Utopische Filme

Die Science-Fiction der DEFA

Doch so sehr sich auch die jeweiligen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, verändern, so fällt auf, dass sich jenseits der konkreten gesellschaftspolitischen Kontexte, in denen die vier Filme – meist übrigens als Co-Produktionen mit sozialistischen Brüderländern – entstanden sind, und unabhängig davon, ob wir uns auf Venus, in der Nähe des Jupiters, der „Eolomea“ oder schließlich „TEM 4“ befinden, schon allein im Drehbuch-Kern eine – am Ende irgendwie stets unerfüllte – Sehnsucht nach dem Gebrauchtwerden abzeichnet. Die in die Weiten des Alls aufbrechenden Kollektive der DEFA-Science-Fiction-Filme orten Spuren und Signale, die sie als Kommunikationsgesuche wahrnehmen, oft auch als Hilferufe – und es gilt, nicht nur wie im Abenteuerroman Aufgabe für Aufgabe zu lösen, sondern noch einen Schritt davor erst zu verstehen, was genau die Aufgabe ist – beziehungsweise: ob es sich überhaupt um eine solche handelt. Denn die wahren Katastrophen bleiben oft genug aus, die Aggressoren bleiben gesichtslos – gleichsam virtuelle Materie. Es ist dieses unterm Strich hörbare und durchaus auf die fragile weltpolitische Stellung des Staats beziehbare „Wer braucht uns?“, das zusätzlich zu allen genrespezifischen Kontingenzen hier in die radikale Offenheit eines existenzialistischen „Wer will mich?“ übergeht. Der ambivalente Status quo des gänzlich irdischen Lebens in der DDR wird da, wo Planeten oder mögliche Überlebende nicht antworten, Raumschiffe mysteriös verschwinden oder sich Notrufe als falsch herausstellen, stets mitverhandelt.

 

Den Anfang machte 1959, zwei Jahre nach dem Sputnik-Start und zwei Jahre vor dem Mauerbau sowie Jurij Gagarins Durchbruch aller symbolischen Schallmauern, die erste Science-Fiction-Co-Produktion überhaupt zwischen der DDR und Volksrepublik Polen, „Der schweigende Stern“, in der Regie von Kurt Maetzig – eines Kenners der klassischen Film-Genre-Kanons – basierend auf dem ersten Roman des späteren polnischen Kultautors Stanisław Lem „Die Astronauten“ bzw. „Der Planet des Todes“. Erst nach zwölf Drehbuch-Fassungen durchaus namhafter Autoren wurde das im damaligen Zukunftsjahr 1970 angesiedelte internationalistische Venus-Expeditions-Abenteuer des Raketenraumschiffs Kosmokrator zugelassen, ein bis heute gerade mit Blick auf die Ausstattung und technisches Know-how zurecht vielgerühmter Beitrag der DEFA zur Science-Fiction.

 

Schon zur Entstehungszeit erkannte man allerdings, dass sich hinter den nur halb entschlüsselten Signalen, die auf einer 1908 in der Wüste Gobi niedergegangenen Spule aufgezeichnet wurden, mehr als die Botschaft der möglichen atomaren Bedrohung der Erde und einer feindlichen, aus den Rudern gelaufenen Vernichtungsmaschinerie verbirgt. Gleich drei der acht Besatzungsmitglieder – sieben Männer, eine Frau, die japanische Ärztin Sumiko – müssen sich am Ende opfern, darunter der deutsche Pilot Brinkmann; das Kollektiv unter der Leitung des sowjetischen Astronauten Arsenjew – unter Mitwirkung eines amerikanischen Atomphysikers, polnischen Ingenieurs und Kybernetikers, indischen Mathematikers, afrikanischen TV-Technikers und chinesischen Linguisten und Biologien – leistet Vorbildliches in Sachen Forschung und Heldenmut. Gleichzeitig gibt ein Kraftfeld mit nicht erklärbarer Energie große Rätsel auf, die mindestens genau so hartnäckig sind wie jene Hürden, die Sumikos und Brinkmanns sich anbahnende erotische Beziehung nicht überwinden wird.

 

Eine knappe Dekade später dreht der DEFA-Genrefilmer Gottfried Kolditz mit „Signale – ein Weltraumabenteuer“ – erneut eine deutsch-polnische Kooperation – einen filmtechnisch ebenfalls sehens- und hörenswerten modernistischen Film, dessen sozialphilosophische Dimension allerdings einen gehörigen Bremseffekt erzeugt. Sinn und Zweck der selbst auferlegten Rettungsaktion werden immer undurchschaubarer, die Aufmerksamkeit verschiebt sich auf interne Befehlsstrukturen sowie vermeintliche Technikprobleme („Warum hört ihr uns nicht?“) und schließlich an den Strand, wo sich die Schaulust des Zuschauers, wie es in einer Rezension hieß, auf „Bikini-Nixen“ richtet. Das genderpolitische Versprechen drohte auch im Kommunismus ein leeres zu bleiben – oder zumindest ein ungelöster Nebenwiderspruch –, eine Sache der Zukunft eben.

 

Umso spürbarer wird die Verlegung der „Kontakt-Sucht“ in den Bereich der – in „Signale“ recht schlüpfrigen und dennoch gehemmten – Erotik, eine Verschiebung, die Zschoches „Eolomea“ schon in Angel Wangensteins Drehbuch bewusst aufgreift und in Richtung Psychologie weiterführt. Die deutsch-sowjetisch-bulgarische Ko-Produktion fährt nicht nur brillante elektromechanische Modelle auf, sondern mit Cox Habbema als Prof. Maria Scholl auch eine zunächst verschärft operierende, dann aber sich ganz ihrer Liebe hingebende Heldin, die verschwundene Raumschiffe und unerforschte Lichtsignale vergessen lässt. Sexualität, Liebe und die Verknüpfung der Weltraum-Semantik mit grundlegenden familiären Problemen verweisen in „Eolomea“ endgültig auf die genuine Nähe des „utopischen Films“ zum sozialistischen Gegenwartsfilm.

 

Den Schlusspunkt im utopischen Langspielfilm setzt der bereits erwähnte Kolditz-Film „Im Staub der Sterne“, produziert von der Künstlerischen Arbeitsgruppe „defa futurum“, die zwischen 1971 und 1981 auch weitere kürzere experimentelle Arbeiten zum Thema herstellte, Prädikat: crazy! Jana Brejchová als Kommandantin Akala steht in diesem Spektakel vor extremen Problemen – einem Notruf, der gar keiner war sowie einer „mentalen Blockade“ ihrer gesamten Crew, ausgelöst durch einen Ultraschallpistolenschuss während eines rauschenden vom Herrscher des Planeten TEM 4 veranstalteten Fests. Der Plot des Sklavenaufstands löst sich in den Kostümen und im Dekor fast vollständig auf, laszive Sinnlichkeit und verspielte Erotik nehmen jenen Ort ein, der im Science-Fiction-Film der DEFA leer bleibt, weil er konstitutiv leer bleiben muss: den der Reibung, der Feindschaft und der Konfrontation. Die Aufgabe lautet friedliche Koexistenz. Diese spannend zu inszenieren stellt das Genrekino weltweit, nicht nur in der DDR, vor spürbare Probleme.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Barbara Wurm
Barbara Wurm ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Ostslawische Literaturen und Kulturen der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie hat zum sowjetischen Kulturfilm promoviert und ist freiberuflich als Film-Kuratorin und -kritikerin tätig.
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