Nachhaltiges Wirtschaften mit sozialen Gewinnen

Das faire Modelabel ARMEDANGELS setzt "grüne" Trends

Theresa Brüheim: Herr Höfeler, ARMEDANGELS ist eines der größten Eco- und Fair-Fashion-Labels in Europa. Sie haben es, gemeinsam mit Ihrem Mitgründer Anton Jurina, gegründet. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Martin Höfeler: Die Idee ist während des BWL-Studiums in Köln entstanden, bei dem wir uns kennengelernt haben. Ich habe tatsächlich nur BWL studiert, um mich selbstständig zu machen. Auch Anton hatte ähnliche Interessen. Man lernt im BWL-Studium, dass man in einem Unternehmen sowohl seine Gewinne maximieren als auch die Stake- und Shareholder zufrieden stellen sollte. Wenn man ein idealistisches soziales Motiv hat, dann sollte man eher einen Verein oder eine Nichtregierungsorganisation gründen. Wir haben gesagt: Es kann nicht sein, dass man entweder ein kapitalistisch orientiertes Unternehmen gründet und immer nur monetäre Gewinne maximiert oder ein sozialer Verein ist, bei dem dies nicht im Vordergrund steht. Es muss doch möglich sein, beides miteinander zu kombinieren! Wir wollten es einfach beweisen und es von Anfang an richtig machen. Das ist der einzige Weg, der langfristig funktionieren wird: Nämlich, dass man mit dem richtigen Wirtschaften etwas Positives für die Gesellschaft und die Welt bewegen kann.

 

Der Name ARMEDANGELS klingt nach einer Kampfansage – vielleicht an die herkömmliche Modeindustrie?
Kampfansage ist zu viel gesagt. Der Name vereint sehr gut den Kontrast, der im Unternehmen, aber auch in meiner Generation, den Millennials, steckt: Auf der einen Seite möchte man ein schönes Leben leben und auf nichts verzichten, und auf der anderen Seite will man niemandem schaden und alles mit guten Werten verbinden. Für uns heißt das, wir wollen ein Unternehmen mit gesellschaftlichem Mehrwert sein. Wir wollen schöne Produkte herstellen, die so umweltfreundlich und sozial wie möglich sind. Denn in dieser Branche ist unglaublich viel kaputt. Wir sind der Meinung, dass das besser geht und insofern steckt im Namen doch auch ein kleines bisschen Kampfansage.

 

In der Modebranche ist nicht nur einiges kaputt, sie gilt als eine der schmutzigsten Geschäfte, was Produktion, Chemikalieneinsatz, Arbeitsbedingungen etc. anbelangt. Wie kann eine Nachhaltigkeitskultur weiter in diese Industrie einziehen?
Das Wichtigste ist erstmal, dass das den Kunden bewusst wird. Denn der Konsument hat viel mehr Macht als er denkt. Schon eine Gruppe von Menschen kann mit ihrem Konsumverhalten viel bewegen. Das sieht man z. B. am Umdenken in der Lebensmittelindustrie. Auf einmal bieten Großkonzerne, die vorwiegend Fleisch produzieren, auch vegetarische und vegane Alternativen an. Der Konsument wird aufgeklärter und ändert damit tatsächlich das Verhalten von Unternehmen, da sich diese anpassen müssen. Man muss mehr Menschen darauf aufmerksam machen, dass auch in der Modeindustrie einiges schiefläuft. Die Missstände wurden über die Jahre wunderbar vertuscht. Denn die Textilindustrie ist nicht mehr lokal, sondern global, sodass wir das nicht so leicht mitbekommen. Bangladesch oder Vietnam sind einfach weit weg. Aufmerksamkeit ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, sodass der Konsument versteht: In der Textilindustrie liegt ein echtes Problem für diesen Planeten, auf dem wir leben und in Zukunft leben wollen. Durch dieses Bewusstsein kann der Kunde die Konsumentscheidung treffen, was er haben will und was nicht. Das wiederum wird Unternehmen dazu bewegen, ihre Prozesse umzudenken. Dies geschieht dabei nicht aus idealistischen Motiven, sondern um weiterhin Geld zu verdienen. Aber das ist egal. Denn solange etwas Positives rauskommt, finde ich es gut.
Wir sehen uns dabei als diejenigen, die diese Aufklärung vorantreiben müssen. Damit ist es aber nicht getan. Es muss Alternativen geben. Die Energiewende hat auch nicht nur dadurch stattgefunden, weil die Grünen und Greenpeace gesagt haben: „Atomenergie ist schlecht“. Sondern dann, als es einfach erreichbare Alternativen gab. Wenn es viele dieser positiven, leicht verfügbaren Alternativen gibt, tritt man eine Welle los und es passiert endlich etwas.

