert – eben öffentlich-rechtlich, ergo langweilig.

 

Dokumentarfilmer beklagen die Formatierung und die Einengung von Spielräumen für eigene Ideen und künstlerische Arbeiten. Kinofilme werden, so die Meinung aus der Filmbranche, vielfach schon mit der Brille des Fernsehens entwickelt und produziert, sodass die Potenziale zu wenig ausgeschöpft werden. Politische Talkshows dienen in erster Linie der Unterhaltung und weniger dem Ergründen und Diskutieren von politischen Positionen. – Jeder hat seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Fernsehen und verallgemeinert diese gerne einmal.

 

Und das Radio? Während die Diskussion um das Fernsehen die Gemüter in Wallung versetzen kann, scheint das Radio dahinter in den Schatten zu treten.

 

Das Radio hat seine Formatierung oder positiv formuliert seine Profilierung schon seit Jahrzehnten hinter sich. Jede Welle hat ihr eigenes Profil. Wer moderne populäre Musik, aufstrebende Poetry-Slammer oder Comedians hören will, hört EinsLive, Fritz, SWR3 oder vergleichbare Wellen. Wer gerne Schlager und Regionales liebt, ist bei SWR1, NDR Radio Niedersachsen und anderen gut bedient. Wessen Herz für die ernste Musik schlägt, wer sich gerne überraschen lässt und seinen Ohren Ungewohntes, Unerhörtes, Crossover zumuten möchte, kommt bei SWR2, WDR3 und anderen auf seine Kosten. Viele andere Beispiele ließen sich aufzählen. Die zahlreichen Hörfunkwellen der öffentlich-rechtlichen Sender im linearen Programm und die zusätzlichen non-linearen Angebote bieten nicht nur einen bunten Strauß, sondern einen ganzen Blumenladen an Vielfalt, an Großem und Kleinem, an Gängigem und Besonderem.

 

Die Radiomacher haben frühzeitig erkannt, dass sie Verbündete brauchen. Der WDR war im Jahr 2000 der erste Sender, der sogenannte Kulturpartnerschaften einging. 2004 zog SWR2 nach. Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung und die Kulturwellen wurden Partner. Sie produzieren kleine Trailer, in denen ausgewählte Veranstaltungen beworben werden. Podiumsdiskussionen werden gemeinsam durchgeführt und hinterher im linearen Programm ausgestrahlt. Als Podcast sind sie noch einige Monate nach der Veranstaltung und Sendung abrufbar. Die Kulturwellen haben sich damit Freunde gemacht, sind präsent in der Kulturlandschaft ihrer Länder.

 

Eine Kulturpartnerschaft bedeutet nicht, dass die kritische Berichterstattung erlahmt. Im Gegenteil, Kulturpartner werden journalistisch nicht anders behandelt als andere auch. Eine misslungene Inszenierung wird als solche rezensiert, eine missratene Ausstellung wird als solche bezeichnet und anderes mehr. Radio ist nicht käuflich! Das ist richtig und gut so.

 

Hörfunksender als Partner von zivilgesellschaftlichen Organisationen, dieses Modell haben inzwischen auch andere Sender übernommen. So ist der Deutsche Kulturrat aus alter Tradition gegenüber seinem Gründungssitz Bonn weiterhin Kulturpartner von WDR3. WDR3 hat verschiedene Diskussionen des Deutschen Kulturrates, die in Berlin stattgefunden haben, übertragen. Der Deutsche Kulturrat arbeitet aber ebenso mit dem Inforadio des rbb zusammen. Ausgewählte Diskussionen in Berlin, die der Deutsche Kulturrat allein oder mit Partnern veranstaltet, werden von rbb-Mitarbeitern moderiert, im linearen Programm ausgestrahlt und als Podcast non-linear zur Verfügung gestellt. Gerade hat der rbb mit dem Deutschen Kulturrat im Zeiss-Großplanetarium die Sendung „Kultur der Dunkelheit“ produziert; nachzuhören unter bit.ly/37kgRFb.

 

Ähnliches gilt für den Deutschlandfunk. Zusammen mit den Berliner Festspielen, dem DGB und Deutschlandfunk veranstalten der Deutsche Kulturrat und die Initiative kulturelle Integration zwei Mal im Jahr eine Diskussionsrunde „Reden wir über Veränderung“, die als Fishbowl-Format zur Diskussion einlädt und im Radio mitzuhören ist. Zusammen mit dem Kulturbüro der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Kulturstiftung St. Matthäus und dem Deutschen Kulturrat wird die Reihe Kultur.Forum veranstaltet. Die ebenfalls zwei Mal im Jahr stattfindenden Diskussionen können im Radio mitverfolgt und als Podcast gehört werden. Die Tagung zur Erinnerungskultur an die Shoah Ende Januar 2020 der Initia­tive kulturelle Integration fand nicht nur in den Räumen von Deutschlandfunk Kultur am Hans-Rosenthal-Platz statt, sondern wurde live gestreamt und kann als Podcast nachgehört werden.

 

Die Formate verbindet, dass die Themen gemeinsam von den Redaktionen und den zivilgesellschaftlichen Akteuren gesetzt werden, sich über Diskutanten zusammen verständigt wird und die verschiedenen Partner in ihrer jeweiligen Community die Veranstaltung und Sendung bewerben. Es werden so Menschen erreicht, die ansonsten nicht zur klassischen Zielgruppe der jeweiligen Partner gehören. Eine Win-win-Situation.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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