Worum es geht: Kommunalpolitik hat im Grunde nie eine „Kultur des Aufhörens“ – ein Begriff vom Kulturmanager Armin Klein – etabliert. Lediglich Projektförderungen laufen aus. Ansonsten werden Einrichtungen, die in die institutionelle Förderung aufgenommen werden, auf unbestimmte Ewigkeit hin gefördert. Lange galt das wie eine Lebensversicherung für die jeweilige Kulturinstitution. Doch bleiben – mit dieser Sicherheit im Rücken – die Kultureinrichtungen auch flexibel, um auf den Wandel gesellschaftlicher Herausforderungen zu reagieren? Digitalisierung etwa oder aktuell kulturelle Arbeit mit Flüchtlingen, sind Aufgaben, denen sich alle öffentlich geförderten Einrichtungen zu stellen haben. „Wichtig ist, die Kulturbetriebe mit dieser Zeitdiagnose zu konfrontieren“, sagt Schneider-Bönninger: „Die Schlüsselfrage einer Selbstevaluation lautet: `Was brauchen wir?´“ Ausdrücklich geht es nicht um Rotstift-Konzepte etwaiger Schließungen. Genau das soll ja vermieden werden!
2009 gab es in Stuttgart Sparrunden. Auch die Kultur war betroffen, im Kulturhaushalt wurde gekürzt. Daraufhin wurde der Prozess „Kultur im Dialog“ eingeleitet. Kurzzeitig ging auch das Schreckgespenst eines globalen Minderaufwands um, sodass Kultur vier bis fünf Prozent hätte einsparen müssen. Glückliches Stuttgart. Das wurde verschoben. »Aber es lässt sich nicht ausschließen, dass das einmal wiederkommt«, sagt Schneider-Bönninger, die kurz nach Antritt ihres Jobs 2014 einen kulturpolitischen Stammtisch einrichtete. Man trifft sich vier Mal im Jahr, öffentlich im Jazz-Club Bix, durchschnittlich 150 Teilnehmende. Da kommen Kulturakteure aus allen Sparten und Kulturpolitiker zusammen. Ein Schwerpunktthema wird anmoderiert, es wird referiert und diskutiert, dann gibt es Zeit zum Austausch in kleinen Gruppen, später im Plenum. „Wir werten die Ergebnisse aus und transferieren das auf die politische Ebene“, sagt Schneider-Bönninger: „Im Kulturausschuss werden die Ergebnisse dann, meist gebündelt, vorgetragen“. Auf diese Weise seien schon zahlreiche Vernetzungen der kulturellen Sparten und Institutionen und auch Projekte entstanden. Jede Woche hält Schneider-Bönninger auch eine Kultursprechstunde. In unregelmäßigen Abständen lädt man zu größeren Dialogforen im Rathaus, die sich mit aktuellen Brennpunkt-Themen befassen. Wenn man so will: Auch diese Dialog-Kultur war eine Art Gründerphänomen und sie ist eine gute Voraussetzung, im einsichtigen Austausch miteinander jene Art von Entwicklungsplanung für die Kultur zu thematisieren. Stuttgart denkt vor, auch wenn es nicht akut von Einsparungen bedroht ist. Beide Kommunalpolitiker, Petra Rühle wie auch Jürgen Sauer, begrüßen das und sie wiederholen ausdrücklich, dass man damit keine Streichung oder Schließung vorbereite. Im Gegenteil: Jürgen Sauer fordert einen neuen Musikspielort mittlerer Größenordnung ab 500 bis 2.500 Plätze. Liederhalle und Co. reichten bei Weitem nicht mehr aus. Viele Konzertveranstalter machten einen Bogen um Stuttgart und würden in die umliegende Region ausweichen. Damit hat er Recht, schaut man sich den Ballungsraum an mit Fellbach, Böblingen, Ludwigsburg und wie die mittelgroßen benachbarten Städte alle heißen. Dort herrscht hervorragende Kulturversorgung.
Das Musterländle hat Geld. Seine Hauptstadt auch. 147 Millionen Euro beträgt der Kulturgesamtetat laut Haushaltsplan 2017 für alles, d. h. inklusive der Personalkosten der Mitarbeiter beim Kulturamt plus sechs Abteilungen (Philharmoniker, Stadtbibliothek etc.). Davon gehen 23 Millionen Euro an die „externe“ institutionelle Förderung ohne Staatstheater und 1,4 Millionen Euro an Projekte. Weil im Gemeinderat ein Kulturkonsens gilt, sind diese Budgets stabil bzw. die Zeichen stehen eher auf Weiterentwicklung. Mit dem aufgestellten Doppelhaushalt 2016/17 sind neue Projektfonds hinzugekommen zur kulturellen Bildung, zur Club-Förderung, eine Aufstockung gab es bei der Interkultur und Kulturarbeit mit Flüchtlingen. Es wurde auch beschlossen, die Theater z. B. zu unterstützen, die mit viel Personal arbeiten und Tarif-Erhöhungen und Preissteigerungen bedienen müssen. Eingeleitet wurden deshalb „Maßnahmen zur strukturellen Unterfinanzierung der personalintensiven Kultureinrichtungen“, sodass Kulturbetriebe, die mit 30 Beschäftigten und mehr arbeiten, nun 12,5 Prozent mehr Finanzen von der Stadt erhalten.
Stuttgart nutzt die Kultur mittlerweile in besonderem Maße für die Stadtentwicklung. Das zeigt sich bei den sogenannten Wagenhallen am Nordbahnhof, die jetzt mit 30 Millionen Euro saniert werden, damit hinterher eine große Atelierhalle für Künstler sowie Raum für Konzertbetrieb entsteht. An die Wagenhallen grenzt ein Areal, auf dem unweit des Rosensteinparks ein neues Wohngebiet entsteht. Das Quartier entwickelt sich somit, nachdem die Kultur schon da ist. Oft ist es umgekehrt.
Seit Mitte Oktober hat Stuttgart nun auch wieder einen neuen Kulturbürgermeister. Fabian Mayer (CDU) leitet das Referat „Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht“. Der Posten war noch offen, nachdem Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU) im Mai 2016 in die Landesregierung ins Kabinett Kretschmann II wechselte bzw. „aufstieg“. Nun ist sie Kultusministerin. Auch personalpolitisch ist Stuttgarts Kulturpolitik hochinteressant. Hier bahnen sich Karrieren.
Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2016 erschienen.