Projizierte Zukunft

Der Science-Fiction-Film

Natürlich lässt sich die Geschichte des Science-Fiction-Films auch als Geschichte der Special Effects schreiben. Die erste Phase gilt der Welt der Modell-Gadgets: Raketen, Planeten, Aliens als analoge Nachschöpfungen, die wenig Realismus benötigten, weil die Attraktionen ohnehin vor allem aus der grafischen Kunst und dem Comic kamen. Das Genre experimentierte mit neuen Verfahren, z. B. mit dem Einsatz von Farbfiltern. Insbesondere bei der Schilderung wissenschaftlicher Einrichtungen („Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All“) und wirklicher Raketentechnik gab es seit Fritz Langs „Frau im Mond“ oft eine Zusammenarbeit von Filmleuten mit Wissenschaftlern und Technikern. Auf der anderen Seite wurden reale Bauten als perfekte Kulissen für Zukunftsvisionen entdeckt. Jean-Luc Godards Science-Fiction-Film „Alphaville“ (1965) wirkt gerade deswegen so beklemmend, weil er in den realen Architekturen der Neubauviertel von Paris gedreht wurde. Und in Norman Jewisons „Rollerball“ erscheint das Münchner BMW-Museum durchaus glaubwürdig als Spielstätte für einen grausamen Zukunftssport. Den größten Schub erlebte die Ästhetik des Genres natürlich mit der Entwicklung der digitalen Bildverarbeitung. Jeder neue Film war dann Teil einer Weiterentwicklung entsprechender Software, die dann wieder für andere Filme verwendet werden konnte. Der gegenwärtige Stand der Technik lässt sich wohl auf den Nenner bringen: Alles ist möglich – sofern die entsprechenden digitalen Ressourcen zu bezahlen sind. Doch dies hat auch zu einer gewissen Beliebigkeit geführt, die vor allem in den Materialschlachten von Superhelden-Filmen leicht ermüdet. Heute geht es für einen „erwachsenen“ Science-Fiction-Film eher darum, die digitalen Möglichkeiten gezielt, aber nicht exzessiv einzusetzen, um den größtmöglichen Grad an „Wirklichkeit“ zu erzeugen.

 

Das Genre hat sich nun weiter aufgefächert: Es gibt die Endlos-Geschichten um „Star Wars“ und „Star Trek“, die nicht weniger endlosen Superhelden-Fantasien und zu alledem Trash-Varianten und Parodien. Es gibt die Science-Fiction-Noir, die ein düsteres Bild einer Zukunft malt, die ihre besten Tage schon hinter sich hat und in der, wie in „Alien“ oder „Blade Runner“, selbst die Zukunftstechnologie anfällig und kaputt wirkt. Es gibt ein Spiel mit Identität und Wahn, wie in Duncan Jones’ „Moon“, und mit der Auseinandersetzung mit der maschinellen Parallelschöpfung und der künstlichen Intelligenz drängt ein neues Thema in den Vordergrund: Von „A.I.“ über „Her“ bis „Ich bin dein Mensch“ wird hier die Frage nach dem Wesen des Mensch-Seins gestellt. Ein anderes hochaktuelles Motiv ist die Schwierigkeit, Simulation und Wirklichkeit zu unterscheiden. Das reicht von Rainer Werner Fassbinders „Welt am Draht“ über die „Matrix“-Filme bis zu Serien wie „Wayward Pines“, wo die Menschen buchstäblich unter einer Glocke der „Reality“ leben – ähnlich wie einst der Held der „Truman Show“, der irgendwann bemerkt, dass er kein wirkliches Leben lebt, sondern nur eine Rolle in einer Soap Opera spielt. Mehrfach wird auch mit dem Gedanken gespielt, Menschen könnten sich in Computerspielen verirren wie in „Nirvana“, „Tron“ oder „Ready Player One“. Das Fantastische, so lautet die Formel des traditionellen Science-Fiction-Films, bricht in die reale Welt des Menschen ein und stellt ihn vor neue Herausforderungen, nicht nur technischer, sondern auch moralischer Art. Der neue Science-Fiction-Film geht davon aus, dass unser gesellschaftliches und individuelles Leben längst schon aus Fiktionen und Simulationen besteht. Doch es gibt Hoffnung, wie etwa in „12 Monkeys“, aus dem Kokon der Simulationen oder aus einem buchstäblichen Gefängnis auszubrechen und zu einer Wirklichkeit zurückzukehren, selbst wenn sie nur noch Reste von Natur und Leben enthält. Als hätten wir nur die Wahl zwischen einem ewig währenden intergalaktischen Krieg, dem Leben in einer Simulations- und Technik-Welt, in der das wirkliche Leben eigentlich überflüssig ist, oder aber einem Neuanfang in der post-apokalyptischen Welt, in der wie in „The Road“ nur die Frage des Jungen an den Vater bleibt: Sind wir noch die Guten?

 

In der Geschichte des Science-Fiction-Films kamen sich Wirklichkeit und Fantasie immer wieder einmal näher als beabsichtigt. Was ein Computer heute kann, konnte sich bis in die 1980er Jahre kein Drehbuchautor vorstellen. Aber zugleich wurden die ganz großen Hoffnungen auf die Eroberung des Weltraums, die fast selbstverständliche Begegnung mit anderen Lebensformen „dort oben“ oder die Lösung aller politischen und ökologischen Probleme bitter enttäuscht. Nicht mehr vom großen Aufbruch handeln die erwachsenen Science-Fiction-Filme unserer Tage, sondern von den großen Illusionen. Und die Katastrophen kommen nicht mehr von außen. Sie finden in den Menschen und ihren Gesellschaften selbst statt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Georg Seeßlen
Georg Seeßlen ist freier Journalist und Autor.
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