Schluss mit der Luther-Apologie

Ja, was war da zu tun? Nun, Martin Luther wusste Rat: „Erstlich, das man jre Synagoga oder Schule mit feur anstecke und, was nicht verbrennen will, mit erden überheufe und beschütte, das kein Mensch ein stein oder schlacke davon sehe ewiglich … – Zum anderen, das man auch jre Heuser des gleichen zerbreche und zerstöre, Denn sie treiben eben dasselbige drinnen, das sie in jren Schülen treiben. Dafur mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall thun, wie die Zigeuner, auff das sie wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande. – Zum dritten, das man jnen nehme all jre Betbüchlein und Thalmudisten, darin solche Abgötterey, lügen, fluch und lesterung geleret wird. – Zum vierten, das man jren Rabinen bey leib und leben verbiete, hinfurt zu leren. – Zum fünften, das man die Jüden das Geleid und Straße gantz und gar auffhebe. – Zum sechsten, das man jnen den Wucher verbiete und neme jnen alle barschafft und kleinot an Silber und Gold, und lege es beiseit zu verwaren. – Zum siebenden, das man den jungen, starcken Jüden und Jüdin in die Hand gebe flegel, axt, karst, spaten, rocken, spindel und lasse sie jr brot verdienen im schweis der nasen.“

 

Zwar war Luthers Antisemitismus religiös und nicht rassistisch begründet, aber er lieferte über Jahrhunderte das Vokabular für Verbrechen gegen die Juden. Martin Luther – ein Name wie Donnerhall? Ja, vor allem in den Ohren der Juden. Völlig zu Recht hat Thomas Mann 1945 für Luther den Begriff des „stiernackigen Gottesbarbaren“ geprägt.

 

Luther der brutale Apologet der Obrigkeit

Mit seinem Pamphlet „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ (1525), erreichte Luther den moralischen und theologischen Tiefpunkt seines Wirkens. Die Schrift erteilte eine uneingeschränkte Lizenz zur brutalen Tötung der aufständischen Bauern. Die Morde seien eine religiös verdienstliche Tat, ja nachgerade eine allgemeine Christenpflicht: „Der Esel will Schläge haben, und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein. Das wußte Gott wohl; drum gab er der Obrigkeit nicht einen Fuchsschwanz, sondern ein Schwert in die Hand. … Drum soll hier zuschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und gedenken, dass nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres sein kann, denn ein aufrührischer Mensch. Gleich als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss …“

 

Luther predigte, dass, wer seine Feinde tötete, im Dienst der Liebe, im Dienste Gottes stehe und dafür im Himmel belohnt würde: „… steche, schlage, würge hie, wer da kann. Bleibst du drüber tot, wohl dir, seliglicheren Tod kannst du nimmermehr überkommen. Denn du stirbst im Gehorsam göttlichen Wortes und Befehls, Röm. 13, 4, und im Dienst der Liebe …“.

 

Luther spürte, dass seine kirchenpolitischen Ziele durch das freiheitliche Gedankengut der revolutionären Bauernschaft gefährdet waren. Deshalb stellte er sich vorbehaltlos auf die Seite der Obrigkeit. Die Fürsten, die eben die Reichsritter aus der Politik ausgeschaltet hatten, warfen nun auch die Bauern nieder. Die ursprüngliche reformatorische Volksbewegung war zu Ende. Träger der Reformation waren nun die Territorialherren, die mit dem König bzw. Kaiser um ihre partikularistische Macht rangen. Es bildete sich eine unselige Staatsnähe der lutherischen Kirche heraus.

 

Luther – der selbsternannte Erneuerer der alten Kirche – war Ideengeber des Machtstaates geworden und ebnete der Verstaatlichung der Religion den Weg.

 

Luther der gnadenlose Gnadentheologe

Anfang des 16. Jahrhunderts standen für die christliche Kirche viele Fragen auf der Tagesordnung, neben der äußeren Kirchenreform „an Haupt und Gliedern“ und der moralischen Erneuerung von Klerus und Kirchenvolk auch die Frage nach dem Heilsweg des Menschen, die für Luther zum zentralen Problem wurde. Seine Antwort hierauf war das vollständige Angewiesensein auf Gottes allein im Glauben gewisse Gnade. Gott erwarte nicht Fasten, Wallfahrten und reich ausgeschmückte Kirchen, sondern einzig den Glauben an Christus. Luther vertrat damit eine radikale gnadentheologische Position, die dem Vertrauen des Einzelnen auf seine ihm eigenen Willenskräfte im Verhältnis zu Gott keinen Raum ließ. Das Leben des Einzelnen sei als eine immerwährende Buße vor Gott zu verstehen. Die Vergebung der Sündenschuld liege allein bei Gott. Er lehnte die Vorstellung ab, der Mensch könne von sich aus Gott gegenüber Verdienste und Ansprüche erwerben.

