Immunität durch grünes Blut

Epidemien im Star-Trek-Universum

In der Science-Fiction-Kultserie „Star Trek“, zu Deutsch „Raumschiff Enterprise“, findet sich eine erstaunliche Präsenz der Epidemie-Thematik. Ein erheblicher Teil der Raumschiff-Besatzung ist in „Planet der Unsterblichen“ vom lebensbedrohlichen Rigelianischen Fieber infiziert, benannt nach dem Stern Rigel aus dem für seine Nebel bekannten Sternbild Orion. Wegen dieser Epidemie versucht die Crew den Impfstoff Ryetalin vom Planeten Holberg 917G zu beschaffen. Allerdings stellt sich ein Mr. Flint in den Weg, der sich als alleiniger Eigentümer des Himmelskörpers ausgibt. Als Doktor McCoy die Wirkungen des Rigelianischen Fiebers mit denen der Beulenpest vergleicht, spricht Flint von der aus Konstantinopel im 14. Jahrhundert in den Westen gekommenen Pest, die halb Europa tötete. Unter „Pest“ wurde zunächst allgemeine Seuche verstanden, unter anderem Pocken, Typhus, Cholera sowie die beiden Arten der eigentlichen Pest. Der altrömische Schriftsteller Terenz nannte die Erreger „winzige Kreaturen, welche man mit bloßem Auge nicht sehen kann, die durch die Luft fliegen und über Mund oder Nase in den Körper eindringen“. Die großen Seuchen forderten auch prominente Opfer wie Kaiser Marc Aurel oder die berühmten Maler Giorgione und Tizian. Hier sollen einige Bezüge zur belletristischen Literatur angesprochen werden, zu poetischen Werken, die Inspirationen für die Science-Fiction-Serie lieferten.

 

In Edgar Allan Poes Novelle „Die Maske des Roten Todes“ hatte die Seuche bereits das Land verheert. Der reiche und arrogant-egoistische Fürst Prospero – Inbegriff des Reichtums, der Prosperität – hatte sich entschlossen, vor der Seuche in seine fest verriegelten und gepanzerten Schlösser zu fliehen. „Die Außenwelt mochte sich um sich selbst kümmern.“ – „Draußen war der Rote Tod.“ Nach monatelanger Abschottung, während welcher „draußen“ Abertausende jämmerlich zugrunde gingen, veranstaltet Prospero ein „prächtiges Maskenfest“ – ein schönes literarisches Bild der Maske als Schutz vor der Epidemie und als Bestandteil einer fröhlichen Festlichkeit. Prospero hatte ein spezielles Faible für Farben, für Scharlachrot wie Blut und Cholera sowie für Schwarz. Bei Prosperos Fest war auch eine „Maske“ anwesend, die niemand kannte – „lang und hager und von Kopf bis Fuß in Grabtücher gehüllt“. Sie trug die Zeichen des Roten Todes, rote Flecken auf der Haut und Spritzer von Blut. Solch rote Flecken zeigen sich auch in „Miri, der Kleinling“ bei Kirk und McCoy. Niemand der Festgäste streckte die Hand aus, jeder hatte Angst vor der Ansteckung. Alle erkannten aber, dass der Rote Tod über sie gekommen war, selbst die Ebenholzuhr als Symbol der Zeit‚ entschwand mit dem Letzten der Sorglosen.

 

Mit den Erzählungen von H. P. Lovecraft war der Star-Trek-Schöpfer Gene Roddenberry ebenfalls vertraut, sie galten als Klassiker eines dystopisch-kosmischen Horrors. Lovecrafts „Die Farbe aus dem All“ thematisiert eine biologische Bedrohung auf grauenhafte Art: Aufgrund der geheimnisvollen Farbe werden Pflanzen fremdartig, beginnen sich zu bewegen und verfallen zu Staub, das Obst an den Bäumen wird ungenießbar, Tiere zeigen nicht mehr artgerechtes Verhalten und Menschen werden wahnsinnig. Das giftige Gas „gehorchte Gesetzen, die nicht die Gesetze unseres Universums sind. Seine Heimat waren nicht die Welten und Sonnen, die in den Teleskopen und auf den photographischen Platten unserer Observatorien zu sehen sind. Es war nur eine Farbe aus dem All – ein furchterregender Bote aus ungestalten Gefilden der Unendlichkeit jenseits aller Natur, wie wir sie kennen“.

