Sie sind nicht die einzigen Akteure der politischen Bildung in Deutschland. Wie wird Ihre Arbeit beeinflusst durch Projekte und Initiativen z. B. von Ministerien?
Man muss aufpassen, dass die politische Bildung nicht sozusagen eine „Versicherheitlichung“ durchmacht. Z. B. das Programm „Demokratie leben!“ des Bundesjugendministeriums ist ein dezidiert auf Extremismusprävention abgestelltes Programm. Die Ressourcen dort, 100 Millionen Euro, haben den Gesamtmarkt der politischen Bildung in Deutschland stark beeinflusst und auf Sicherheitsaspekte abgezielt. Aber politische Bildung kann nicht nur auf einen Aspekt wie die Sicherheit fokussiert werden, sondern muss als plurale Veranstaltung die gesamte Gesellschaft in ihrem Facettenreichtum in den Blick nehmen.
Politische Bildung ist von ihrem Naturell her eine Art begleitendes Instrument für gesellschaftlichen Wandel. Deshalb wird sie immer in der Situation sein, nie ans Ziel zu gelangen, sondern sie wird von jeder neuen gesellschaftlichen Formation neu herausgefordert. Ein praktisches Beispiel: Politische Bildung funktioniert besonders gut bei den Leuten, die schon politisch gebildet sind. Das lockt die politische Bildung natürlich in Formate, in denen man die Erfolge spürt, sich positive Feedbacks einholt. Aber, und diese Frage müssen wir stellen, ist politische Bildung nicht auch und gerade für Menschen, die neu in unser Land kommen, für diejenigen, die benachteiligt sind, die keine Bildungserfolge in der Schule haben, ein Instrument, was sie sehr gut gebrauchen können, um ihre politischen Interessen zu markieren und sich zu positionieren? Natürlich. Aber das heißt dann wieder, man muss komplett neue Wege gehen, weil ein Mensch, der vielleicht nicht so bildungserfolgreich ist, keine dicken Bücher liest, sondern eher audiovisuell unterwegs ist, auf den traditionellen Wegen von uns kaum erreicht wird.
Den Befund werden viele teilen können. Welchen strategischen Ansatz leiten Sie daraus ab?
Wir als staatliche Behörde haben es schwer, in bestimmten Zielgruppen glaubwürdig rüberzukommen. Deshalb schließen wir Allianzen mit Influencern, man kann auch sagen „Brückenmenschen“, die in den sozialen Medien aktiv sind. Gemeinsam mit ihnen erreichen wir soziokulturelle Milieus, an die wir sonst nicht rankommen. Z. B. bei dem Thema „Auseinandersetzung mit Salafismus“ haben wir mit vielen Experten lange überlegt, wie man das zielgruppengerecht angehen könnte. Schlussendlich haben wir mit einer Youtuberin und Influencerin zusammengearbeitet, die eigentlich eine Beauty-Bloggerin ist, also Schminke und Ähnliches auf ihrem Kanal bespricht. Mit ihr haben wir das Format „travellingIslam“ entwickelt und die „Begriffswelten“ des Islams in kurzen animierten Videos präsentiert: Was ist die Umma? Was ist die Scharia? Das sind stark frequentierte Videos geworden, die nicht zuletzt aufgrund der türkischen Wurzeln der Youtuberin auch verstärkt junge Muslimas ansprechen. Die erzählen das wieder weiter, erzählen es ihren Freunden. Dann wird kontrovers diskutiert. Natürlich auch darüber, dass die Bundeszentrale dahintersteckt. Aber die Youtuberin selbst steht hinter diesem Projekt. Die Zusammenarbeit mit Influencern in den sozialen Medien führt also zu Diskussionen und Auseinandersetzungen in Bereichen der Gesellschaft, die bisher nicht an politischer Bildung partizipiert haben. Das Projekt „Begriffswelten Islam“ wurde bis heute rund 800.000 Mal angesehen.
Ein anderes Beispiel ist der allseits bekannte Wahl-O-Mat. 15,7 Millionen Nutzer haben den Wahl-O-Mat bei der letzten Bundestagswahl ausprobiert. Das ist ein Viertel aller wahlberechtigten Bürger, von denen Millionen anschließend weitere Informationen bei uns abgefragt haben. Wenn man so will, ist der Wahl-O-Mat das reichweitenstärkste Instrument politischer Bildung in Deutschland.
Wird es nach Ihrer Auffassung in 20 Jahren noch eine Form von institutionalisierter politischer Bildung mit Bundeszentrale und Landeszentralen geben, so wie wir sie heute haben? Oder besichtigen wir diese Organisationsformen entweder im Museum oder auf dem Müllhaufen der deutschen Geschichte?
Ich glaube, als aktivierender Begleiter demokratischer Entwicklung gehört politische Bildung zum gesellschaftlichen Code dieses Landes. Sie ist auch Reflexion darüber, wie wir in unserem Land zusammenleben, wie wir es politisch gestalten wollen. Das tut diesem Land sehr gut.
Der Schlüssel für die Zukunft: Als Institution dürfen wir nicht einfach nur Produzenten sein. Wir müssen diejenigen, die an politischer Bildung partizipieren wollen, aktiv mitbestimmen lassen, welche Themen verhandelt werden, wie die Formate aussehen, wie die Inhalte letztendlich ausgestaltet werden. Da müssen wir als Zentrale auch ein Stück Kontrollverlust akzeptieren.
Auch in der Zukunft wird keine Gesellschaft von Gleichen existieren, sondern wir sind eine Gesellschaft von Ungleichen. In dieser Gesellschaft von Ungleichen muss es verschiedene Angebote, verschiedene Wahrheiten, verschiedene Interpretationen geben. Eins dürfen wir allerdings nicht vergessen: Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich drastisch. Der Kapitalismus nimmt autoritärere Formen an. Das erfordert auch ein offensiveres Ausgestalten der Instrumente politischer Bildung. Will sagen: Es geht nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um Aktivierung. Bildung hatte immer, vielleicht als einzige der Geisteswissenschaften, den Anspruch, Gesellschaft auch zu verändern.
Dankeschön.
Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2018.