„… ein glühender Backofen voller Liebe“

Sieht Luther die Wirklichkeit des Menschen in einer reduktionistischen Weise? In letzter Gewissheit erblickt er in Gott die Liebe und stellt sich aus dem nominalistischen Ockhamismus her kommend gegen die scholastischen Unterscheidungen, denen er die Chiffre „Philosophie“ verleiht. Dagegen steht für ihn fest: Gott ist „ein glühender Backofen voller Liebe“ (WA 36,425).

 

Mit diesem zentralen Grundgedanken johanneischer Theologiefinden sich Katholiken und Protestanten heute eng versöhnt; die Grundbotschaft von Papst Benedikt XVI. „Deus caritas est“ (2005) liest sich entsprechend wie eine ökumenische Bestätigung.

„Menschliche Werke sind ohnmächtig angesichts des Willens Gottes“

Durch die spannungsgeladene Antithetik der Theologie Luthers wird der Bogen dieser Theologie niemals schlaff. Das Leben aus ihr findet innerhalb der Spannungen seine Antwort, kann sich nur von Gott her verstehen und in der radikalen Verpflichtung zum Glauben erleben. Doch wirkt dieser Glauben nicht schon fatalistisch? Belässt er der Würde der Vernunft die ihr zukommende Weite? Wird das Handeln des Menschen in dieser Theologie von einem übermächtig fordernden Glauben verdeckt, ja a priori negativ konnotiert? Wird des Menschen moralische Kompetenz untergraben? Wenn Luther die Willensfreiheit zu leugnen scheint, so ist dies aus dem radikalen Gottesbezug zu verstehen; erst die Nichtigkeit des freien Willens vor Gott macht das Gewissen zur Erkenntnis frei, erst der Glaube und das Vertrauen in Gott zeigt dem Menschen die Grenzen seiner weltlichen Freiheit auf. Der Wille ist stets vom Wort in Anspruch genommen, niemals konsistent in einer beliebigen Liberalität, niemals im Sinne einer abstrakten begrifflichen Einfassung, sondern entschieden vor Gott und den Menschen, nicht selbstbemächtigend, sondern stets unter dem Willen Gottes begnadeter Wille. Der Mensch – simul iustus et peccator – wird nur auf Gott hin gedeutet. Sein Vermögen reduziert sich auf die Hingabe seines Glaubens: Dann gilt: Mehr als angenommen sein in Christus gibt es nicht, das neue Leben kann beginnen (H. M. Barth).

 

Menschliche Werke sind ohnmächtig angesichts des Willens Gottes. Was aber vermag der Wille des Menschen zu seinem Heil? Kann er die Grundrichtung des Willens ändern? Er ist nach Luther erst dann frei, wenn er im Glauben Gott Gott sein lässt und es als Trost erfährt, den Willen Gottes als seinen eigenen anzunehmen, ohne vorschnell in einen metaphysischen Determinismus zu verfallen. Vor Gott stehen heißt, den Willen Gottes nicht als einen den Menschenwillen zerstörend, sondern ihn als begnadend zu erfahren. Diese Bewegung geschieht in der lebendigen Form des Bekennens im Glauben.

 

Diese Splitter aus seiner Theologie müssen in der Kürze genügen. Das ein martialisches Lutherbild des 19. Jahrhunderts widerspiegelnde Luther-Denkmalbild in Worms – Luther steht als erhabener weit ausschauender Bekenner erhöht und allein, umringt von bedeutenden Reformatoren – schreibt sich in die Seele auch des katholischen Theologen ein. Luther ruft seine wortgewaltige Theologie sinnenfällig und wirkmächtig aus – gleich einem „Donnerwort“.

 

Welche tiefe Erkenntnis bleibt lebenstragend und prägend aus seinem Denken?

 

Luthers letzte Worte beeindrucken zutiefst, weil sie die grundlegende Wahrheit über den Menschen vor dem ewigen Gott aussagen: „Wir sind Bettler. Das ist wahr“ (WA 48, 241).

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2009 erschienen.

Peter Reifenberg
Peter Reifenberg ist Direktor der Akademie und des Tagungszentrums des Bistums Mainz, Erbacher Hof, und lehrt Moraltheologie an der Universität Mannheim.
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