„Luther (…) war Ideengeber des Machtstaates geworden und ebnete der Verstaatlichung der Religion den Weg.“

Der Glaube, so Luther, war nur in der Schrift Gottes zu erkennen. Er stellte die Bibel einseitig ins Zentrum seiner Theologie. Deshalb ließ er in den religiösen Auseinandersetzungen auch nur die Bibel als Autorität zu. Die katholische Kirche hielt dagegen am Prinzip der Gleichrangigkeit von Schrift und Tradition fest. Das Traditions- und Sukzessionsprinzip war und ist ein wesentliches Element katholischen Glaubenlebens. So wie es Vinzenz von Lérins zusammengefasst hatte, dass zu glauben sei, „quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est“ (Commonitorium II, 5) – was überall, was immer, was von allen geglaubt wurde. Die Tradition hat interpretierende Autorität gegenüber der heiligen Schrift. Somit hielt die katholische Kirche ihre Hochschätzung der menschlichen Kräfte bei. Ja, gutes Handeln ist vor Gott verdienstlich. Ja, es gibt eine Vergeltung im Jenseits, aber nur, weil der Mensch aus freiem Willen Gutes oder Böses getan hat. Luther dagegen leugnet die Rechtsfähigkeit des Menschen vor Gott: „Wenn Gott ihn reitet, geht er, wohin Gott will … Wenn der Satan ihn reitet, geht er, wohin Satan will. Es steht nicht in seinem Belieben, den einen oder den anderen zu wählen oder zu ihm zu laufen.“ (Martin Luther, Vom unfreien Willen. Göttingen 1937, S. 54). Nichts für ungut, aber das soll die Frohe Botschaft des Jesus von Nazareth sein?

 

Für die reformierte Kirche galt: Glaube allein, Christus allein, Schrift allein, Gnade allein. Für die katholische Kirche: Glaube und Liebe, Christus und Kirche, Schrift und Tradition, Gnade und Werke. Mit dieser Haltung entfaltete der Katholizismus seine Anziehungskraft sowohl auf die Volksfrömmigkeit als auch auf die intellektuellen Eliten Europas. Als bedeutende Konvertiten seien beispielhaft genannt der Kölner Psalmendichter Kaspar Ulenberg, der schlesische Dichter Angelus Silesius (Johannes Scheffler) und der holländische Maler Jan Vermeer van Delft.

 

Epilog

Papst Johannes Paul II. schrieb aus Anlass des 450. Todestages über Luther: „Das Gedenken an ihn lässt uns heute … den hohen Stellenwert seines Wirkens zu einer geistlichen Erneuerung der Kirche erkennen.“ Nun, meines Erachtens sollte dieser Stellenwert aber auf keinen Fall überwertet werden. Treffender finde ich die Forderung des österreichischen Historikers und Publizisten Friedrich Heer, der – gegen die katholische Vereinnahmung Luthers – befand, dass es wieder „hoch an der Zeit [ist], an den Ketzer Martin Luther zu erinnern …“.

 

Ja, wir haben nun einige Jahre Zeit, uns – neben allem Verdienstlichen, wozu an dieser Stelle schon einiges ausgeführt wurde und noch vieles ausgeführt werden wird – auch an den Ketzer Martin Luther zu erinnern, den Antisemiten, den Kulturbanausen, den Ideologen des Obrigkeitsstaates, der als Zertrümmerer der „falschen Kirche“ und Gründer einer „neuen Gemeinschaft der Heiligen“ zutiefst gescheitert ist. Dann können wir den Namen Martin Luther auch aussprechen ohne – wie vom Donner gerührt – im Pathos zu erstarren.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 02/2009 erschienen.

Torsten Ehrke
Torsten Ehrke war als Referent der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen an der Arbeit der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland" beteiligt. Er ist Vorsitzender des Stiftung St. Georg Kapelle Neuruppin e.V.
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