Stuttgart: Immer wieder Gründerzeit

Kulturpolitische Herausforderungen in der Landeshauptstadt Stuttgart

Stuttgart

  • Einwohner: ca. 605.000
  • Fläche: ca. 207 km²
  • Bevölkerungsdichte: ca. 3008 Einwohner pro km²
  • Nächste Oberbürgermeisterwahl: Herbst 2020
  • Nächste Kommunalwahl: 2019
  • Oberbürgermeister: Fritz Kuhn (Bündnis90/Die Grünen)
  • Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht: Fabian Mayer (CDU)
  • Kulturausgaben: ca. 147 Millionen Euro pro Jahr
  • Kulturausgaben pro Einwohner: 243 Euro pro Jahr

Lärm und Großbaustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof, wo „Stuttgart 21“ voll zu Gange ist. Unweit dahinter steht die neue Stadtbibliothek am Mailänder Platz, die 2011 eröffnet wurde. Die Baukosten für den wunderschönen, quadratisch, praktisch, guten Architekturkracher des Koreaners Eun Young Yi betrugen knapp 80 Millionen Euro. Auf 11.500 Quadratmetern wird hier die Stadtbücherei des 21. Jahrhunderts verwirklicht und statistisch deutlich spürbar sind die Zahlen von Nutzer und Ausleihen seit dem Start nach oben gegangen. Die Schwaben in ihrer Hauptstadt halten viel auf Kultur. Das spürt man kommunalpolitisch. Auf der anderen Seite des Bahnhofs steht die Stuttgarter Oper, die hälftig von der Stadt mitfinanziert wird. Sie wurde 2016 vom Fachmagazin „Opernwelt“ zum insgesamt sechsten Mal als „Opernhaus des Jahres“ tituliert. Das macht froh und stolz und wenn nun demnächst an dem Gebäude umfangreiche und kostenintensive Sanierungen fällig werden, stehen so gut wie alle im Stadtrat dahinter. Das muss sein. Das ist selbstverständlich.

 

Und nächstes Jahr bekommt Stuttgart nun auch noch ein neues Stadtmuseum, das als Abteilung des Kulturamts in Trägerschaft der Stadt geführt werden wird. Es wird in das komplett sanierte Wilhelmspalais einziehen, dort, wo früher die Stadtbibliothek zuhause war. Außen steht noch die historische Fassade, innen wird es quasi ein neues Gebäude. Seit neun Jahren gibt es einen Planungsstab Stadtmuseum, der seitdem auch die Sammlung systematisch aufgebaut hat, vereinzelt mit Exponaten aus dem Depot des Stadtarchivs, aber insbesondere auch in Kontakt und Austausch mit den Bürgern, denn die Ausstellung wird lebensgeschichtlich orientiert, sie soll nicht wie ein konventionelles Heimatmuseum konzipiert werden. Stattdessen präsentiert man Themen der Gegenwart und Zukunft, auch das, was den Diskurs Stuttgarter Zeitgeschichte bestimmt, sodass „Stuttgart 21“ sicherlich mit von der Partie sein wird. Der Wille für ein solches Stadtmuseum – Stuttgart hatte bislang keines – formte sich bereits vor Jahren unter CDU-Bürgermeister Wolfgang Schuster und wurde unter dem neuen Oberbürgermeister (OB) Fritz Kuhn (Bündnis90/Die Grünen) fortgesetzt. Da sich Stuttgarts Kulturpolitik in dieser Angelegenheit auf eine breite bürgerschaftliche Basis stützte, spielten einzelne Partei- oder Fraktionsinteressen hier eine untergeordnete Rolle und en gros lässt sich ähnliches für die kommunale Kulturpolitik generell feststellen. „Ich beobachte grundsätzlich eine fraktionsübergreifende Aufgeschlossenheit im Gemeinderat für kulturelle Fragen“, sagt z. B. die ehrenamtliche Stadträtin Petra Rühle von den Grünen. Kultur gehört – wie in allen Städten – zu den freiwilligen Aufgaben. Einvernehmliche Einsicht, dass diese Freiwilligkeit unverzichtbar ist, bietet insofern hervorragende kulturpolitische Voraussetzungen.

 

Einvernehmlich ist man auch beim nächsten großen Kulturprojekt, dem neuen Haus für Film und Medien. Weil Stuttgart schon lange kein kommunales Kino mehr hat – es war früher im Planetarium untergebracht, später im Filmhaus in der Friedrichstraße, wurde aber 2008 geschlossen –, hat sich eine Initiative aus Vereinen, Haus des Dokumentarfilms, Volkshochschule und anderen zusammengetan, um auf die cineastische Lücke hinzuweisen. Der Stadtrat hat nun Gelder für eine Standortsuche, Erstellung einer Planungsstudie und Betriebskonzeption bewilligt. Es soll ein institutionell gefördertes Haus für Film und Medien geschaffen werden, in dem nicht nur kommunales Kino sondern ebenso ein Workshop-Angebot und Medienbildung stattfinden kann. »Dass Stuttgart ein Haus für Film und Medien bekommen soll, halte ich für sinnvoll und wichtig«, sagt Jürgen Sauer, ehrenamtlicher Stadtrat der CDU-Fraktion. Aber Stuttgart ist eine eng bebaute Stadt in Talkessellage. Da findet sich nicht immer gleich ein Örtchen. In Diskussion ist der Hindenburgbau, wiederum hinterm Hauptbahnhof, ein Neubau oben auf dem Parkhaus des Kaufhauses Breuninger oder die Calwer Passage. Der Planungsprozess läuft.

 

Wie und wo auch immer dieses kommunale Kino neuen Typs hinkommt: Stuttgarts kulturelle Infrastruktur ist damit wieder mal in „Gründerzeit“. So sieht es Birgit Schneider-Bönninger. Sie ist Leiterin des Kulturamts und freut sich selbstverständlich über den Wachstumskurs, insistiert aber, dass ein „Nachhaltigkeits-Management“ wichtig ist. „Wir arbeiten daran, der Politik eine Strategie für eine langfristige, zukunftsorientierte Kulturentwicklung an die Hand zu geben“, sagt sie. Vom Stuttgarter Gemeinderat kam selbst schon Interesse daran, dass man die Kultureinrichtungen evaluiert, um Zielvereinbarungen und Qualitätskriterien zu formulieren. Schneider-Bönninger würde gern zusammen mit den Kultureinrichtungen Prognosen und Szenarien für eine kontinuierliche Weiterentwicklung erstellen.

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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