Bremen: Eine wirklich schöne Stadt

Kultur und Kulturpolitik in Bremen

Bremen

  • Landeshauptstadt: Bremen
  • Gründung: 1947
  • Einwohner: 0,66 Millionen (Bremen 0,55 Mio., Bremerhaven 0,11 Mio.)
  • Fläche: 419,38 km²
  • Bevölkerungsdichte: 1.578 Einwohner pro km²
  • Regierungschef: Dr. Carsten Sieling (SPD)
  • Regierende Parteien: SPD und Bündnis 90/Die Grünen
  • Nächste Wahl: Mai 2019
  • Senator für Kultur: Dr. Carsten Sieling (SPD)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur: 105,0 Millionen Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 160,99 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: nicht erhebbar – Bremen ist ein Zwei-Städte-Staat

B remen ist eine sehr schöne Stadt. Manchmal muss selbst das Offensichtliche einfach nur ganz deutlich gesagt werden. Allerdings fällt einem oft erst beim zweiten oder dritten Wiederholen vermeintlich simpler Sachen auf, dass dahinter viel mehr steckt, als es anfangs so scheint. Deshalb noch mal: „Bremen ist eine sehr schöne Stadt“.

 

Der Kulturminister heißt in Bremen „Kultursenator“, und dieses Amt bekleidet seit der Bürgerschaftswahl im vergangenen Mai Carsten Sieling. Der ist zugleich auch Bürgermeister seiner Stadt und Senatspräsident, also Regierungschef im kleinsten Bundesland – da bleibt nicht viel Zeit für den Kulturjob. Den erledigt deshalb traditionell eine Staatssekretärin, die in Bremen auch anders heißt, nämlich „Kulturstaatsrätin“. Amtsinhaberin Carmen Emigholz von der SPD ist eine erfahrene Frau auf dem kulturpolitischen Parkett: Vor ihrem Wechsel auf den Posten im Jahr 2007 war sie bereits elf Jahre lang fachpolitische Sprecherin ihrer Fraktion in der Bürgerschaft, dem Bremer Parlament. Dort heißt der Kulturausschuss übrigens „Kulturdeputation“ und es gibt ihn gleich zwei Mal: Einen für das Land, einen für die Stadt. Bremen ist – ceterum censeo – eine sehr schöne Stadt.

 

Gleichzeitig ist Bremen eine sehr arme Stadt. Der Strukturwandel, vor allem der Abzug von Industrie und Hafengeschäft, sorgt seit Jahrzehnten für wegbrechende Gewerbesteuern bei gleichzeitig steigenden Sozialleistungen. Dieser Effekt hat schon so manche Kommune bis an die Pleite getrieben, analog gilt Bremen als das Armenhaus unter den deutschen Ländern. Dazu kommt im Kulturbereich eine für alle Stadtstaaten ähnlich ungünstige Konstellation: Viele ihrer Angebote und Einrichtungen werden auch von Bewohnern des Umlandes stark genutzt, ohne dass es dafür Geld aus deren Gemeinde- oder Landesetats gäbe. Schauspiel- und Opernfreunde, Museumsbesucher und Festivalfans aus Weyhe, Syke, Delmenhorst, aus Achim, Oyten und Osterholz-Scharmbeck strömen in die Bremer Theater und Philharmonien, in Kunsthalle und Weserburg, zu Breminale und La Strada. Auf dem öffentlichen Finanzierungsanteil dieser Institutionen bleibt der klamme Zwei-Städte-Staat aber allein sitzen. Das 60 Kilometer entfernte Bremerhaven mit seinen 110.000 Einwohner gehört auch zum Bundesland; für diesen Artikel belassen wir es bei dieser schmalen Erwähnung. Das Problem verdeutlicht sich beim Blick auf die Pro-Kopf-Ausgaben von Bremen und des die Stadt vollständig umschließenden Niedersachsen: Während die Wesermetropole 161 Euro pro Einwohner für Kultur aufwendet, sind es im Bundesland drumherum nur 69,89 Euro.

 

Diese Situation ist nicht neu und hat mit dazu geführt, dass Bremen als eine der ersten Kommunen in Deutschland gezielte Kulturentwicklungsplanung betrieb. 1979 hatten Karla Fohrbeck und Andreas Wiesand ihre empirische Studie „Kulturelle Öffentlichkeit in Bremen“ vorgelegt; daraus entstand der bundesweit beachtete erste Kulturentwicklungsplan der Stadt für den Zeitraum 1985 bis 1995. Der war in der dezidierten Beschreibung aller Ziele und Maßnahmen für wirklich jede Institution und Initiative allerdings „viel zu kleinteilig“, wie der langjährige Bremer Referent für Kulturplanung, Narciss Göbbel, 2010 auf einem Fachkongress in Köln einräumte: „Danach brauchten wir erst mal ein paar Jahre Pause“.

 

Die Grundidee wurde allerdings nicht aufgegeben; für die Zeiträume 2001 bis 2005 bzw. 2006 bis 2011 legte man wieder Pläne auf. Um sich dabei nicht noch mal in den Fallstricken zu detaillierter Prognostik von oft schließlich doch unvorhersehbaren Entwicklungen zu verheddern, wich die Bremer Kulturbehörde auf den, eine Metaebene höher angesiedelten Masterplan aus: Es sollten nur noch grobe Linien vorgegeben werden, eine Art Leitbild der kulturellen Entwicklung. Fast erwartbar schlug das Gefahren-Pendel nun in die entgegengesetzte Richtung aus: Vor allem der letzte „Masterplan 2006 bis 2011“ blieb in weiten Teilen ein ziemliches Geschwurbel kulturpolitischer Allgemeinplätze und eher diffuser Absichtserklärungen.

