Bayern: „Land der wunderbaren Neger“

Zur Kulturpolitik in Bayern

Bayern

  • Landeshauptstadt: München
  • Gründung: 8. Dezember 1946
  • Einwohner: 12,7 Mio.
  • Fläche: 70.550 km²
  • Bevölkerungsdichte: 181 Einwohner pro km²
  • Regierungschef: Horst Seehofer (CSU)
  • Regierende Parteien: CSU
  • Nächste Wahl: Herbst 2018
  • Staatsminister für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst: Dr. Ludwig Spaenle (CSU)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  1.204 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 96,78 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 53,5%

Bayern ist für Kulturpolitiker so eine Art Paradies: Die öffentlichen Kassen sind gut gefüllt, die Menschen schätzen die Heimat mit ihren Traditionen, zu denen von jeher auch die schönen Künste gehören. Theater, Museen und Bibliotheken verzeichnen nahezu jährlich neue Besucherrekorde. Auch wenn nicht immer ganz leicht zu ermitteln ist, ob hier der stetig wachsende Touristenstrom daran vielleicht ebenso großen oder gar mehr Anteil hat als die Einheimischen, so ist die Nutzung der vielen und vielfältigen, oft auch prächtigen Institutionen doch wirklich bemerkenswert.
Dazu passend gibt kein Bundesland so viel Geld für Kultur aus wie Bayern. Mehr als 630 Millionen Euro verteilt die Landesregierung in diesem Jahr; es war sogar schon mal mehr. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen, wo immerhin 50 Prozent mehr Menschen leben als zwischen Passau und Aschaffenburg, umfasst der Landeskulturetat nicht mal ein Drittel dessen.

 

Dennoch wird auch im Süden der Republik beklagt, dass die vergleichsweise üppigen Mittel nicht den Bedarf decken. Die Opposition im Landtag beziffert den Renovierungs- und Sanierungsstau allein bei Kulturbauten auf eine Milliarde Euro, vielleicht sogar mehr. Das Ministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst unter Führung des aktuellen Ministers Ludwig Spaenle spricht immerhin noch von einer höheren dreistelligen Millionensumme.

 

Gleichzeitig wird die kulturpolitische Debatte ausgerechnet von einem Neubau bestimmt: Nach anderthalb Jahrzehnten unsäglicher Diskussionen – und immer neuer Volten von Ministerpräsident Seehofer – soll München jetzt endlich einen international konkurrenzfähigen Konzertsaal auf dem Gelände des alten „Pfanni“-Werks bekommen. Kosten: Bis zu 300 Millionen Euro. Währenddessen wurden in Bayerns drittgrößter Stadt Augsburg vom Rest des Landes nahezu unbemerkt zwei bedeutende Personalien gelöst: Aus Dessau kommt der erprobte wie erfolgreiche Querkopf André Bücker als neuer Generalintendant, startet 2017 wegen einer 90 Millionen teuren Theatersanierung aber erst mal ohne Haus, aus Berlin der neue Leiter des Brecht-Festivals, Patrick Wengenroth.

 

Die bayerische Staatsregierung hat zuletzt zweimal versucht, ein kulturpolitisches Gesamtkonzept zu entwickeln. Zunächst präsentierte der damalige bayerische Kunstminister Wolfgang Heubisch im Jahr 2010 seine „Leitlinien bayerischer Kulturpolitik“. Dieser Titel war allerdings etwas irreführend, denn konzeptionelle Grundaussagen oder gar eine kulturpolitische Strategie waren auf den gerade mal zwölf Seiten eher nicht formuliert. Stattdessen listete das Papier vor allem auf, was der Freistaat so alles finanziert – und natürlich, wie toll Bayern im Allgemeinen wie im Besonderen sei.

 

Entsprechend fiel die Resonanz aus: In einer Anhörung des Kulturausschusses im Jahr darauf wurden die „Leitlinien“ von allen eingeladenen Experten kritisiert, teils sogar heftig. Selbst CSU-Abgeordnete wie der frühere Staatssekretär im Kultusministerium, Karl Freller, beklagten bei der Gelegenheit öffentlich eine „Schieflage“. Die „Bayerische Staatszeitung“, ein trotz seines Titels nicht-staatliches, aber gleichzeitig auch nicht gerade von enormer Regierungsferne gekennzeichnetes Wochenblatt, überschrieb ihren Bericht dazu passend mit „Zu viel Vergangenheit, zu viel München“. Damit hat sie gleich zwei Kernprobleme des Landes benannt, nicht nur in der Kultur.
Die bayerische Politik ist insgesamt stark auf die Hauptstadt fixiert. München hat gut 1,4 Millionen Einwohner, die zweitgrößte Kommune Nürnberg schon fast eine Million weniger; Augsburg als Nummer Drei im Land ist mit 280.000 Menschen höchstens noch ein regionales Oberzentrum. Ein ähnliches Gefälle gibt es in keinem anderen Bundesland: Die internationalen Metropolen Berlin und Hamburg sind selbstständige Stadtstaaten, die rheinische Millionenstadt Köln wird im nordrhein-westfälischen Aufmerksamkeitswettbewerb von der Landeshauptstadt Düsseldorf und vor allem dem fünfmal größeren Ruhrgebiet austariert.