 

Sie sehen die Verantwortung also zu Beginn eher beim Konsumenten? Welche Rolle spielt Politik dabei für Sie, sollte diese z. B. durch mehr Richtlinien eingreifen?
Ich sehe die Verantwortung absolut nicht nur beim Konsumenten, sondern vor allem bei den Unternehmen. Es ist eine Schande, dass nur wenige Unternehmen etwas in diese Richtung tun. Ich hoffe, dass mehr junge Unternehmen mit idealistischen Motiven nachkommen. Die Politik hat natürlich eine Verantwortung und könnte eine ganze Menge verändern. Das Problem ist nur, dass es oft sehr, sehr lange dauert, weil so viele verschiedene Interessen vorherrschen und der Einfluss der großen Player im Markt die richtigen Dinge oft verhindert. Das sieht man beispielsweise am Textilbündnis. Da wird unglaublich viel geredet und zerredet. Was dann nach sehr viel Arbeit übrig bleibt, ist eher ernüchternd.

 

Viele große Modehäuser versuchen ihrer Verantwortung mit jährlichen sogenannten „Consciousness“-Kollektionen gerecht zu werden. H&M tut dies z. B. seit vielen Jahren. Mittlerweile macht auch Mango etwas Ähnliches. Wie beurteilen Sie das? Ist es eine gute Tendenz oder schnelles Greenwashing für ein Unternehmen, das sonst eher nicht „grün“ ist?
ARMEDANGELS gibt es seit zehn Jahren und diese Frage höre ich ebenso lang. In der Regel antworte ich: „Jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein guter Schritt.“ Da stehe ich auch nach wie vor dazu. Aber man muss sich auch das Gesamtverhalten dieser Unternehmen ansehen. Ich war vor ein paar Wochen in Tokio, da steht groß über einer Filiale: „Bei uns kommen jeden Tag neue Produkte rein. Komm doch auch du jeden Tag.“ Das hat mit Nachhaltigkeit nicht viel zu tun. Insofern empfinde ich es mittlerweile auch als Greenwashing. Die Frage ist: Werden die sogenannten nachhaltigen Ziele wirklich umgesetzt? Was passiert, wenn der nächste CEO kommt, weil der aktuelle seine Profit-Targets nicht erreicht hat und deswegen ausgewechselt wird? Ändert man dann all seine Nachhaltigkeitsziele und sagt: „Jetzt geht es wieder um den Aktienwert“? Wir brauchen mehr Transparenz und nicht einfach nur Worte.

 

