Der religionsgeschichtliche Kontext der Science-Fiction

Ein erster Blick auf Jenseitsreiseerzählungen vom antiken Kontext her

Science-Fiction als Jenseitsreisedarstellung

 

Science-Fiction beschäftigt sich fiktional mit den Auswirkungen der wissenschaftsfundierten Technik auf den Menschen und insbesondere der utopisch-futurologischen Extrapolation ihrer Auswirkungen. Innerhalb ihrer gibt es zahlreiche Versuche der Beantwortung der klassischen metaphysischen Fragen: Warum es überhaupt etwas gibt und nicht „Nichts“, nach der Rolle des Menschen in der Welt und der nach dem Sinn des „Ganzen“.

 

Ein Modell eines selbst erzeugten ewigen menschlichen Lebens, das sich aus eigener Kraft durch zusammenbrechende und neu entstehende Universen hindurch bewahrt, findet sich bei George Zebrowski in seinem 1979 veröffentlichten Roman über das „Makroleben“. Als das Wirtschaftsimperium der Familie Bulero im irdischen Sonnensystem 2021 zusammenbricht, fliehen die Buleros in die kosmischen Weiten hinaus. Ihre Vision ist nun die Erschaffung von „Makroleben“. Es wird erzählt, wie sich die Menschheit auf einer kosmischen Reise ihrer Endlichkeit dadurch entledigt, dass sie sich gleichsam als Com­puterinformation abbildet, so zu einem Makroleben wird und sich im Laufe ihrer kosmischen Wanderschaft zu immer größeren Verbänden mit anderen Intelligenzen zusammenschließt. So soll es möglich werden, auch das – als zyklisch angenommene – Aufeinanderfolgen von Big Bang und Big Crunch zu überleben. Am Ende des ersten Universums steht dann der Beginn eines neuen und größeren Universal-Zusammenhangs. Im Durchgang durch den Big Crunch treffen sie eine unvordenklich alte Universengemeinschaft: „Makroleben, das aus einer Zeit vor unserem Zyklus stammt und ungezählte Zerstörungen der Natur überlebt hat. Wir sind nicht die ersten großen Einheiten von intelligentem Bewußtsein (…) Das, dachte John, war die Zivilisation vom Typ III (…) Es war die Erste Form von Makroleben, die aus einer unvorstellbaren Vergangenheit überlebt hatte. Sie brauchten keine Worte. Die ältere Form öffnete ihre Schale, und die Millionen Welten flogen ohne Zeremonie hinein. Jeder Zyklus hatte Überlebende. Sie waren erwartet worden.“

 

Wir erkennen hier unschwer ein Konzept, bei dem endliche Vernunft aus eigener Kraft heraus auf einer Jenseitsreise den Kosmos begeistert.

Greg Bears Menschheit lebt in einer Welt, in der alle Übersichtlichkeit verloren gegangen ist. Zeitbegrenzungen und die Begrenztheit durch den – prinzipiell überflüssigen – eigenen Körper sind Vergangenheit. Auf den unterschiedlichsten kosmischen Wegen kann sich der Mensch hier bewegen. Einer dieser Reisenden, die sich selbst in ihrer Bestimmung zwar suchen, aber dabei doch wissend, dass nur die Suche ihr ewiger Weg ohne Ziel sein wird, schreibt in sein Tagebuch: „In all dem Gewebe großer Universen konnten die Sensoren nirgends einen allgemeinen Plan oder Sinn entdecken. Keine Intelligenz hatte all dies gemacht, nichts hatte durch seinen Willen diese Totalität ins Sein gerufen. Ob ein Gott oder Götter existierten, sie hatten hier keinen Platz. Soviel verstand er ohne jeden Schatten von Zweifel, erkannte er auf eine Weise, die er nie bewußt begreifen oder erreichen konnte“.

 

Der angelsächsische Philosoph Olaf Stapledon versucht hingegen im Kontext einer Jenseitsreiseerzählung ein trinitarisches Gottesbild unter den Bedingungen des evolutiven Denkens zu formulieren. Der Ich-Erzähler erlebt – mit den unterschiedlichsten neuen, den höheren evolutiven Stufen des Kosmos entsprechenden Wahrnehmungsorganen begabt – eine Reise durch alle Nuancen der kosmischen Evolution bis hin zur Schau des trinitarischen kosmischen Geistes.

 

Am Ende seiner Reise „schaut“ er den „absoluten Geist“: „Und wie durch Tränen der Leidenschaft und des heißen Widerspruchs sah ich den Geist des höchsten und vollkommensten Kosmos seinem Schöpfer gegenübertreten. (…) Und der Sternenschöpfer (…) fand in der greifbaren Lieblichkeit seines Wesens die Erfüllung seines Strebens. Und in der Freude des Sternenschöpfers und seines höchsten Kosmos wurde auf seltsame Weise der absolute Geist selbst deutlich, der Geist, in dem alle Zeiten gegenwärtig und alle Wesensformen eins sind; denn der aus dieser Vereinigung entspringende Geist zeigte sich meinem ohnmächtigen Verstand zugleich als Ursache und Ergebnis aller endlichen Dinge“.

 

Es ließen sich noch viele andere Autoren anführen – doch schon jetzt sieht man: Eine uralte Erzähltradition über Jenseitsreisen bekommt in der modernen Science-Fiction eine aktuelle Gestalt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Linus Hauser
Linus Hauser war bis zu seiner Pensionierung Professor für systematische Theologie im Institut für katholische Theologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sein Hauptwerk ist die dreibändige „Kritik der neomythischen Vernunft“, erschienen im Schöningh-Verlag.
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