 

Wohl auch deshalb verabschiedete das bayerische Kabinett 2012, also nur zwei Jahre nach Heubischs „Leitlinien“, erneut ein kulturpolitisches Grundsatzpapier, das nun den Titel „Bayerisches Kulturkonzept“ trug. Es versprach bereits für den Haushalt des Folgejahres deutlich erhöhte Kulturausgaben im ganzen Land, darunter allein 50 Millionen Euro für 18 „regionale Leuchtturmprojekte“. So sollte in jedem Regierungsbezirk des Freistaats künftig ein Landesmuseum stehen und damit „die regionale Identität in besonderer Weise prägen“. Der Kulturetat stieg im Rahmen dieser großflächigen Beglückung kurzzeitig auf knapp unter 700 Millionen Euro.
Doch die Kulturpolitik der bayerischen Staatsregierung weist neben dem enormen finanziellen Engagement auch Züge auf, die im Deutschland des Jahres 2016 mindestens anachronistisch wirken, nüchtern betrachtet sind sie sogar problematisch: Es geht in allen Papieren, Beschlüssen und auch in den Titeln des Landeshaushalts nahezu ausschließlich um „bayerische Identität“ und das „kulturelle Erbe“, um dessen Pflege und Bewahren, oft auch um Heimat und Brauchtum. Begriffe wie Soziokultur, Integration, Migration oder gar Interkultur kommen hingegen nicht vor, ebenso wenig wie der gesamte Themenkomplex der Geschlechtergerechtigkeit.

 

Dabei handelt es sich nicht etwa um eine aktuelle Verweigerung des Zeitgeistes, sondern um eine in der staatlichen DNA verankerte Grundausrichtung. Zwar ist Bayern das einzige Bundesland, das sich im Artikel 3 seiner Verfassung explizit als „Kulturstaat“ definiert, und das bereits seit seiner Gründung 1946. Was damit genau gemeint ist, wurde im 1984 neu eingefügten Absatz 2 präzisiert: „Der Staat schützt die kulturelle Überlieferung“. Diese rückwärtsgewandte Perspektive auf „die Kultur“ zieht sich durch den ganzen Verfassungstext und findet in der Formulierung von Artikel 140 im wahren Sinne des Wortes einen besonderen Ausdruck: Staat und Gemeinden haben „insbesondere Mittel zur Unterstützung schöpferischer Künstler, Gelehrter und Schriftsteller bereitzustellen, die den Nachweis ernster künstlerischer oder kultureller Tätigkeit erbringen.“ An dieser Stelle umweht einen der Mantel der Geschichte bereits rein sprachlich. Nun könnte man sagen: So wurde zu Zeiten der Landesgründung im Jahr 1946 halt formuliert. Doch Äußerungen von Mitgliedern der Staatsregierung in München zeigen bis in die jüngste Gegenwart, welcher Geist hier die Sicht bestimmt. Im August des vergangenen Jahres saß der bayerische Innenminister Joachim Herrmann in Frank Plasbergs TV-Krawallbude „Hart aber fair“, neben dem damaligen Chefredakteur des „Focus“, Ulrich Reitz. Es ging wie seit letztem Sommer ja eigentlich immer in allen Talkshows um das komplexe Thema Migration, und Reitz sprach irgendwann über Beispiele gelungener und gelingender Integration. Da fiel ihm Herrmann ins Wort und sagte: „Der Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger, der den meisten Deutschen auch wunderbar gefallen hat“. Man sieht in der Aufzeichnung gut, dass sogar der notorisch konservative „Focus“-Mann Reitz für einen Moment ehrlich verblüfft war.

Den erwartbaren Reaktionen auf seine Äußerung entgegnete Herrmann später, er habe ja nur einen Begriff aus einer kurz vorher in der Sendung gezeigten Straßenumfrage aufgenommen. Roberto Blanco selbst gab zu Protokoll, er fühle sich von Herrmanns Worten jedenfalls nicht diskriminiert oder beleidigt. Doch sie zeigen den Blick eines Ministers auf die Welt, der zu den prominentesten Mitgliedern der bayerischen Staatsregierung zählt. Und das nicht zum ersten Mal, denn nur eine Woche zuvor war er bereits in diesem Sinne auffällig geworden. In der Runde von Plasbergs ZDF-Kollegin Maybrit Illner hatte Herrmann auf den Vorschlag von Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo, die Flüchtlinge von heute der Ehrlichkeit halber doch besser Vertriebene zu nennen geantwortet, das sei eine „Beleidigung für die vor 70 Jahren echt Vertriebenen“.

 

Wer so denkt und redet, bei dem – oder der – sind nicht nur die Ursachen der aktuellen Fluchtbewegungen, sondern ist auch die Tatsache der Einwanderungsgesellschaft immer noch nicht angekommen, weder intellektuell, noch emotional. Konsequenterweise ist auch von den Ideen, Konzepten und Strategien der Interkultur auf Landesebene keine Rede, nicht in den kulturpolitischen Strategien der Regierung und nicht in Haushaltstiteln. In einem de facto multikulturellen Deutschland des Jahres 2016 und seiner in unterschiedlichen Abstufungen migrantisch geprägten Gesellschaft ist das aber schlicht keine tragfähige Option mehr; heute nicht, und erst recht nicht in Zukunft.

 

Und es kann auch nicht durch die vielen konkreten interkulturellen Aktionen der Kultureinrichtungen im Land – wiederum vor allem in München – ausgeglichen werden, dass die Landesregierung in einer Art restaurativem Gestern-Modus lebt. Der Sturm der Globalisierung wird diese Haltung sehr bald als Kartenhaus entlarven und einfach wegpusten. Wer wo wie viele Konzertsäle, Häuser der Geschichte und Landesmuseen baut, unterhält und organisiert, ist vor diesem Hintergrund eigentlich sehr egal.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/16.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
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