Lassen Sie uns darüber sprechen, wie überhaupt ein nachhaltig produziertes Kleidungsstück, z. B. ein T-Shirt, entsteht. Auf was muss geachtet werden?
Es gibt natürlich die Vorstellung eines idealen T-Shirts, das CO2-neutral produziert wurde und hinterher in ein wiederum neuwertiges Kleidungsstück upgecycelt werden kann. Da wollen wir gern hin. Deswegen tun wir alles dafür, so nachhaltig wie nur möglich zu produzieren und somit kommen wir diesem idealen Zustand tagtäglich einen Schritt näher. Am Anfang der Produktion steht die Auswahl der Rohstoffe. Für unsere T-Shirts benutzen wir vor allem Bio-Baumwolle, da es unserer Meinung nach momentan kein Ersatzmaterial mit gleichen Eigenschaften bezüglich Nachhaltigkeit, Tragekomfort und Nutzbarkeit gibt.
Unsere Baumwolle ist immer „organic“. Dadurch wird verhindert, dass genmanipuliertes Saatgut und chemische Düngemittel eingesetzt werden. Es ist klar nachgewiesen, dass das gesundheitsschädigend ist. Aber wenn das in Indien passiert, ist das aus dem Kopf des Konsumenten. Das finde ich falsch. Wir sollten viel globaler denken. Es geht dabei um das Gleichgewicht auf diesem Planeten.
Die organische Baumwolle wird dann zu einem Garn versponnen, dieses wird zu einem Stoff verstrickt, der Stoff wird gefärbt, dann konfektioniert und veredelt, z. B. bedruckt. Gerade im Färbe- und Druckprozess werden viele Chemikalien eingesetzt. Ganz ohne Chemie kommt man nicht aus. Diese sollten aber so umwelt- und gesundheitsschonend wie möglich sein. Wir arbeiten nach dem „Global Organic Textile Standard“, der an dieser weiterverarbeitenden Produktionskette ansetzt. Er gibt klare Richtlinien vor: Was darf in das Produkt rein und was nicht? Wie muss das Abwasser, das aus dem Prozess entsteht, hinterher geklärt werden? Was darf abgeleitet werden? Welche Materialien dürfen zusätzlich eingesetzt werden und welche Accessoires? Das ist ein großer Unterschied z. B. zum OEKO-TEX-Siegel. Hier wird nur darauf geachtet, dass am Ende die Chemikalien, die giftig sind, rausgewaschen werden. Diese werden aber wahrscheinlich in Flüsse, Seen und sonstige Natur abgeleitet. Das kann nicht die Lösung sein.
Uns ist besonders wichtig, dass ein T-Shirt auch nicht nur zweimal getragen wird, weil die Qualität nicht stimmt und es verzieht, verdreht, kleiner oder größer wird und schnell kaputt geht. Davon hat keiner was. Unsere Mode ist qualitativ hochwertig und lange haltbar. Das sind auch wichtige Aspekte nachhaltiger Produktion.

 

Mit T-Shirts hat es angefangen, heute ist ARMEDANGELS seit mehr als zehn Jahren mit ganzen Kollektionen erfolgreich, die „grün“ und modern sind. Was wollen Sie in Zukunft erreichen?
Unser Ziel ist es, das fairste Modelabel der Welt zu werden und möglichst viele Menschen mit unserer Message zum Umdenken in ihrem Kaufverhalten zu bewegen.
Wir wollen zeigen, dass sich Nachhaltigkeit und gutes Design nicht ausschließen.
Nachhaltigkeit ist ein Mehrwert, aber nicht der eigentliche Kaufgrund. Wir bestehen neben ganz normalen Brands und sind mittlerweile in fast 1.000 Point of Sales in Europa zu finden. Davon sind zehn Prozent tatsächlich Läden, die nachhaltigen Lifestyle zu ihrem Konzept gemacht haben. Die anderen 90 Prozent sind normale Modehändler – von kleinen Boutiquen bis zu größeren Ketten. Auch da verkaufen sich unsere Produkte gut.
Trotzdem gibt es noch eine ganze Menge zu tun – das ist uns klar. Je größer wir werden, desto mehr Herausforderungen erwarten uns. Das ist zwar anstrengend, aber gleichzeitig spornt es uns auch jeden Tag an. In den nächsten fünf Jahren wollen wir den Fair-Fashion-Markt in Europa erobern und in zehn Jahren wollen wir in allen relevanten Märkten der Welt vertreten sein, Eco & Fair als Fashion Standard in der Modewelt etablieren und möglichst viele Menschen mit unserer Message erreichen. Es sollen immer mehr Menschen erkennen, dass die Textilindustrie dafür mitverantwortlich ist, dass wir viel mehr Ressourcen verbrauchen, als der Planet uns geben kann. Wir müssen jetzt etwas tun und nicht noch ein paar Jahre weiter nachdenken und diskutieren.

 

Das ist ein sehr schöner Appell zum Schluss. Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2018.

Martin Höfeler Theresa Brüheim
Martin Höfeler ist Gründer und CEO von ARMEDANGELS. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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