 

Womöglich nicht zufällig wurden gerade in dieser Phase einige Löcher in die Bremer Kulturlandschaft gerissen, die zum Teil bis heute mehr oder minder offen stehen. Die größte Baustelle bleibt das Museum Weserburg am Teerhof, der Spitze der Flussinsel zwischen Alt- und Neustadt. Vor bald 25 Jahren als erstes „Sammlermuseum“ der Republik gegründet, ist die Einrichtung nicht nur strukturell unterfinanziert (es fehlen 500.000 Euro jährlich, mindestens), sie hat auch dringenden baulichen Sanierungsbedarf (Minimum drei Millionen Euro, aber eigentlich …) und steckt als eine Public Private Partnership in einer veränderten Museumslandschaft irgendwo zwischen Baum und Borke. 2010 ließ der damalige Museumsdirektor Carsten Ahrens dann sogar das Bild „Matrosen“ von Gerhard Richter verkaufen, um Geld für die Sanierung des Hauses zu haben; 2013 musste er schließlich auch deshalb zurücktreten. Sein kommissarischer Nachfolger Peter Friese wurde jedoch erst zwei Jahre und eine Bürgerschaftswahl später zum regulären Direktor bestellt. Und sogar fünf Jahre erbarmungswürdigen Rumlavierens hat es gedauert, bis sich die Politik zuletzt doch gegen einen Umzug des Museums und für den Verbleib in den großflächigen Räumlichkeiten am Teerhof aussprach. Entscheidungen fallen aber erst im Dezember.

Beinahe zur gleichen Zeit wie die Weserburg geriet auch das Bremer Theater unter Generalintendant Hans-Joachim Frey in eine schwere Krise. Mit dem zwar preisgekrönten, aber hoch defizitären Musical „Marie Antoinette“ hatte Frey dem Haus in nur drei Jahren fast fünf Millionen Euro Schulden beschert. Unter Michael Börgerding erholt sich die Bühne seit 2012 langsam wieder, doch nun stehen künstlerische Aderlässe bevor: Der innovative Opernchef Benedikt von Peter geht Mitte 2016, Generalmusikdirektor Markus Poschner im Jahr drauf. Nachfolger stehen für beide noch nicht fest – im langfristig planenden Musiktheaterbetrieb verheißt das nichts Gutes.

 

Dazu kommen Untiefen im Kulturetat der Stadt: Die Einkünfte aus der „City Tax“ genannten Bettensteuer waren zuletzt höher als erwartet und flossen in dringend zu stopfende Löcher bei den Kulturinstitutionen und in die Freie Szene. Ob das im nächsten Jahr auch so sein kann? Ist ebenso unklar wie der Haushalt insgesamt: Auch Bremen muss deutlich mehr für Flüchtlinge ausgeben, während die bei diesem Thema bemerkenswert aktiven Kultureinrichtungen und -initiativen der Stadt dafür ebenfalls zusätzliche Mittel brauchen werden. Hier wie da wie dort wird Kulturstaatsrätin Emigholz also ein paar ganz dicke Brocken beiseite räumen müssen.

 

Jenseits dieses politischen Alltags finden sich interessante kulturpolitische Ansätze: Seit 2007 schließt die Stadt mit einzelnen Institutionen Förderverträge über Zeiträume zwischen zwei und fünf Jahren – „Contracting“. Sie verbinden verlässliche Mittelzusagen mit der Vereinbarung konkreter Ziele im wirtschaftlichen Bereich, bei der Publikumsreichweite oder für die Angebote kultureller Bildung. Dieses Steuerungsinstrument hat die Kulturbehörde zusammen mit den Kulturakteuren entwickelt; das staatliche Theater Bremen ist ebenso im Boot wie das Kulturzentrum Schwankhalle, eine große Einrichtung der Freien Szene. Nordrhein-Westfalen hat die Idee in seinem neuen Kulturfördergesetz aufgegriffen und vor kurzem eine erste Vereinbarung mit dem gemeinsamen Theater der Städte Krefeld und Mönchengladbach abgeschlossen. In Thüringen wird dem Vernehmen nach über ähnliche Modelle nachgedacht.

 

So sympathisch wie einleuchtend wirkt auch der Bremer Abschied von der „Gutachteritis“. So geißelte Carmen Emigholz vor einiger Zeit die weit verbreitete Unsitte, lieber auf orts- und strukturunkundige Beratungsunternehmen und Consultants zu hören, statt auf die oft unterschätzte oder auch nur falsch abgefragte Fachkompetenz im eigenen Haus. Völlig richtig benannte sie dabei als große Herausforderung: zu erkennen, wann und wo genau externer Sachverstand dann eben doch mal hilfreich sein kann.

 

Allerdings ein … nein, vermutlich sogar das Grundproblem Bremens bleibt: In der Bevölkerungs-Rangliste der deutschen Großstädte rangiert Bremen – hinter den westdeutschen Metropolen Düsseldorf, Dortmund und Essen, vor den ostdeutschen Leipzig und Dresden – auf Platz 10; auch die Kulturetats aller sechs Kommunen sind etwa gleich hoch. Doch kein Mensch käme auf die Idee, Düsseldorf oder Dresden zu einem Bundesland machen zu wollen – oder die traditionsreiche Hansestadt Dortmund. Dass Bremen ein eigenes Staatsgebilde ist, lässt sich historisch natürlich schlüssig begründen. Warum das allerdings auch im 21. Jahrhundert so bleiben sollte … ist bei nüchterner Betrachtung unerklärlich. Die größte kulturpolitische Herausforderung an der Weser wird sein, sich früher oder später ganz selbstbewusst mit dem zu bescheiden, was man schon sehr lange ist: Eine sehr schöne Stadt. Aber eben auch nicht mehr.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2015 erschienen.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
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