Berlin: Eine Welt der kulturellen Extreme

Kulturpolitik in Berlin bewegt sich zwischen bürgerschaftlichen Kleininitiativen und international beachteten Großprojekten

Kulturbaustellen wohin man sieht

Bei den Berliner Verantwortlichen sorgt der ständige Wechsel zwischen ganz klein und ganz groß – hier Keramikmuseum, da Humboldtforum – für ein alltägliches Kaleidoskop von Anforderungen und Einordnungen. Zur Verdeutlichung seien nur die größten Kultur-Baustellen hier kurz erwähnt: Ein neues Museum der Moderne am Kulturforum, die Neuverteilung der Gemäldesammlungen, die Sanierung von Neuer Nationalgalerie, Pergamonmuseum und Staatsoper Unter den Linden, die Belebung des Bode-Museums, die endgültige Entscheidung über das leidige Einheitsdenkmal am Schlossplatz („Wippe auf der Kippe“, wie Niklas Maak so schön in der F.A.Z. schrieb). Dazu die Übergaben von Berliner Ensemble und Volksbühne an die neuen Intendanten Reese beziehungsweise Dercon in 2017, nicht zuletzt die überfällige Aufwertung der Freien Szene, von deren Strahlkraft die Stadt atmosphärisch und in der Folge auch ökonomisch zumindest mitlebt. Zwischendurch muss dann auch noch mal schnell ein Traditionstheater wie die „Ku’Damm-Bühnen“ gerettet werden, weil den Investoren in die Immobilie nach Umbau ein Spielbetrieb im künftigen Kellergeschoss vorschwebt – allerdings gegen 500.000 Euro Miete jährlich. Bislang überlebt der Boulevardbetrieb mit immerhin einer Viertelmillion Zuschauer, weil die seit den 20er Jahren bespielten Bühnen mietfrei genutzt werden können.

 

Von wegen „gescheitert“: Multikulti ist Alltag

Eine andere, eher grundsätzliche Frage, mit der sich vor allem der wirklich rührige Staatssekretär Renner und die noch rührigere „Koalition der Freien Szene“ intensiv beschäftigen: Wie verteilt man die jüngst auf dreieinhalb Millionen Euro erhöhten Fördergelder für Künstlerinnen und Künstler, Kunst- und Kulturwirtschaftsprojekte aus der City Tax so, dass dabei nicht nur künstlerisch was rauskommt, sondern auch Arbeit fair bezahlt und sogar nicht nur das Berlin von heute ständig perpetuiert, sondern das Berlin von morgen mitgedacht wird?

 

Digitalisierung, Migration, kulturelle Bildung – das gehört mittlerweile überall im Land zum Themenmantra. In der Weltstadt mit ethnischen Schwerpunktvierteln sind die Herausforderungen an Vermittlung von Kultur, Technik- und damit auch Informations- wie Ausdruckskompetenz jedoch noch mal ganz andere. Und das betrifft beileibe nicht nur vermeintlich soziale Brennpunkte: In manchen Cafés, Bars und Restaurants von Mitte, Kreuz- und Prenzlberg oder Friedrichshain spricht der Service schon heute gern mal nur Englisch. Was zunächst wie eine elitäre Attitüde anmutet, ist aber bloß die Realität einer Metropole – für die Eltern des Autors dieser Zeilen eine ziemlich verstörende Erfahrung in der „eigenen“ Hauptstadt. Der Satz „Die sollen erst mal unsere Sprache lernen“ bekommt dann plötzlich noch mal eine ganz neue Bedeutung.

 

Dieses bunt gemischte Völkchen an der Spree wird nach jüngsten Prognosen zudem weiter kräftig anwachsen: um bis zu 500.000 Menschen, runde 15 Prozent – in nur 15 Jahren. Die dann gut vier Millionen Berlinerinnen und Berliner werden noch mehr als heute eine „Welt-Bevölkerung“ sein. Welche Kultur, welche Teilhabeinteressen, welche Veränderungskräfte werden diese Menschen haben? Vor diesem Hintergrund müssen die Herausforderungen für Neil MacGregor im Humboldtforum, Tim Renner im Senat oder auch Shermin Langhoff im derzeit umjubelten Postmigrantischen Theater des Gorki verstanden werden. Ein Kleinod wie das Berliner Keramikmuseum dazwischen nicht zu übersehen und die Arbeit von Menschen wie Heinz-Joachim Theis vielleicht sogar mehr wertzuschätzen: Das wird gute Kulturpolitik in der Hauptstadt ausmachen.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 02/2016 erschienen.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
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