Bremen: Eine wirklich schöne Stadt

Kultur und Kulturpolitik in Bremen

Beinahe zur gleichen Zeit wie die Weserburg geriet auch das Bremer Theater unter Generalintendant Hans-Joachim Frey in eine schwere Krise. Mit dem zwar preisgekrönten, aber hoch defizitären Musical „Marie Antoinette“ hatte Frey dem Haus in nur drei Jahren fast fünf Millionen Euro Schulden beschert. Unter Michael Börgerding erholt sich die Bühne seit 2012 langsam wieder, doch nun stehen künstlerische Aderlässe bevor: Der innovative Opernchef Benedikt von Peter geht Mitte 2016, Generalmusikdirektor Markus Poschner im Jahr drauf. Nachfolger stehen für beide noch nicht fest – im langfristig planenden Musiktheaterbetrieb verheißt das nichts Gutes.

 

Dazu kommen Untiefen im Kulturetat der Stadt: Die Einkünfte aus der „City Tax“ genannten Bettensteuer waren zuletzt höher als erwartet und flossen in dringend zu stopfende Löcher bei den Kulturinstitutionen und in die Freie Szene. Ob das im nächsten Jahr auch so sein kann? Ist ebenso unklar wie der Haushalt insgesamt: Auch Bremen muss deutlich mehr für Flüchtlinge ausgeben, während die bei diesem Thema bemerkenswert aktiven Kultureinrichtungen und -initiativen der Stadt dafür ebenfalls zusätzliche Mittel brauchen werden. Hier wie da wie dort wird Kulturstaatsrätin Emigholz also ein paar ganz dicke Brocken beiseite räumen müssen.

 

Jenseits dieses politischen Alltags finden sich interessante kulturpolitische Ansätze: Seit 2007 schließt die Stadt mit einzelnen Institutionen Förderverträge über Zeiträume zwischen zwei und fünf Jahren – „Contracting“. Sie verbinden verlässliche Mittelzusagen mit der Vereinbarung konkreter Ziele im wirtschaftlichen Bereich, bei der Publikumsreichweite oder für die Angebote kultureller Bildung. Dieses Steuerungsinstrument hat die Kulturbehörde zusammen mit den Kulturakteuren entwickelt; das staatliche Theater Bremen ist ebenso im Boot wie das Kulturzentrum Schwankhalle, eine große Einrichtung der Freien Szene. Nordrhein-Westfalen hat die Idee in seinem neuen Kulturfördergesetz aufgegriffen und vor kurzem eine erste Vereinbarung mit dem gemeinsamen Theater der Städte Krefeld und Mönchengladbach abgeschlossen. In Thüringen wird dem Vernehmen nach über ähnliche Modelle nachgedacht.

 

So sympathisch wie einleuchtend wirkt auch der Bremer Abschied von der „Gutachteritis“. So geißelte Carmen Emigholz vor einiger Zeit die weit verbreitete Unsitte, lieber auf orts- und strukturunkundige Beratungsunternehmen und Consultants zu hören, statt auf die oft unterschätzte oder auch nur falsch abgefragte Fachkompetenz im eigenen Haus. Völlig richtig benannte sie dabei als große Herausforderung: zu erkennen, wann und wo genau externer Sachverstand dann eben doch mal hilfreich sein kann.

 

Allerdings ein … nein, vermutlich sogar das Grundproblem Bremens bleibt: In der Bevölkerungs-Rangliste der deutschen Großstädte rangiert Bremen – hinter den westdeutschen Metropolen Düsseldorf, Dortmund und Essen, vor den ostdeutschen Leipzig und Dresden – auf Platz 10; auch die Kulturetats aller sechs Kommunen sind etwa gleich hoch. Doch kein Mensch käme auf die Idee, Düsseldorf oder Dresden zu einem Bundesland machen zu wollen – oder die traditionsreiche Hansestadt Dortmund. Dass Bremen ein eigenes Staatsgebilde ist, lässt sich historisch natürlich schlüssig begründen. Warum das allerdings auch im 21. Jahrhundert so bleiben sollte … ist bei nüchterner Betrachtung unerklärlich. Die größte kulturpolitische Herausforderung an der Weser wird sein, sich früher oder später ganz selbstbewusst mit dem zu bescheiden, was man schon sehr lange ist: Eine sehr schöne Stadt. Aber eben auch nicht mehr.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2015 erschienen.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
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