Der Sound des Anderen

Musik im Science-Fiction-Film

Dumpfes Dröhnen. Weiches Wabern. Ruhiges Rauschen. Die Klangwelten der Science-Fiction basieren häufig auf technischen Störgeräuschen und ambivalenten Fremdtönen. Sie repräsentieren das, was nicht gezeigt werden kann, oder deuten an, was noch kommen mag.

 

Die Methoden dafür sind vielfältig: Stanley Kubrick wählte für das unverständliche Fremde in „2001“ (1968) als Untermalung das unstete Flirren der Cluster in Györgi Ligetis Neuer Musik. John Williams hingegen griff für „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977) scheinbar Joseph von Eichendorffs „Wünschelrute“ auf: Demnach schlafe ein Lied in allen Dingen und man habe nur das Zauberwort zu treffen, das die Welt zum Singen bringe. Im Film kommunizieren die Außerirdischen mit den Erdlingen mittels Musik – genau genommen dem aus fünf Tönen bestehenden Motiv: „hallo“ oder g-a-f-F-c. Technische und natürliche Objekte greifen die Melodie auf, lassen sie durch ihre ansonsten unspezifische Klanglandschaft geistern. Ob die Menschen ihre fremden Gäste verstehen oder nicht, sagt häufig viel über die Art und Weise der Erzählung aus, die uns präsentiert wird – und im Kern der Differenz zwischen Utopie und Dystopie steht nicht selten das musikalische Konzept.

 

Zwei der populärsten Beispiele hierfür stellen sicherlich „Forbidden Planet“ (1956) und „Logan’s Run“ (1976) dar. In „Forbidden Planet“ erforscht eine Gesandtschaft der United Planets den fremden Planeten Altair IV, auf dem 20 Jahre zuvor eine Expedition der Erde verschollen ist. Der Soundtrack ist in seiner Konsequenz ungewöhnlich und stilbildend, da er ausschließlich auf Soundscapes aus elektronischen Klängen zurückgreift, die eine atmosphärische Fremdartigkeit hervorrufen. Anfangs kann das sowohl auf die Umgebung des Planeten als auch die mysteriösen Züge der beiden Überlebenden bezogen werden, jedoch wird mehr und mehr deutlich, dass das Andere in diesem Fall zugleich für das Freudianisch-Andere, das Es der menschlichen Psyche, einsteht. Auf Altair IV ist dieses imstande, destruktive Monster zu materialisieren, wodurch sich sein Einfluss aus dem Unterbewusst-Psychischen in das Konkret-Dingliche verlagert. Trotz dieser Transformation bleibt es eine Metapher für das Andere im Eigenen, die sublimierten Triebe im Menschen selbst. In „Logan’s Run“, einer der Dystopien des New-Hollywood-Kinos der 1960er und 1970er Jahre, wird eine vollständig von der Technik abhängige und von ihren biologischen Ursprüngen entfremdete menschliche Zivilisation dargestellt, welche die Lebenserwartung mithilfe eines tödlichen „Wiedergeburts“-Rituals auf das Alter von 30 Jahren reduziert hat. Logan 5 und Jessica 6 entfliehen der künstlichen Kuppel, unter der sich alles menschliche Leben abspielt. Die menschenleere Natur außerhalb ist für Logan und Jessica zugleich terra incognita und Wiege der eigenen Spezies. Jerry Goldsmiths Musik zum Film differenziert zwischen artifiziellen, elektronischen Klängen für die Untermalung der Atmosphäre innerhalb der Kuppel und einem traditionell-romantischen Orchesterklang für die zentralen Momente der Entdeckung und Wieder­aneignung dessen, was außerhalb liegt. Wie in „Forbidden Planet“ führt die Reise des Menschen in „Logan’s Run“ zu sich selbst zurück. Während er auf Altair IV jedoch die fremde Bedrohung als Teil seiner selbst entlarvt, ist es auf der Zukunfts-Erde von „Logan’s Run“ die technokratische Gesellschaft, in der er lebt, die ihn von sich selbst entfremdet hat.

 

Es sind vor allem die Konzepte von Differenz und Ambivalenz, die Musik im Science-Fiction-Film einerseits auszeichnen und andererseits mit dem Genre des Horror verbinden. Wenn das Sound-Design von „Alien“ (1979) mit der Ähnlichkeit des Miauens von Katze und außerirdischem Monster spielt, greift der Film auf eine reichhaltige Historie ambivalenter Monster zwischen Mensch und Tier, wie den Werwolf, oder Leben und Tod, wie Frankensteins Monster, zurück.

 

In anderen Filmen wird das Fremde sowohl inhaltlich als auch musikalisch politisiert. John Coneys „Space Is The Place“ (1974) nutzt die Bühnenfigur und die Musik von Sun Ra, um den unterdrückten Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern eine eigene, nicht-westliche Tonsprache zu verleihen, die auf Jazz, Gospel und Blues basiert, aber sich als Free Jazz einem traditionellen Strukturverständnis häufig entzieht. Diese musikalische Utopie grenzt sich nicht nur klanglich vom Altbekannten ab, sondern ermöglicht sogleich allen Unterdrückten die Flucht auf einen Planeten mit für sie günstigeren sozialen Verhältnissen. Der Musiker Sun Ra inszeniert sich selbst als Erlöserfigur, und die Erlösung erfolgt in einem Zustand der musikalischen Ekstase. Das „Othering“ der Science-Fiction, das normalerweise extraterrestrischen Kulturkreisen vorbehalten ist, wird konkret auf die Lebenssituation einer rassistisch benachteiligten Bevölkerungsschicht in den USA bezogen.

Willem Strank
Willem Strank ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Vorsitzender der Kieler Gesellschaft für Filmmusikforschung.
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