 

Roddenberry kannte auch das Werk des französischen Schriftstellers und Philosophen Albert Camus, er spricht in einem Brief über die Philosophie des Franzosen. Vermutlich hat er „Die Pest“ von Camus gelesen, dort steht die Seuche auch als Metapher für Weltkrieg und Diktatur. Die Pestepidemie in der algerischen Stadt Oran verbildlicht einen Ausnahmezustand, verbunden mit dem Abschotten von der Außenwelt, wo sich jedoch trotz der oft aussichtslosen Lage Solidarität gegenüber der gemeinsamen Bedrohung formiert. Die von Camus beförderten Gedanken der Revolte, des gemeinsamen Aufstehens gegen eine scheinbar übermächtige Sinnlosigkeit war ganz im Sinne von Roddenberry und seiner Mitstreiter. Kirk, Spock und McCoy appellieren in vermeintlich aussichtslosen Situationen immer wieder eindringlich an diese Art von Solidarität, sowohl gegenüber Flint als auch gegenüber Miri und den Kindern. Epidemien werden oft von Menschen gemacht, sind oft Frankenstein’sche Schöpfungen wie das genetische „Lebensverlängerungsprogramm“ auf dem Miri-Planeten oder das „Genesis-Projekt“. In „Reise nach Eden“ ist der Anführer der Aussteiger-Gruppe mit dem höchst ansteckenden Virus Sintokokkus Novus infiziert. Bordarzt McCoy sieht eine Ursache für diesen Virus in der „aseptischen, sterilisierten Zivilisation“, auch Dr. Sevrin sieht zivilisatorische Gründe, die Menschen und die Weltraumfahrt hätten die Viren zu uns gebracht – „die Zivilisation hat mich infiziert“. Als er von Kirk in die Quarantäne, in die vollständige Isolierung geschickt wird, spricht er von der Einschränkung seiner Freiheit, ohne an die anderen zu denken, die er mit tödlichen Folgen anstecken könnte.

 

In John Wyndhams Science-Fiction-Thriller „Die Triffids“ entsteht die Pandemie durch Menschenhand, durch ein gescheitertes biologisches Experiment. Aus Profitgier soll aus einer überzüchteten Pflanze Speiseöl gewonnen werden. Der aus der Luft kommende grüne Lichtregen führt zur Erblindung der meisten Menschen – „der Himmel war voller grüner Sternschnuppen“. Die Triffid-Pflanzen waren ein Resultat subtiler Experimente und der ungebremsten Erweiterung von Anbaugebieten, ein gewaltiger Raubbau an der natürlichen Umgebung hatte stattgefunden. Die Mehrzahl der Menschen wird durch die Pflanzengifte blind, die politischen Institutionen, die öffentliche Verwaltung, die Infrastruktur und das Gesundheitssystem sind zusammengebrochen. „Es ist eine der hartnäckigsten und tröstlichsten Illusionen der Menschheit, darauf zu vertrauen, dass so etwas hier unmöglich passieren kann, dass die eigene Lebenszeit und die eigene Umwelt vor Katastrophen gefeit ist. Und nun war es doch passiert.“

 

In „Implosion in der Spirale“ waren alle Infizierten aufgrund der Unvorsichtigkeit eines Crew-Mitglieds erfroren – er zieht einen Handschuh aus und öffnet so die Schutzbekleidung. Die mit dem Virus Psi-2000 infizierten Besatzungsmitglieder verändern ihr Tun in gravierender Weise. Neben hohem Fieber, Gliederschmerzen und Nachlassen der Sehkraft treten scheinbar versteckte, verborgene Charaktereigenschaften zutage bis hin zum Wahn.

 

In der Miri-Geschichte blieb nur Spock immun. Die kleinen Viecher hatten wohl „keinen Appetit auf grünes Blut“. Wünschen wir uns eine kalt-warme vulkanische Logik für das Entwerfen einer neuen, sozial und natural nachhaltig gestalteten Weltordnung und das „grüne Blut“ zur Gewinnung der Immunität.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Klaus Vieweg
Klaus Vieweg ist Professor für Philosophie an der Friedrich Schiller-Universität Jena.
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